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Das Matthäus-Evangelium in prophetischer Schau

Ansicht Cover Band1 "Das Matthäus-Evangelium in prophetischer Schau" ist ein heilsgeschichtlicher Bibelkurs, in dem das Wort nach einem bestimmten Lehrplan durchgenommen wird. Dabei wird nicht von Vers zu Vers vorangegangen, sondern es werden thematische Schwerpunkte gesetzt. Dieser Bibelkurs bringt Querschnitte durch die gesamte Heilsgeschichte.

Heinrich Langenberg ist es wichtig, aufzuzeigen, dass das Matthäus-Evangelium die Mitte zwischen den prophetischen Büchern und den paulinischen Schriften bildet und somit geeig-net ist, die großen heilsgeschichtlichen Verbindungslinien deutlich zu machen. Das vorlie-gende Buch wird von der prophetischen Schau aus behandelt. Das Vertrautsein mit dem Prophetismus und ein klarer Blick für das prophetische Totalbild sind notwendige Vorausset-zungen für ein rechtes Verständnis.

Als Anhang enthält dieses Buch neben einem Bibelstellenverzeichnis auch ein ausführliches Personen- und Sachregister, das nicht nur einen Überblick über die verschiedenen Inhalte gibt, sondern auch als Nachschlagwerk genutzt werden kann.

"Das Matthäus-Evangelium in prophetischer Schau" erscheint in 2 Teilbänden und umfasst 836 Seiten.

Teil I Brosch., 23,00 €
ISBN 3-00-016211-9
Bestellnummer: 1261

Teil II Brosch., 23,00 €
ISBN 3-00-016212-7
Bestellnummer: 1262

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Ausschnitte zum Probelesen




Inhaltsverzeichnis

Überschriften sind im Inhaltsverzeichnis zum Teil verkürzt wiedergegeben worden


Teil I

Vorwort 11
 
1 Einführung 13
1.1 Warum Matthäus in prophetischer Schau? 15
1.2 Das Buch des Werdens Jesu Christi 18
1.3 Das Christusgeheimnis in Matthäus 23
1.4 Christus als das PLÄROMA der Heilsgeschichte 27
1.5 Was bedeutet Fülle (PLÄROMA)? 28
 
2 Darstellung der prophetischen Linien 31
2.1 Die Einteilung des Matthäus-Evangeliums 31
2.2 Die Straße nach dem Meer 33
2.3 Das Gericht über Israel 39
2.4 Die große Wende 43
2.5 Zehn Belehrungen in Verbindung mit der Wüste 46
2.6 Die sieben Berge im Matthäus-Evangelium 54
2.7 Das Sichzurückziehen Jesu 61
2.8 Gott als der König 68
2.9 Der davidische König 71
2.10 Der Messiaskönig 73
2.11 Der König der Juden 77
2.12 Christus, der König in Knechtsgestalt 83
2.13 Der Priesterkönig 91
2.14 Königtum Gottes und Königtum des Christus 95
2.15 Das Königreich 99
2.16 Der Begriff "Königreich" 106
2.17 Das Königreich des Christus 114
2.18 Das Königreich der Himmel 117
2.19 Die Entwicklungsgeschichte des Königreiches 121
2.20 Das Königreich der Himmel ist nahe gekommen 122
2.21 Zerbruch des Vorläufers Jesu 125
2.22 Jesu Zeugnis von Johannes dem Täufer 127
2.23 Der Kleinere im Königreich der Himmel 129
 
3 Erster Teil des Christuswirkens 131
3.1 Evangelium des Königreichs 134
3.2 Die zehn Heilungswunder 135
3.3 Aussendung der zwölf Apostel 137
3.4 Die verlorenen Schafe des Hauses Israel? 138
3.5 Das Königreich vergewaltigt und beraubt 139
 
4 Die große Wende im Christuswirken 142
4.1 Zweiter Teil des Christuswirkens 144
4.2 Die Scheidung der Geister 144
4.3 Das Königreich der Himmel verhüllt 145
4.4 Die Königreichsgleichnisse 150
4.5 Das Aufschließen des Königreichs der Himmel 152
 
5 Die Gemeinde und das Königreich der Himmel 154
5.1 Dritter Teil des Christuswirkens Jesu 154
5.2 Das Königreich der Himmel verschlossen 156
5.3 Die Durchführung der Königsherrschaft 159
5.4 Das Gesetz der Totalität 162
5.5 Aufbau der acht Seligpreisungen in Mt. 5,3-12 172
 
