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Schriftenmission-Langenberg.de


Die Apokalypse Jesu Christi

Ansicht Cover Band1 Heinrich Langenberg ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass in der Apokalypse die prophetischen Linien des Alten Testaments ihre Vollendung finden. Außerdem betont er in seinen Auslegungen die heilsgeschichtliche Berufung und Bestimmung der Gemeinde. Mit ihrer Aufgabe, nämlich dem Königspriesterdienst zur Wiederherstellung Israels und zur Weltvollendung, ist sie das Instrument für das Handeln Gottes in Heil und Gericht.

Brosch., 538 Seiten, 29,80 €
ISBN-13: 978-3-00-033932-5
Bestellnummer: 1300

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Ausschnitte zum Probelesen


Inhaltsverzeichnis


1 Der erste Hauptteil des Buchs (Offb. 1,1–3,22) 7
1.1 Der Prolog (Offb. 1,1–8) 7
1.2 Johannes’ Berufung zum Apokalyptiker (Offb. 1,9–20) 26
1.3 Die sieben Sendschreiben (Offb. 2,1–3,22) 46
1.3.1 Ephesus (Offb. 2,1–7) 49
1.3.2 Smyrna (Offb. 2,8–11) 60
1.3.3 Pergamon (Offb. 2,12–17) 67
1.3.4 Thyatira (Offb. 2,18–29) 76
1.3.5 Sardes (Offb. 3,1–6) 87
1.3.6 Philadelphia (Offb. 3,7–13) 96
1.3.7 Laodicea (Offb. 3,14–22) 105
2 Der zweite Hauptteil des Buchs (Offb. 4,1–11,14) 115
2.1 Die Zentrale der Weltregierung Gottes (Offb. 4,1–5,14) 115
2.2 Die ersten sechs Siegel (Offb. 6,1–17) 155
2.3 Die Hundertvierundvierzigtausend und die große Schar (Offb. 7,1–17) 178
2.4 Die Eröffnung des siebten Siegels (Offb. 8,1–6) 198
2.5 Die vier ersten Posaunen (Offb. 8,7–12) 205
2.6 Der Adlerruf im Zenit des Himmels (Offb. 8,13) 212
2.7 Die fünfte und sechste Posaune (Offb. 9,1–21) 213
2.8 Das offene Büchlein (Offb. 10,1–11) 232
2.9 Die Messung des Tempels Gottes und die zwei Zeu­gen auf dem Boden Israels (Offb. 11,1–14) 242
3 Der dritte Hauptteil des Buchs (Offb. 11,15–22,5) 260
3.1 Die siebte Posaune (Offb. 11,15–19) 260
3.2 Die Sonnenfrau und der Drache (Offb. 12,1–18) 269
3.3 Das Tier aus dem Meer und das Tier aus dem Land (Offb. 13,1–18) 297
3.4 Das Lämmlein und die Hundertvierundvierzigtau-send auf dem Berge Zion (Offb. 14,1–5) 314
3.5 Drei Engelsbotschaften in der Verkündigung des Endgerichts (Offb. 14,6–13) 320
3.6 Israels Gerichtsernte (Offb. 14,14–20) 330
3.7 Die Überwinder auf dem kristallenen Meer (Offb. 15,1–4) 340
3.8 Der geöffnete Tempel des Zeltes des Zeugnisses im Himmel (Offb. 15,5–8) 346
3.9 Die sieben Zornesschalen (Offb. 16,1–21) 350
3.10 Das Gerichtsurteil über die große Hure (Offb. 17,1–18) 370
3.11 Das Gericht über Babel (Kapitel 18,1–24) 389
3.12 Die Hochzeit des Lämmleins und der Königsbräuti­gam (Offb. 19,1–16) 408
3.13 Das Gericht über das Tier (Offb. 19,17–21) 426
3.14 Das Tausendjährige Reich (Offb. 20,1–6) 432
3.15 Die letzte Empörung und das Ende der Herrschaft Satans (Offb. 20,7–10) 442
3.16 Das Gericht über den alten Kosmos und die Toten (Offb. 20,11–15) 447
3.17 Der neue Himmel und die neue Erde (Offb. 21,1–8) 453
3.18 Das neue Jerusalem (Offb. 21,9–22,5) 463
3.19 Der Epilog (Offb. 22,6–21) 490
4 Anhang 505
Bibelstellenverzeichnis 509

Der Prolog (Offb. 1,1–8)

„Apokalypse (Enthüllung) Jesu Christi, die ihm Gott gibt, zu zeigen seinen Knechten, was werden muss in Bälde, und die er darstellt in Zeichen, indem er Bot­schaft sendet durch seinen Engel seinem Knecht Johannes.“ (1,1)

Das erste Wort, gleichsam die Überschrift, heißt: „Apokalypse Jesu Christi“. Dieser Ausdruck zeichnet das letzte Buch der Bi­bel als einzigartig dastehend aus unter allen Büchern der Heiligen Schrift. Apokalypse ist zu unterscheiden von anderen prophetischen Büchern. Wohl bringen auch diese hie und da einzelne Apokalyp­sen oder Enthüllungen der Regierungswege Gottes, aber sie sind nicht selber Apokalypse. Auch unterscheidet sich die Apokalypse Jesu Christi von der sonstigen apokalyptischen Literatur des Ju­dentums. Letztere bringt Enthüllungen über das Weltende in mehr oder weniger phantastischer Form. Das letzte Buch der Bibel dage­gen bringt uns eine Enthüllung Jesu Christi, die Gott ihm gibt. Je­sus Christus selbst ist Gegenstand und Inhalt der Enthüllung, und zwar in Verbindung mit dem, was in Bälde werden muss.

Es sind also nicht in erster Linie zukünftige Ereignisse, die uns gleichsam in einem Orakel vorher verkündigt werden, sondern Je­sus Christus selbst wird uns hier in einer bisher nicht bekannten Weise enthüllt als der Weltvollender. Es ist wichtig, das bei der Deutung des Buchs in allen seinen Teilen stets im Auge zu be­halten. Gott gibt ihm tatsächlich (der Aorist betont das Faktische einer Handlung) die Enthüllung, d.h. nicht nur das Buch, das die­sen Titel trägt (vgl. Offb. 5,7), sondern das, was in demselben über das Wesen und Werk Jesu Christi enthüllt wird. Gott ist die letzte Ursache alles Heilsgeschehens, Christus ist der Offenbarer des un­sichtbaren Wesens und Wirkens Gottes. Jesus Christus empfängt die Enthüllung vom Vater, um sie weiterzugeben, indem er den Knechten Gottes zeigt, was werden muss in Bälde. Es handelt sich also um die Werdegeschichte, die mit der Enthüllung Jesu Christi verbunden ist.