6 Christus, Erfüller von Gesetz und Propheten 201
 
7 Die bessere Gerechtigkeit der Jünger 212
 
8 Das Vollkommenheitsgesetz 215
 
9 Das Totalitätsgesetz Jesu 216
 
10 Eure Frömmigkeit nicht wie die der Heuchler! 225
 
11 Euer Trachten nicht wie das der Heiden! 229
11.1 Das neue Tun im idealen Streben 231
11.2 Das neue Sein in der Weltanschauung 232
11.3 Das neue Werden im Alltag des Lebens 236
 
12 Die Bergpredigt: Zusammenhang und Aufbau 239
 
13 Der Weg zur Gemeinschaft 241
13.1 Nicht richten, sondern Seelsorge 241
13.2 Das Aufgeben jeder negativen Einstellung zum
Bruder 242
 
14 Die enge Pforte und der enge Weg 252
15 Gemeindegebet 271
15.1 Gott, der Vater 272
15.2 Die Wirklichkeit Gottes 276
15.3 Die Überwindung des Übels 295
 
16 Die zehn Heilungswunder in Mt. 8 und Mt. 9 299
 
17 Die Heilungswunder in der Volksmission 323
 
18 Der Erfolg der Volksmission 326
 
19 Die Heilungswunder Jesu 328
 
20 Das Zeichen des Propheten Jona 342
 
21 Christuswirken unter den Volkshaufen 346
 
22 Hungernde Volksmenge, werdende Gemeinde 351
22.1 Die Speisung der Fünftausend 357
22.2 Die Nachtfahrt über das Meer 360
22.3 Volksheilungen 366
22.4 Menschensatzungen verworfen 368
22.5 Weiteres Zurückweichen Jesu 379
22.6 Heilung der Tochter der kananäischen Frau 380
22.7 Massenheilungen auf einem Berge 384
22:8 Zweites Volksspeisungswunder 385
22.9 Zeichenforderung der Pharisäer und Sadduzäer 388
22.10 Der Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer 393
 
 

Teil II

 
23 Die Gemeinde (EKKLESIA = Herausgerufene) 407
23.1 Die Titel Jesu 408
23.2 Meine Gemeinde 435
23.3 Die werdende Kreuzesgemeinde 448
23.4 Auf dem Verklärungsberge 463
23.5 Das Gespräch auf dem Wege den Berg hinab 472
23.6 Heilung des dämonischen Knaben 475
23.7 Zweite Leidensverkündigung 482
23.8 Die Tempelsteuer 484
23.9 Die totale Revolution in der Nachfolge Jesu 487
23.10 Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg 529
23.11 Durch Leiden zum Herrschen 537
23.12 Beginn des Königszuges in Jericho 542
23.13 Königseinzug in Jerusalem 545
23.14 Einzug des Priesterkönigs in den Tempel 548
23.15 Verfluchung des unfruchtbaren Feigenbaumes 553
23.16 Die Vollmachtsfrage 558
23.17 Die drei Tempelgleichnisse 560
23.18 Der Kampf Jesu mit den Parteien des Tempels 573
23.19 Wehe über die Schriftgelehrten und Pharisäer 587
23.20 Jesu Abschied vom Tempel 590
23.21 Die Lösung der Gemeinde vom Tempel 593
23.22 Die große eschatologische Rede Jesu 594
23.23 Der treue, verständige und der schlechte Knecht 620
23.24 Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen 622
23.25 Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten. 629
23.26 Das Völkergericht 635
 
24 Das Opferlamm und die Erlösung (Loskauf) 641
24.1 Die Königssalbung zu Bethanien 644
24.2 Das Werden des Verräters 647
24.3 Das letzte Passahmahl 648
24.4 Das Gedächtnismahl für die Gemeinde 653
24.5 Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut. 654
24.6 Der Gang zum Ölberg 657
24.7 Gethsemane 660
24.8 Verrat und Gefangennahme 666
24.9 Der Menschensohn überliefert 668
24.10 Des Petrus' Verleugnung 671
24.11 Den Heiden überliefert 673
24.12 Judas Ende 674
24.13 Jesus vor Pilatus 677
24.14 Das Kreuz 681
24.15 Golgatha 685
24.16 ln den tiefsten Tiefen allein gelassen 687
24.17 Die ersten Wirkungen des Todes Jesu 696
24.18 Das Grab Jesu 699
 
25 Der Lebensfürst 701
25.1 Die ersten Osterboten 703
25.2 Dem Glaubensgehorsam folgt das Schauen 705
25.3 Die innige Anteilnahme der Engel 707
25.4 Die große jüdische Lüge 708
25.5 Der große Missionsauftrag 709
 
Bibelstellenverzeichnis 719
 
Sachregister (Seiten 800 bis 804 als PDF) 769

Hinweis zum Gottesnamen "Jehova"
Schriftgrösse im Buch: 11

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Vorwort

Material für Arbeitsgemeinschaften, so lautet die immer dringender werdende Bitte der vielen „Bibelkursfreunde“, um die uns vom Herrn der Gemeinde zugewiesene Aufgabe weiterzuführen. Die-se Bitte soll hiermit erfüllt werden, indem uns ein inniges Band der Bruderschaft verbindet, welches darin seinen erfreulichen Aus­druck findet, dass nicht nur eine Lesergemeinde von Liebhabern des prophetischen Wortes durch diese Darbietungen mit dem ge­wünschten Lesestoff versorgt wird, sondern dass auch eine wirk­liche Arbeitsgemeinschaft vorhanden ist, die sowohl in kleineren Kreisen den gebotenen Stoff zur Vertiefung der Schrifterkenntnis durcharbeitet, als auch durch praktische Mitarbeit an der lebendi­gen Gestaltung dieses Buches aktiv Anteil nimmt. So weit es der verfügbare Raum gestattet, sollen eingesandte Fragen und Beiträ­ge, welche geeignet sind, der ganzen Lesergemeinde zu dienen, jeweils in der folgenden Lieferung Verwendung finden.

 

„Heilsgeschichtlicher Bibelkursus für Arbeitsgemeinschaften“, dieser Titel soll unser eigentliches Anliegen zum Ausdruck brin­gen. Es soll ein Bibelkursus sein, d. h. wir besprechen das Wort nach einem bestimmten Lehrplan. Bewusst weichen wir dabei ab von alten Methoden. Es wird der Text nicht Kapitel für Kapitel und Vers für Vers durchgenommen, sondern ein biblisches Buch als Ganzes nach großen Linien und Grundbegriffen behandelt. Die gesammelte Erfahrung in der Bibelkursarbeit hat uns hierin den Weg gewiesen. Wir entgehen dadurch eher der Gefahr des Ausein­anderreißens von Bibelstellen und der Missachtung der großen Zu­sammenhänge des Wortes Gottes, und andererseits erkennen wir besser die Struktur und den Charakter der einzelnen biblischen Bücher, sowohl in ihrer Besonderheit, als auch in ihrer Einordnung in das Ganze der göttlichen Offenbarung. Es ist deshalb ein heils­geschichtlicher Bibelkursus, d. h. er bringt Querschnitte durch die gesamte Heilsgeschichte.

Wenn wir nun mit dem Matthäus–Evangelium den Anfang machen in der Hoffnung, dass andere Bücher folgen werden, so der Herr will, so geschieht das aus dem guten Grunde, weil gera­de dieses Brückenbuch vom Alten zum Neuen Testament geeig­net ist, die großen heilsgeschichtlichen Verbindungslinien aufzu­zeigen. Es bildet die Mitte zwischen den prophetischen Büchern und den paulinischen Schriften. Eine gerade Linie durch alle diese Teile der göttlichen Offenbarungsentwicklung vermittelt uns be­glückende Erkenntnisse.

Das Matthäus–Evangelium soll in prophetischer Schau behandelt werden, weil gerade bei diesem Buch das Vertrautsein mit dem Prophetismus und ein klarer Blick für das prophetische Totalbild notwendige Voraussetzung eines rechten Verständnisses ist.

In dem herzlichen Wunsche, durch dieses Buch allen lieben „Bi­belkursfreunden“, mit denen der Verfasser seit etlichen Jahren sich verbunden weiß, einen Dienst erweisen zu dürfen, legt er dasselbe zu den Füßen unseres hochgelobten Herrn nieder mit der demü­tigen Bitte, es auf seinem Wege zu geleiten und seine Mission zu segnen.

Neu Krenzlin

H. Langenberg

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1 Einführung: Das Matthäus–Evangelium in propheti­scher Schau

Für das rechte Verständnis des Matthäus–Evangeliums ist Zweier­lei unbedingt notwendig: Eine richtige und klare Einteilung und heilsgeschichtliche gerade Linien.