Nicht nur geschichtliche Ereignisse sollen voraus verkündigt werden, sondern die Knechte Gottes sollen Einblick und Verständ­nis gewinnen für das Werden alles dessen, was mit der Welterneue­rung und Weltvollendung zu tun hat. Dieses Werden beruht auf einem von Gott bestimmten Muss. Es ist aber kein starres Gesetz, das jede freie Willens– und Entscheidungsfreiheit ausschließt, son­dern göttliche Schöpfungsweisheit, in der Gottes Absolutheit und menschliche Freiheit so ineinander geordnet sind, dass sie keine Gegensätze bilden.

Wie das möglich ist, bleibt unserem Verstand vorläufig ver­borgen. Das prophetische Wort lüftet für den Glauben etwas den Schleier und lässt ihn hineinschauen in dieses unergründli­che Geheimnis. Dennoch bleibt unser Erkennen nur Stückwerk (1. Kor. 13,9: = aus einem Teil heraus), d. h. wir erkennen nur je­weils die ganze Wahrheit von irgend einem Teil derselben aus, also entweder von der Absolutheit Gottes aus, indem wir dabei das Sowohl-als-auch nicht aus dem Auge verlieren dürfen.

Für Gott gibt es keinen Dualismus, sondern in ihm ist alles eins. Daher betont das prophetische Wort mehr das göttliche Muss oder die göttliche Absolutheit. Das Wort Gottes muss erfüllt werden (vgl. Lk. 21,9.22.24–26; Apg. 1,16; 3,21). Weil Gott den Vorsatz der Äonen macht in Christus Jesus, unserem Herrn (Eph. 3,11), des­halb vollzieht sich das göttliche Muss des Werdens auch durch die Enthüllung Jesu Christi.

Die Geschichte hat einen ganz tiefen Sinn, den zu erkennen das Vorrecht der Knechte Gottes ist. Hätten wir die Bibel mit der Apokalypse nicht, so wären wir vollständig ratlos in Bezug auf den Sinn der Geschichte. An einen ewigen, innergeschichtlichen Fortschritt zu glauben ist uns heute nicht mehr möglich, nach­dem die Menschheit durch das furchtbare Zeitgeschehen aus ih­rer Kulturseligkeit aufgeschreckt ist, und mit der Tatsache der Ver­gänglichkeit und des Todes können wir uns keineswegs so ab­finden, ohne zu verzweifeln an dem ganzen Sinn des Daseins, wenn wir nicht ein göttliches Muss, einen festen Plan in allem ent­decken können. Ob der Unglaube überhaupt von sich aus diese Entdeckung machen kann? Paulus verkündigt auf dem Areopag zu Athen den Weltweisen und Philosophen von Gott: „Er macht auch, dass aus Einem jede Menschennation wohne auf der ge­samten Oberfläche der Erde, indem er bestimmt (festsetzt) ange­ordnete Zeitwenden und die Abgrenzungen ihres Wohnens, um Gott zu suchen, ob sie also ertasten und finden möchten ihn, der auch nicht ferne von einem jeglichen einzelnen von uns existiert; denn in ihm leben wir und bewegen uns und haben unser Sein“ (Apg. 17,26–29). Der ungläubige Sucher kann Gott ertasten, d. h. etwas ahnen von dem Sinn der Welt und der Geschichte, Knechte Gottes dagegen dürfen tief hineinschauen in die inneren Zusam­menhänge, in den göttlichen Welt– und Heilsplan und wissen um das bestimmte Ziel alles Werdens. Das ist der Zweck der Apoka­lypse Jesu Christi.

Charakteristisch für die Apokalypse ist das eigentümliche Zeit­gefühl, das besonders in zwei prägnanten Ausdrücken an beson­deren Stellen durchbricht, nämlich „in Bälde“ und „nach diesem“. Auf letzteren Ausdruck kommen wir bei Gelegenheit zurück. Zu­erst beschäftigt uns das „in Bälde“

Es rahmt gleichsam das ganze Buch ein; denn der Ausdruck: „was werden muss in Bälde“ kommt auch noch einmal am Schluss vor (Kapitel 22,6). Bezeichnet das „Muss“ die Absolutheit des Werdens, so charakterisiert das „in Bälde“ die ungeheure Wucht und Energie des Werdens. Es sieht manchmal nur so aus, als ge­schähe nichts, oder als ob alles sehr schleppend vorankäme (vgl. 2. Petr. 3,9), aber in Wirklichkeit bestimmt das „in Bälde“ die gan­ze Werdegeschichte von Anfang an bis zum Vollendungsziel, also nicht nur die letzte Wegstrecke, die Endgeschichte. Unter bald stellen wir uns gewöhnlich die ganz nahe Zukunft vor, aber in der Apokalypse ist „in Bälde“ Gegenwart und Zukunft zugleich, ein stetes, zielstrebiges, wuchtiges, unaufhaltsames Werden (vgl. Jes. 60,22).

Die Vermittlung dieses Verständnisses für das „Muss“ und das „in Bälde“ des Vollendungswerdens der Welt geschieht für die Knechte Gottes durch „zeigen“. Das ist die Lehrmethode durch Anschauung, in der der Lernende sehend gemacht wird. Nicht der grübelnde Verstand soll durch Schlussfolgerungen Erkenntnis­se gewinnen, sondern unmittelbares, erlebnismäßiges Erschauen von Wirklichkeiten ist hier der Unterricht. Dieses „Zeigen“ voll­zieht sich in der Apokalypse durch Vermittlung einer besonderen prophetischen Bildsprache, durch Darstellung in Zeichen. Das Bild ist tiefer und ursprünglicher als das abstrakte Wort. Die Apoka­lypse ist nicht nur selber ein bis zum Rand mit Spannung gefülltes, hochdramatisches Kunstwerk, sondern als solches auch ein getreu­es Spiegelbild des ganzen, gewaltigen Weltdramas, das die Enthül­lung Jesu Christi zum Generalthema hat.

„Indem er Botschaft sendet durch seinen Engel.“ Bei solcher Botschaft wird Sehen und Hören zugleich in Bewegung gesetzt, indem das Hören dem Sehen vorangestellt wird (vgl. Offb. 22,8 nach dem Urtext: „dies hörend und sehend“). „Das hörende Ohr und das sehende Auge, der Herr hat sie alle beide gemacht“ (Spr. 20,12). Bei Jesus ist die Reihenfolge vom Hören und Sehen umgekehrt. Johannes der Täufer sagt deshalb von ihm: „Was er gesehen und tatsächlich hört, das bezeugt er“ (Joh. 3,32). Ob es sich hier um einen einzigen, bestimmten Engel handelt, der dem Johannes als Dolmetscher der Apokalypse zur Verfügung gestellt wird, oder ob, da ja mehrere Engel im Verlauf der Schauungen als Vermittler auftreten, jedes Mal der gerade fungierende Engel ge­meint ist, lässt sich schwer entscheiden. Für die Annahme, dass die gesamte Offenbarung dem Johannes durch ein und denselben übermittelt worden sei, spricht aber der Schluss in Kapitel 22,8.16. In Kapitel 22,16 wird derselbe ausdrücklich als der Engel Jesu be­zeichnet. Der vom Herrn gesandte Engel sollte dem Johannes die Zeichen vorführen und deuten oder zeigen (vgl. Kapitel 22,6), was dieser zu hören oder sehen bekommt.

„Seinem Knecht Johannes“. Johannes, der dies schreibt, ob­jektiviert sich selber. Erst in Vers 9 sagt er: „Ich, Johannes“. Der Titel „Knecht“ oder „Sklave“ (dulos), den auch der Apostel Pau­lus mit Vorliebe für sich in Anspruch nimmt, erhält in der Apo­kalypse dadurch eine besondere Note, dass vor allem der prophe­tische Dienst damit gekennzeichnet wird. Durch den Knecht Jesu Christi, Johannes, sollen die Knechte Gottes die Enthüllung Jesu Christi empfangen, nämlich diejenigen, die zu Königspriestern be­rufen sind im Dienst des Königs Jesus Christus zur Welterneue­rung und Weltvollendung. Die Apokalypse ist also kein Erbau­ungsbuch für jedermann und erst recht nicht ein Buch für Sensati­onslüsterne, sondern ein Wegweiser zur Orientierung für Knechte Gottes, die das Zeugnis Jesu haben, nämlich den Geist der Prophetie (Kapitel 19,10). Wie können diese Knechte Gottes für ihren Königspriesterdienst im zukünftigen Königreich Christi zubereitet und fähig gemacht werden, wenn sie nicht wissen, um was es geht und welche Aufgaben ihrer warten?

„Der da bezeugt das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi, soviel er sah.“ (1,2)

Dieses Bezeugen bezieht sich nicht etwa auf die frühere evan­gelistische Tätigkeit des Johannes, sondern konstatiert die Erfül­lung seiner in Vers 1 angedeuteten neuen Mission. Was wir also in diesem Buch, der Apokalypse, vor uns haben, ist Gottes Wort und Zeugnis Jesu Christi. Es kommt darauf an, die hier in Vers 2 vor­kommenden Ausdrücke genau zu untersuchen.

„Bezeugen“ (martyrein) ist ein Verkündigen, hinter welchem ein persönliches Erleben steht. Da es sich bei Johannes hier um ein prophetisches Bezeugen handelt, muss es durch ein prophetisches Erleben beglaubigt sein. Daher fügt Johannes hinzu: „Soviel als er sah“. Das Evangelium kann jeder bezeugen, da er seine Kraft im Leben erfahren hat, aber zum prophetischen Bezeugen gehört ein prophetisches Schauen und Hören. Hier wird das Sehen allein er­wähnt. Der Ausdruck „bezeugen“ und „Zeugnis“ kommt auffal­lend oft in allen johanneischen Schriften vor. Im Evangelium und in den Briefen bezeugt Johannes seine Augenzeugenschaft vom ir­dischen Christuswirken Jesu, während er in der Apokalypse als prophetischer Zeuge des himmlischen Christuswirkens des Sohnes Gottes dient. Im Evangelium bezeugt Johannes das fleischgewor­dene Wort, wie es unter uns zeltete, und wir schauten seine Herr­lichkeit, eine Herrlichkeit als des Einziggezeugten vom Vater, vol­ler Gnade und Wahrheit (Joh. 1,14). In seinem ersten Brief bezeugt er das, „was da war von Anfang an, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir schauen und un­sere Hände betasten, betreffs des Wortes des Lebens“ (Joh. 1,1). In der Apokalypse bezeugt er „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi“.

Der Ausdruck: „Das Wort Gottes“ umfasst den ganzen Heilsratschluss Gottes, wie derselbe wachstümlich immer mehr ent­hüllt wird. Deshalb kann auch gesagt werden: „Das Wort Gottes wächst“ (Apg. 6,7; 12,24), und der Apostel Paulus musste durch seinen Sonderdienst das Wort Gottes vervollständigen oder zur Fülle bringen (Kol. 1,25). Eine ähnliche Aufgabe hatte Johannes als Seher auf Patmos (vgl. Vers 9). Durch ihn sollte das Wort Got­tes eine ganz besondere Fülle erhalten. Nur in der Apokalypse wird Jesus als der Weltvollender selber „das Wort Gottes“ genannt (Kapitel 19,13).

Aber nicht, was Johannes selbst getan hat mit seinem Zeugnis­dienst, ist eine Vermehrung des Wortes Gottes, sondern „das Zeug­nis Jesu Christi“. Denn nicht Johannes selbst ist der Zeugende, sondern nach Offb. 22,20 ist es Jesus, der dies bezeugt. Das Zeug­nis Jesu ist der Geist der Weissagung (Kapitel 19,10). Es handelt sich hier also nicht um das Zeugnis über Jesus, sondern um das Zeugnis, welches Jesus selber gibt. Dieses bezeugt Johannes in der Apokalypse. Jesus, der Sieger, ist das Wort Gottes und der Zeugen­de, der treue Zeuge (Vers 5).