Bei der Einteilung kommt es darauf an, nach dem angemes­senen Einteilungsprinzip zu suchen. Wir dürfen uns dabei nicht durch die Kapitel- und Verseinteilung stören lassen, weil diese im griechischen Urtext nicht vorhanden ist. Der Urtext kennt kein Komma, keinen Punkt und keine äußerlich markierten Abschnit­te. In ihm ist Buchstabe an Buchstabe gereiht ohne jegliche Wort­trennungen. Das Einteilungsprinzip kann also nur aus dem Sachin­halt selber gewonnen werden, indem wir die dem Buche eigentümli­che Struktur nach Grundriss und Querschnitt abtastend und abhor­chend herauszufinden suchen und dabei besonders auf das achten, was dieses wunderbar planvoll aufgebaute Buch selber über seinen Charakter aussagt.

Die geraden Linien sollen den großen heilsgeschichtlichen Zu­sammenhang des Buches mit der Gesamtoffenbarung nachweisen, gemäß dem Worte 2. Tim. 2,15: „Das Wort der Wahrheit recht tei­len.“ Nach einer genaueren Übersetzung muss es heißen: „Für das Wort der Wahrheit gerade Wege schneiden“, die in gerader Rich­tung durch das ganze Wort hindurchführen. Wir werden dabei die beglückende Entdeckung machen, dass diese geraden Wege oder Linien eine bestimmte Zielstrebigkeit haben auf ihre Erfül­lung oder Ausreifung hin.

Christus als die vollkommene Offenbarung des Vaters ist diese Erfüllung. Es ist nun von größter Wichtigkeit, dass wir nicht et­wa von vornherein mit dieser Tatsache als einem fertigen Dogma manövrieren, sondern dieselbe auf Grund heilsgeschichtlicher Li­nienziehung immer wieder aufs neue zu entdecken suchen. Erst dann wird uns das Wort in seiner göttlichen Wahrheitskraft zum lebendigen Besitz.


Wir folgen dabei am sichersten der Methode Jesu und seiner Jün­ger und achten besonders auf das Zitieren alttestamentlicher Bibel­stellen. Gerade die Zitate bieten eine schier unerschöpfliche Fund­grube für das „gerade Wege machen“ im Worte der Wahrheit. Zwischen der zitierten Bibelstelle und ihrer Verwertung muss die große Gerade gezogen werden. Wir dürfen jedoch keine mechani­sche Methode des Wegemachens aufstellen, wie auch andererseits die Linien durch das Wort nicht immer so klar und leicht greifbar zu Tage liegen wie bei den Zitaten.

Es sind auch biblische Grundbegriffe zu klären, wie sie nach Maß­gabe des heilsgeschichtlichen Offenbarungsfortschritts sich entwi­ckelt haben. Dazu gehört ein eingehendes Bibelstudium, das ein­dringt in den Werdegang und den inneren konstruktiven Aufbau der Heilsgeschichte.

Hüten müssen wir uns vor dem Abweg, neutestamentliche Wahrheiten ganz unvermittelt ins Alte Testament hineinzudeuten, um auf diese Weise gewisse Linien zu fabrizieren. Dies wäre der umgekehrte Weg, vom Ende her zurück, anstatt vom Anfangs­punkt ausgehend zum Ziele hin. Selbstverständlich bleibt es Tat­sache, dass das Alte Testament nur im Lichte der Erfüllung richtig verstanden werden kann. Ohne dieses Licht würden wir vielfach den Weg überhaupt nicht finden können, aber die Methode des Wegebauens wird dadurch nicht umgekehrt, sondern erhält erst ihre Orientierung zur Kontrolle der rechten Richtung, damit wir nicht das Ziel verfehlen.

Gerade diese klare Zielsetzung mit ihren großen und schwe­ren Problemen und Rätseln gibt dem Forschen in der Schrift die beabsichtigte Hochspannung, die in dem zunehmenden Licht des Evangeliums durch die Lösung des zentralen Christusgeheimnis­ses ihren Ruhepol findet.

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1.1 Warum das Matthäus–Evangelium in prophetischerSchau?