„Glückselig ist, der da liest, und die da hören die Worte der Weissagung und die da halten das in ihr (der Weissagung) Geschriebene. Denn der Zeitpunkt (die Entscheidungszeit) ist nahe.“ (1,3)

Die Apokalypse enthält genau sieben Seligpreisungen (Offb. 1,3; 14,13; 16,15; 19,9; 20,6; 22,7; 22,14). Die erste – in unserer Schrift­stelle – klingt an die Seligpreisung in Lk. 11,28 an: „Glückselig in der Tat sind die, die das Wort Gottes hören und bewahren“. Die Seligpreisung gleich am Anfang dieses Buchs soll uns zweier­lei eindrücklich machen: Erstens, dass es sich in der Apokalypse nicht um eine Belehrung über den Weg zur Seligkeit handelt, über den Heilsweg, sondern um das glückselige Los der Knechte Got­tes, das in diesem Buch geschildert wird. Es geht um den Dienst im Königreich des Christus. Dass dieser Dienst etwas unbeschreiblich Köstliches ist, das ist das Zweite.

Mit welch freudiger Begier und Erwartung sollte deshalb ein Knecht Jesu Christi dieses Buch studieren. Schon beim Lesen und Hören genießen wir diese Glückseligkeit. Wie töricht deshalb, vor einer gründlichen Beschäftigung mit der Apokalypse zu warnen aus Furcht vor Missbrauch oder Missdeutung der oft so rätselhaf­ten Aussprüche. In den ersten Christengemeinden gab es nicht vie­le, die die Kunst des Lesens und Schreibens verstanden. Da war es wichtig, dass das Buch vor versammelter Gemeinde laut gele­sen wurde von einem Vorleser (vgl. 1. Thess. 5,27). Beim Vorlesen (anaginoskein) handelt es sich nicht um mechanisches Ablesen, sondern vielmehr um erklärendes Vorlesen mit sprachlichen und sachlichen Erklärungen (vgl. Lk. 4,16.20–21; Apg. 15,21). Das gan­ze Buch wird von dieser Seligpreisung überstrahlt, wie auch die Schreckensbilder der Gerichte und gewaltiger Weltkatastrophen.

„Worte der Weissagung.“ Die Apokalypse Jesu Christi besteht aus lauter Worten der Weissagung oder Prophetie. Weissagung ist nicht Vorhersage der Zukunft, sondern Verkündigung der göttli­chen Wirklichkeit, die der Glaube wahrnehmen kann durch das Transparent des prophetischen Wortes hindurch. Weissagung (prophäteia) ist nicht irgend ein frommer Lehrvortrag, sondern un­mittelbare Botschaft von Gott durch den Mund eines zu diesem Sonderdienst durch den Geist Gottes befähigten Menschen. „Denn nicht durch den Willen eines Menschen ward jemals Weissagung gebracht, sondern vom Heiligen Geist getragen sprechen heilige Menschen von Gott aus“ (2. Petr. 2,20–21).

Zum rechten Hören gehört das Halten oder Bewahren (tärein) der Worte der Weissagung. Die Apokalypse ist weder ein Erbau­ungsbuch im flachen, landläufigen Sinn, um fromme Gefühle zu pflegen, noch ein Orakelbuch oder eine Fundgrube für okkul­tes Wissen, sondern eine Gottesbotschaft an die Knechte Gottes mit der Aufforderung zum Gehorsam und zur Zubereitung zum höchsten Dienst. Darum wird das glaubensvolle Hören und das gewissenhafte Halten, Festhalten und Ausleben betont.

„Die Entscheidungszeit ist nahe.“ Für Zeit werden auch in der Apokalypse verschiedene Wörter gebraucht:

1. Chronos = Zeitlauf, Zeitraum;

2. aion = der mit einem bestimmten Plan ausgefüllte Zeitab­schnitt;

3. kairos = Zeitwende, Zeitkurve, Zeiteinschnitt (von keirein = schneiden).

In unserer Stelle ist die Zeitwende gemeint, wo das, was werden muss, sich zu erfüllen beginnt (vgl. Mk. 1,15; 1. Petr. 4,17). Diese Zeitwende wird vom Standort des Johannes aus als „nahe“ be­zeichnet. Das Nahesein ist keine Kalenderfrage, sondern prophe­tisches Zeitbewusstsein. Für den Propheten wird die Zeit trans­parent, so dass er die rückläufigen Linien bis zum Anfang wahr­nimmt und die bis zum abschließenden Ende verlaufenden Lini­en erschaut. So werden Distanzen überflogen, und Fernes rückt in die Nähe. Der Glaube schaut lauter erfüllte Zeit, während der Un­glaube sich im Irrgarten der Menschen– und Zeitgeschichte ver­liert. Die Entscheidungszeit ist stets nahe, und was werden muss in Bälde füllt diese Entscheidungszeit aus.

„Johannes den sieben Gemeinden in der Asia. Gnade euch und Friede von »der Seiende und der da war und der Kommende« und von den sieben Geistern, wel­che (sind) angesichts seines Throns.“ (1,4)

Nach der Buchüberschrift oder dem Thema (Verse 1–3) folgt die Adresse und der apostolische Segensgruß an die Empfänger der Apokalypse (Verse 4–6). Diese Widmung beschränkt sich nicht auf die sieben Sendschreiben, sondern gehört dem ganzen Buch an (vgl. Kapitel 22,16). Das ganze Buch ist nicht nur an die Adresse der sieben kleinasiatischen Gemeinden, gerichtet, sondern stützt sich geradezu auf das heilsgeschichtliche Werden innerhalb der Gemeinde (vgl. Kapitel 22,16: epi tais Ecclässiais = auf Grund der Gemeinden).

Der Absender nennt nur kurz seinen Namen, Johannes, ohne jede Beifügung. Dieser Umstand spricht dafür, dass mit Johannes nur der bekannte Apostel und kein anderer Briefschreiber gemeint sein kann. Er war zu jener Zeit so bekannt, dass die Nennung sei­nes Namens genügte, um sofort im Bild zu sein. Zudem ist ge­schichtlich ziemlich sicher, dass der hochbetagte Apostel Johannes als der einzig übriggebliebene Apostel diesem durch die sieben Ge­meinden bezeichneten Arbeitsbezirk gedient hat.

Asia war die römische prokonsularische Provinz Kleinasien. „Die sieben Gemeinden in der Asia“ waren ein bekannter Begriff, wie aus der Tatsache geschlossen werden kann, dass dem Schreiber die Nennung von Namen überflüssig erscheint. Die Siebenzahl, die hier in der Apokalypse zum ersten Mal erscheint und in dem Buch eine so entscheidende Rolle spielt, ist nicht zufällig oder gar will­kürlich, sondern unter Gottes Führung geworden als charakteris­tische Symbolzahl für alle vollkommenen Gotteswerke. Den Kreis der sieben Gemeinden in der Asia durfte Johannes aus eigener Er­fahrung in seinem Dienst als ein solches Vollkommenes erkennen.

Dem prophetisch apokalyptischen Charakter des Buchs ent­sprechend ist der apostolische Segensgruß: „Gnade und Friede“. Das sind die beiden Pole des ganzen Heilswerks, Gnade der Grund und Friede das Ziel. Diese Grußformel erinnert an den paulini­schen Segensgruß. In seinem zweiten Brief setzt Johannes zwi­schen Gnade und Friede noch ein Mittleres, nämlich Erbarmen, d.h. die Brücke zwischen Gnade und Friede, die Betätigung der göttlichen Gnade auf dem Boden der menschlichen Erbärmlich­keit. In der Apokalypse wird Anfang und Ende betont, das A und das O.

Dem besonderen Charakter der Apokalypse entsprechend ist auch die eigenartige Umschreibung des Gottesnamens: „Der Sei­ende und der da war und der Kommende“. Im Alten Bund war der geoffenbarte, nicht auszusprechende Gottesname Jehova oder Jahwe (vgl. 2. Mo. 3,14: ähejäh = ich werde sein). Hier in der Apo­kalypse wird der Gottesname erweitert gemäß der erweiterten pro­phetischen Schau in der Kontinuität von Vergangenheit, Gegen­wart und Zukunft. Alle drei Zeitbegriffe sind in Gott, dem Ewigen, eins. Er ist zu gleicher Zeit stets der Seiende, der Gewesene und der Kommende. Als der ewig Seiende ist er sowohl der Gott der Geschichte, die beständig vorübergeht und der Vergangenheit ver­fällt, als auch der Gott der Vollendung, der beständig Kommende. Paulus sagt von diesem Gott der Geschichte: „Gekannt von Äon her sind Gott alle seine Werke“ (Apg. 15,18). Damit will er sagen, dass für Gott, den ewig Seienden, sowohl Vergangenheit als auch Zukunft beständig gegenwärtig ist. Er ist der unveränderlich Sei­ende als der da war und auch als der Kommende. Durch diesen umschriebenen Gottesnamen als Ursprung von Gnade und Frie­de wird das ganze in der Apokalypse dargestellte Werden in das göttliche Einheitsband der Ewigkeit (der Seiende) zusammengefasst und ist verbunden mit der Urschöpfung (der da war) und mit der Weltvollendung (der Kommende).

So wird in der Apokalypse der Gottesname in Zeichen (vgl. Vers 1), in einem Monogramm, dargestellt. Auffallend ist dabei, dass dieses Monogramm im griechischen Text undekliniert da­steht, also: von „der Seiende und der da war und der Kommende“.

Zu dem Gottesnamen fügt Johannes hinzu: „und von den sie­ben Geistern, welche angesichts seines Throns“. Ehe in diesem Segensgruß von Jesus Christus gesprochen wird, werden die sie­ben Geister erwähnt, gleichsam als Zwischenglieder. Hier ist nicht etwa vom Heiligen Geist in seiner Siebenfältigkeit die Rede, son­dern von sieben Throngeistern. Sie bilden die Elite der Engel– oder Geisterwelt. Es handelt sich hier keineswegs darum, die immanen­te göttliche Dreieinigkeit darzustellen, sondern um Veranschauli­chung des göttlichen Weltwirkens vom Zentrum, vom Thron aus (vgl. 1. Tim. 5,21). Die vom Thron ausgehenden dynamischen Kräf­te werden verwaltet durch diese sieben Throngeister. Außer die­sen gibt es noch Throne und Herrschaften und Autoritäten und Vollmachten (Kol. 1,16). Diese sieben Throngeister werden in Aus­übung ihrer Mission auch als sieben Feuerfackeln (Kapitel 4,5) und als sieben Augen (Kapitel 9,6) bezeichnet.

Die Siebenzahl liegt der Welt schöpfungsmäßig zu Grunde. In der Sieben kommt das göttliche Schaffen zur Vollendung, zur Sab­batruhe. So bezeichnet die Sieben den Abschluss einer göttlichen Schöpfungsökonomie, nicht nur der Urschöpfung, sondern auch der neuen Schöpfung in Christus. Letzteren Abschluss behandelt die Apokalypse. Daher ist die Siebenzahl in der Apokalypse fun­damental.

Das ganze Werden bis zur Vollendung vollzieht sich in Siebenheiten. An der Spitze des Ganzen stehen die sieben Throngeister. Als Letzter in der Vermittlung von Gnade und Frieden wird Jesus Christus genannt.

„Und von Jesus Christus, der treue Zeuge, der Erstge­borene der Toten und der Fürst der Könige des Landes.“ (1,5)

Entsprechend dem symbolischen Monogramm Gottes in Vers 4 ist auch das symbolische Monogramm Jesu Christi in Vers 5 drei­teilig. Und ebenso wie das erstere kann auch das letztere nicht de­kliniert werden. Wie wir bereits in Vers 4 erkannten, haben wir es hier nicht mit einer Darstellung der immanenten göttlichen Trinität (Dreieinigkeit) zu tun, sondern mit der Schilderung des göttli­chen ökonomischen Thronwirkens zur Weltvollendung. Es dreht sich hier nicht um die Heilsgeschichte, sondern um die Reichs­geschichte, nicht um Erlösung und Versöhnung, sondern um die Errichtung des Gottesreichs und die Zubereitung der Mitarbeiter. Daher erscheint Jesus Christus hier nicht in seiner Wesenheit als der Sohn, sondern in seinen Funktionen in Verbindung mit dem Gottesreich, in seiner geschichtlichen Weltstellung.