Wenn hier von prophetischer Schau geredet wird, so müssen wir von vornherein ein mögliches Missverständnis bekämpfen, das leicht dabei entstehen kann. Nicht wir dürfen uns prophetische Gaben anmaßen, als hätten wir die Fähigkeit zu einer besonde­ren Schau. Wir wollen aber ernstlich versuchen, das Matthäus– Evangelium im Zusammenhang mit dem Prophetismus zu verstehen. Dazu bedarf es eines geöffneten Auges, das geübt ist an dem, was die Propheten geschaut haben. Von der hohen Plattform der Pro­pheten aus können und sollen auch wir schauen lernen, um die Heilswege Gottes zu erkennen.

Die Stellung des Matthäus–Evangeliums unter den Schriften der Bi­bel ist bedeutungsvoll. In dem alten griechischen Kanon (= Richt­schnur und Liste; Zusammenfassung der biblischen Schriften) des Neuen Testaments, der etwa um 200 n. Chr. allgemein anerkannt war, stehen die vier Evangelien und die Apostelgeschichte un­ter einer gemeinsamen Überschrift, um anzudeuten, dass diese fünf Schriften aufs engste zusammen gehören. Das Matthäus–Evangelium hat dabei immer an der ersten Stelle gestanden und somit die eigentliche Brücke zwischen dem Alten und Neuen Tes­tament gebildet. Wie wir weiter unten ausführen werden, hat die­ses Evangelium auch den besonderen Charakter für diese Brücken­aufgabe. Es ist die direkte Fortsetzung des alttestamentlichen Prophetis­mus, die Erfüllung, das PLÄROMA, die reife Frucht, das Endresultat der bisherigen Offenbarungswege Gottes. Es kann mit Recht Fülle–Evangelium genannt werden. Deshalb kommt auch auffallend oft der Ausdruck vor: „auf dass die Schrift erfüllt würde“.

Die Stellung des Matthäus–Evangeliums unter den vier Evangelien. Die vier Evangelien sind unter dem Walten des Heiligen Geistes ausgesondert worden aus einer größeren Menge ähnlicher Evan­geliumsschrif ten und dem Kanon eingegliedert. Darin dürfen wir Gottes weise Absicht erkennen. Viel ist von jeher über den un-terschiedlichen Charakter dieser vier Schriften nachgedacht und

auch geschrieben worden. Wir haben hier nicht Raum und Zeit ge­nug, um die höchst interessante Geschichte dieses Meinungskamp­fes ausführlich zu behandeln, sondern beschränken uns auf unsere Aufgabe, an Hand dessen, was diese vier Schriften über sich selbst aussagen, die charakteristische Unterscheidung festzustellen.

Allen vier Evangelien gemeinsam ist die Darstellung der Person und des Werkes Jesu Christi. Es handelt sich dabei durchaus nicht um eine Biographie im modernen Sinne des Wortes. Wir erfahren fast nur von den letzten, entscheidenden Lebensjahren Jesu, von seinem Leiden, Sterben und Auferstehen. Was vorhergeht, ist nur Vorbereitung auf dieses Ziel hin. Wer in den Evangelien eine um­fassende Biographie Jesu sucht, wird schwer enttäuscht sein. Wir können diese Schriften auch nur im Rahmen und Zusammenhang der ganzen Bibel richtig würdigen und verstehen. Alle Strahlen der Offenbarung im Alten Testament konzentrieren sich in der Person Jesu Christi, wie sie uns in den vier Evangelien dargestellt wird. Der Christus vereinigt in sich alles, was an Offenbarung bis dahin gegeben wurde. Und von hier aus gehen wieder die Strahlen nach allen Seiten in die Schrif ten des Neuen Testaments hinein. Christus ist die Zentralsonne der göttlichen Offenbarung.

Das Unterscheidende in den vier Evangelien lernen wir am besten aus dem, was sie selber über sich aussagen.

    ·       Matthäus beginnt damit, dass er die Werdegeschichte Jesu Christi in Verbindung setzt mit der Linie Abraham – David (Mt. 1,1);

    ·       Lukas führt diese Werdegeschichte zurück bis auf Adam und Gott (Lk. 3,38);

    ·       Johannes stellt den Christus dar als den Logos, das Wort, das im Anfang war zu Gott hin und das Gott war (Joh. 1,1);

    ·       Markus gibt uns das Bild des Christus ohne Verbindungsli­nien, wie es unmittelbar von Person zu Person wirkt als Of­fenbarung des unsichtbaren Gottes.