Als solcher ist er der Jesus, der als Menschensohn das Erlö­sungswerk vollbrachte und als der Christus erhöht wurde auf den Thron zur Rechten des Vaters, also der Jesus Christus. Das Heils­werk in Christus wird in der Apokalypse von Anfang bis Ende vor­ausgesetzt. Es ist das Fundament der göttlichen Reichsökonomie. Jesus Christus wird hier nach den drei Hauptcharakterzügen sei­nes ökonomischen Wirkens gekennzeichnet.

Die drei ökonomischen Charakterzüge Jesu Christi entsprechen genau dem Bild, das im Alten Testament von dem verheißenen großen Davididen gezeichnet wird in Ps. 89,28.38. In Ps. 89 wird die siegreiche Aufrichtung des ewigen Bundes des davidischen Königtums beschrieben und dabei besonders die Gnade und Wahr­heit Gottes gerühmt. Wenn nun in der Apokalypse die Königs­herrschaft Jesu Christi dargestellt werden soll, so geschieht es in Verbindung mit der Verheißung vom ewigen davidischen König­tum. Auf diesem Boden kommt es zur Auseinandersetzung mit den Weltreichen. Wenn es sich darum handelt, dass Jesus Chris­tus seine Königsrechte geltend macht, so geschieht das stets auf dem Weg des Leidens und Opfers. Er reißt die Herrschaft nicht wie ein Usurpator mit Gewalt an sich, sondern er erwirbt sein Kö­nigreich von Gott auf dem bestimmten legalen Weg durch den Tod des Kreuzes. Deshalb ist auch das Lämmlein der Schlüssel zum Verständnis des Geheimnisses Gottes.

Als solcher ist Jesus Christus in erster Linie der treue Zeuge. Seine Königsherrschaft fängt mit dem Zeugnis an. Vor Pontius Pi­latus hat er das gute Bekenntnis seiner Königswürde bezeugt (vgl. 1. Tim. 6,13; Joh. 18,33–37). Das war zugleich der erste Zusammen­stoß zwischen der Königsherrschaft Jesu Christi und weltlichem Imperium. So wurde Jesus Christus auch zum Blutzeugen, zum Märtyrer. Er musste sterben.

Aber er blieb nicht im Tode. Er wurde der Erstgeborene der To­ten. Als Ewiggeborener oder Einziggezeugter nimmt er unter allen den Vorrang ein (Joh. 1,18), auch als Erstgeborener aus den Toten (vgl. Kol. 1,18). Das ist sein entscheidender Königssieg über alle Gewalt des Todes.

Und nun ist der Weg frei zur restlosen Durchführung seiner Kö­nigsherrschaft. Er ist daher auch jetzt der Fürst der Könige der Er­de (oder des Landes). Die Weltherrschaft des Christus–Imperators geht von Israel, von dem Lande aus. In Kapitel 19,16 erscheint er als der Königsbräutigam, der von Israel aus über die Nationen herrscht mit eisernem Zepter. Geht es auch durch große Gerichte, so ist doch das Ziel die Errichtung eines universalen Friedensreichs für die ganze Erde. Gnade und Friede kommt durch ihn zur Herr­schaft. Dafür gebührt ihm Danksagung und Huldigung, wie es im Folgenden zum Ausdruck kommt.

„Ihm, der uns liebt und löst (andere Lesart: wäscht) aus unseren Sünden mit (in) seinem Blut, und er macht uns zu einem Königreich und zu Priestern seinem Gott und Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Ge­walt in die Äonenvollendung hinein. Amen.“ (1,5–6)

Werden schon im apostolischen Segenswunsch die wichtigs­ten Charakterzüge Gottes und Jesu Christi angedeutet, die in der Apokalypse bei der Durchführung der Gottesherrschaft im Vorder­grund stehen und dem ganzen Buch sein besonderes Gepräge verleihen, so werden in der Doxologie (Verse 5–6) die Grundakkorde angeschlagen für den großen Siegeshymnus, der das ganze Buch durchtönt. Wieder haben wir eine Dreiheit, und zwar hier in Bezie­hung auf die Heranbildung der Knechte Gottes für das Königreich durch den König Jesus Christus.

- Das Fundamentale ist dabei seine alles beherrschende Liebe. „Der uns liebt“, nicht nur einmal geliebt hat, sondern fort­während, unaufhörlich liebt (vgl. Joh. 15,9.13), auch gerade im Durchrichten (Offb. 3,19), wie es in den sieben Sendschrei­ben zum Ausdruck kommt.

- Daher wird zweitens betont: „und uns löst aus unseren Sünden“. Ohne wirkliche Befreiung von der Macht der Sünde gibt es keinen Dienst im Königreich des Christus. Die Les­art: „der uns wäscht“ ist wohl abzulehnen, da sie nicht recht zum Zusammenhang passt. Übrigens wird man nicht gewa­schen aus den Sünden, wohl aber von den Sünden. Aber die Befreiung erfolgt aus den Sünden. Es entspricht dem Reini­gen von den Sünden (1. Joh. 1,7), was ebenfalls durch das Blut Jesu Christi zustande gebracht wird (vgl. Hebr. 9,14). Dasselbe Blut Jesu Christi, durch das wir versöhnt worden sind mit Gott und erlöst von unserer Sündenschuld, ist das Mittel zu unserer wirklichen Befreiung aus der Sündenherr­schaft. Nicht eigene Anstrengung kann uns frei machen, son­dern vertiefte Gnadenerfahrung, gläubige Aneignung des Verdienstes Jesu Christi und gläubige Gemeinschaft seines Todes.

- In dem Maß, in dem er uns lösen und freimachen kann, macht er uns passend für den künftigen Königspriester­dienst. Er macht uns tatsächlich zu einem Königreich, zu Priestern seinem Gott und Vater. In 2. Mo. 19,6 heißt es: „Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Na­tion sein“, und in 1. Petr. 2,9 lesen wir: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ei­ne heilige Nation“, mit der Hinzufügung: „ein Volk zur Aneignung (in Vollbesitz hinein)“. So wie die Tempellinie durch Israels Verstockung an die Gemeinde übergegangen ist (vgl. 2. Kor. 6,16), so auch der Königspriesterdienst. Wohl sagt Paulus in Röm. 11,29 im Blick auf Israel: „Denn unbereubar sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes“, aber es können Berufsziele verfehlt werden. Gott sorgt dann schon dafür, dass ein Ersatz nach seiner Gnadenwahl die Be­rufung überströmend zur Erfüllung bringt. „Seinem Gott und Vater“ kennzeichnet die ganze herrliche Größe der Er­füllung.

Hier in Kapitel 1,6 wird das große Thema und damit die einzel­ne Tendenz, das angestrebte Ziel des ganzen Buchs gezeigt: Die Er­ziehung der Überwindergemeinde zum Königspriesterdienst. Dass die­ses Thema die Hauptlinie ist, die das ganze Buch durchzieht, wird am Schluss desselben bekräftigt durch den Herrn selber, wenn er bezeugt: „Ich, Jesus, sende meinen Engel, euch dieses tatsäch­lich zu bezeugen (Aorist) über die Gemeinden“ (Kapitel 22,16). Es heißt da nicht: „an die Gemeinden“, wie es wohl unrichtig über­setzt wird, sondern: „über (epi mit Dativ) die Gemeinden;“ (zu „bezeugen über“ vgl. Hebr. 11,4).

„Ihm sei die Herrlichkeit und die Gewalt in die Äo­nenvollendung hinein. Amen.“ (1,6; vgl. 1. Petr. 4,11)

Die Majestät und Reichsgewalt gebührt ihm. „Er muss könig­lich herrschen, bis er alle seine Feinde unter seine Füße gelegt hat. Wenn aber das All ihm untergeordnet ist, dann wird auch der Sohn selber untergeordnet sein dem, der ihm das All un­terordnet, auf dass Gott sei alles in allem“ (1. Kor. 15,25.28). Der Ausdruck: „in die Äonen der Äonen“ ist ein Hebraismus, ähnlich wie die Bezeichnung des Allerheiligsten im Tempel als „Heiligtü­mer der Heiligtümer“ (Hebr. 9,3). Wie letzteres nicht eine unend­liche Reihe von Heiligtümern hintereinander bezeichnen soll, so meint auch der Ausdruck „Äon der Äonen“ nicht eine unendliche Reihe von Äonen hintereinander, sondern ein Vollendungsziel, ein Allerheiligstes der Äonen, die Äonenvollendung. Diese wird er­reicht, wenn Gott sein wird alles in allem. Mit einem feierlichen Amen schließt Johannes selber das Grußwort.

„Siehe! Er kommt mit den Wolken, und sehen wird ihn jedes Auge, auch die, welche ihn durchstechen, und wehklagen werden über ihn alle Stämme des Landes.Ja, Amen!“ (1,7)

In diesem Wort sucht Johannes im prophetischen Geist das bis­herige prophetische Zeugnis von dem zweiten Kommen des Men­schensohns zusammenzufassen. Wir finden hier eine gerade Linie von Dan. 7,13 und Sach. 12,10 über Mt. 24,30 (26,64) und Joh. 19,37 bis Offb. 1,7. Es ist nicht gerade das Thema der ganzen Apokalyp­se, aber wohl will der Verfasser den Blick auf den Kardinalpunkt ausrichten. Deshalb beginnt er mit der Aufforderung: „Siehe!“ Es handelt sich um das Wiederkommen des Menschensohns in engs­ter Verknüpfung mit dem, was sein erstes Kommen erbracht hat. Er kommt wieder als der Gekreuzigte und nun über alles Herr­schende. Dadurch wird das große messianische Rätsel für das alttestamentliche prophetische Schauen gelöst. Auf dem Boden der alttestamentlichen Prophetie war das Kommen des Messias noch nicht differenziert. Man erwartete nur ein einziges Kommen in kö­niglicher Herrlichkeit und Gewalt zur Aufrichtung des Reichs.

Das Bild des leidenden, ja des durchstochenen Messias war ein quälendes Rätsel. Jesus gab seinen Jüngern die Lösung, aber für das jüdische Volk bleibt die Decke auf ihren Herzen beim Le­sen des Alten Bundes bis sie einst fortgenommen werden wird (2. Kor. 3,14–16).

Johannes lenkt nun den Blick auf dieses zukünftige große Er­eignis mit seinen gewaltigen Auswirkungen. Durch das Kommen des Herrn mit den Wolken wird ein radikaler Szenenwechsel ein­treten. Jedes Auge wird ihn sehen, auch die, welche ihn durchstechen, und der Erfolg wird sein, dass alle Stämme des Landes über ihn wehklagen werden. Hier stehen wir wieder vor einem neuen Rätsel. Wir fragen uns, ob dies allgemeine Wehklagen schon zur ra­dikalen Volksbuße führen wird, wie wir es nach den prophetischen Aussagen erwarten müssen (vgl. Sach. 12,10–14). In der Apoka­lypse erhalten wir ein scheinbar ganz anderes Bild von Israels Volkswiedergeburt, und doch besteht kein Widerspruch zwischen der in Kapitel 1,7 zusammengefassten alttestamentlichen prophe­tischen Erwartung und dem endgeschichtlichen Bild der Apoka­lypse. Letzteres ist die weitere Enthüllung Jesu Christi.

Beachten wir, dass zunächst der Schmerz, das Wehklagen be­tont wird. Das mag schon andeuten, dass die eigentliche radikale Wiedergeburt erst nach großen und schweren Gerichtswehen er­folgen wird. Mit „Ja, Amen“ schließt dieser Ausspruch, um die Wichtigkeit und Zuverlässigkeit desselben zu betonen. Die dop­pelte Versicherung in griechischer (ja) und hebräischer (amen) Sprache ist das Echo der universalen Gemeinde. Die Verbindung dieser beiden Aussprüche ist wichtig und für das Verständnis der Apokalypse entscheidend; denn es handelt sich in ihr um die Dar­stellung des Königspriesterdienstes der Gemeinde zunächst an Is­rael und nach der Wiederherstellung Israels als Braut und Frau des Lammes, als neues Jerusalem vom Himmel her, um die Welter­neuerung und Weltvollendung.

So finden wir die ungebrochene große Linie wieder, dass die Rettung der Nationen von Zion–Jerusalem ausgehen soll. Der Grundsatz: „Das Heil kommt von den Juden“ bleibt und wird bis zuletzt durchgeführt. Welche Berufung dabei die aus den Juden und Nationen herausgerufene Gemeinde zu erfüllen hat, das ist bereits klare paulinische Lehre, die wir in der Apokalypse endge­schichtlich dargestellt wiederfinden. Das Thema könnte demnach lauten:

Der Königspriesterdienst der Gemeinde zur Wiederherstellung Israels und zur Weltvollendung.

Trotzdem steht aber die Gemeinde und auch Israel nicht im Mittelpunkt der Darstellung, sondern der kommende Christus: „Siehe! Er kommt mit den Wolken“. Die Wolke wird nicht mehr, wie im Alten Bund, die Herrlichkeit verhüllen, sondern sie wird gleichsam sein Thron sein. Er kommt nicht in der Wolke, sondern mit den Wolken, für alle sichtbar. In Kapitel 14,14 heißt es: „Siehe, eine weiße Wolke, und auf der Wolke hinsitzend einen gleich ei­nem Menschensohn“. In Kapitel 14,15 sitzt er bereits auf der Wol­ke. Das Sitzen auf der Wolke ist ein Bild der völligen Herrschaft über die Wolke. Die Wolke an sich ist ein Bild sowohl des Gerichts als auch des Segens. Mit den Wolken kommen (vgl. Mk. 14,62) weist hin auf seine Funktion als Richter. Wie die Richterherrlich­keit des Herrn sich auswirkt auf die Gemeinde, auf Israel, auf die Nationenwelt, das erfahren wir in der Apokalypse.

- Ehe Israels Wiederbringung stattfinden kann, muss die Ge­meinde durchgerichtet und zur Vollreife des vollkommenen Mannes, zum Maß des Vollwuchses der Fülle des Christus gekommen sein.

- Und ehe es zur Welterneuerung kommen kann, muss aus der großen Hure, der Babel, die Frau des Lämmleins, das neue Jerusalem geworden sein.

Das alles wirkt der mit der Wolke Kommende. Mit gespannter Erwartung schaut das Glaubensauge nach ihm aus.

Es ist auffallend, welches Gewicht auf die Erfüllung der spe­ziell israelitischen Heilserwartung gelegt wird. Daraus dürfen wir allerdings nicht den Schluss ziehen, dass es sich in der Apokalyp­se ausschließlich um jüdische Eschatologie handelt. Wohl aber soll der Blick auf die Bedeutung der israelitischen Volkswiedergeburt gelenkt werden. Im Zusammenhang damit müssen wir im Auge behalten, dass es kurz vorher heißt: „Er macht uns zu einem Kö­nigreich und zu Priestern seinem Gott und Vater“.

„Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Kyrios, der Gott, der Seiende und der war und der Kommende, der Allgewaltige.“ (1,8)

Damit drückt der Herr selber das Siegel auf diese Herzensein­stellung des gläubigen Ausschauens nach der Erfüllung der Prophetie. Wer ist nun dieser „Ich (ego) bin“? In Vers 17 wird derselbe Ausdruck von Christus gebraucht, den Johannes in seiner Richter­herrlichkeit geschaut hat. Der Satz in Vers 11: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte“ fehlt in den besseren Handschriften. In Kapitel 21,6 sagt der auf dem Thron Sitzende: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende“. Aus den angeführten Stellen geht hervor, dass diese Titel sowohl Gott, dem Vater, als auch Christus, dem Sohn, eignen. Als das Wort (logos) ist Christus der Offenbarer des unsichtbaren Gottes; also ist alles, was sichtbar, erkennbar wird von Gott, auch die Gesichte in der Apokalypse von dem Thronenden, durch Christus vermittelt. So erklärt sich auch, dass die obigen Titel sowohl dem unsichtba­ren Gott als auch dem erscheinenden Christus beigelegt werden.

In Christus tritt Gott, der „Ich bin“ oder „der Seiende“, in die Erkennbarkeit ein, als das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Alpha und Omega sind der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Die For­mel Alpha und Omega bezeichnet den ganzen Schriftinhalt von A bis Z. Christus ist der Inhalt der Offenbarungsgeschichte der Hei­ligen Schrift. Er sagt von den Heiligen Schriften: „Dieselben sind es, die von mir zeugen“ (Joh. 5,39). Im Anschluss an Vers 7, wo von der Erfüllung des prophetischen Wortes die Rede ist, ist es verständlich, dass der Blick gelenkt wird auf Christus, den Erfüller selbst, das Alpha und das Omega.

„Spricht Kyrios, der Gott“. In seinem Evangelium betont Jo­hannes von vornherein die Gottheit Christi, wenn er sagt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war zu Gott hin, und das Wort war Gott“ (ohne Artikel). „Der Seiende, der da war und der Kommende“ ist derselbe Titel, wie in Vers 4 von Gott ausgesagt wird. Dieser Ausdruck wird im Lauf der Darstellung differenziert in „der Erste und der Letzte“, „der Anfang und das Ende“. Er um­fasst Zeit und Raum, Geschichte und allumfassende Herrschaft.

Als Erfüller ist er der Allgewaltige oder Allherrscher (pantokrator). Dieser Name, der für die Apokalypse charakteristisch ist, und sonst nur noch einmal, von Paulus, gebraucht wird (2. Kor. 6,18), kommt dem Herrn zu, weil er derjenige ist, dem alle Vollmacht vom Vater übergeben wurde (vgl. Mt. 28,18). „Aus ihm und durch ihn und in ihn hinein ist das All“ (Röm. 11,36). „Das All ist durch ihn und hinein in ihn erschaffen, und er selbst ist vor allem, und das All besteht zusammen in ihm“ (Kol. 1,16–17). Ihm gebührt die Herrlichkeit und die Gewalt (kratos) in die Äonenvollendung hinein (vgl. Vers 6). Daher ist er auch der Allgewaltige, der Pantokrator (vgl. Offb. 4,8; 11,17; 16,7.14; 19,6.15; 21,22).