Alle vier Evangelien zusammen geben uns eine allseitige Darstel­lung der Person und des Werkes Jesu Christi. Eine vierfache Bio­graphie würde als unerträglich empfunden werden. Das vierfa­che Zeugnis der Evangelien jedoch bildet ein ergreifendes Wun­derwerk des Heiligen Geistes.

Der Verfasser des ersten Evangeliums ist ohne Zweifel Matthäus, der vor seiner Bekehrung Levi hieß und Zolleinnehmer am See Ge­nezareth war. Er beschreibt die Geschichte seiner Berufung in die Nachfolge Jesu selber ausführlich in Mt. 9,9–13. Als Zöllner und begnadigter Sünder eröffnet gerade er den Reigen der evangeli­schen Geschichte und steht somit passend an der Eingangspforte des Neuen Testaments. „Das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt“ (1. Kor. 1,28).

Die Überschrift (Mt. 1,1) können wir ohne Bedenken auf das ganze Buch beziehen, das dadurch sinnvoll charakterisiert wird: „Buch des Werdens Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Soh­nes Abrahams“. Das griechische Wort Genesis (= Werdegeschich­te) bezeichnet nämlich weit mehr als bloß die Geburtsgeschichte oder den Stammbaum. Dieselbe Bezeichnung wird für das erste Buch Moses gebraucht, das die Werdegeschichte der Menschheit enthält in ihren einzelnen für Gottes Offenbarungsgeschichte be­deutsamen Abstufungen. Das entsprechende hebräische Wort für Genesis heißt Tholedoth und kommt in folgenden zehn Stellen vor: 1. Mo. 2,4; 5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1; 37,2.

Beide Ausdrücke, Genesis und Tholedoth, weisen hin auf den inneren, geburtsmäßigen Zusammenhang, das Gesetz der Solida­rität, die Geschlechts– und Schicksalsverbundenheit. Auf diesem Gesetz beruht auch das Geheimnis des Christus, des Menschen­sohnes. Es ist die wunderbare Verbundenheit des Gottessohnes mit dem Menschengeschlecht. Nur ein solcher, der zugleich beides ist, wahrer Gott und wahrer Mensch, konnte der Retter oder Heiland sein und die Kluft zwischen Gott und der sündigen Menschheit überbrücken in seiner Person. 

Dieses Werden des Menschensohnes fand nach Lukas (Lk. 3,38) auf dem Boden des adamitischen Geschlechts statt, in dem Christus als der letzte Adam und der zweite Mensch (vgl. 1. Kor. 15,45–47) die Linie Adams zu Ende führte und am Kreu­ze zum Abschluss brachte und in sich als dem Haupte eine ganz neue Menschheit (vgl. Eph. 2,15) schuf.

Im Matthäus–Evangelium handelt es sich dagegen ganz klar abgegrenzt um die Werdegeschichte Jesu in der Verbindung mit der Ge­schichte Israels. Diese beginnt mit dem Stammvater Abraham und erreicht in David ihren entscheidenden Gipfelpunkt (vgl. auch die Rede des Stephanus in Apg. 7).

Die gerade Linie Abraham – David – Christus zeigt uns das Matthäus–Evangelium als direkte Fortsetzung der Reichsgottesge­schichte, wie sie mit Abraham ihren besonderen bundesmäßigen Anfang genommen und in David ihre königliche Ausprägung ge­wonnen hat. Diese Linie erhält in dem Christus ihren Ziel– und Vollendungspunkt, also ihre Erfüllung. Die Geschichte Israels wird durch Christus, der solidarisch eins geworden ist mit diesem Vol­ke, zu ihrem gottgewollten Zweck gebracht. Was Israel als Volk nicht vermochte und worin es völlig versagte, das brachte Chris­tus zu Stande und zur Ausführung.

Deshalb musste er die ganze Verheißungs– und Bundesge­schichte Israels innerlich durchleben und sich zu eigen machen. Wo der Faden der Geschichte durch das Versagen Israels gleich­sam abgerissen war, musste Jesus wieder anknüpfen. So musste er als Sohn seinen Anfang nehmen in Ägypten und als Thronerbe in Bethlehem. Wie alle Umstände wunderbar ineinandergreifen, um die Erfüllung der verschiedenen Linien zu ermöglichen, das lernen wir aus den beiden ersten Kapiteln des Matthäus–Evangeliums, der sogenannten Kindheitsgeschichte Jesu.

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1.2 Das Buch des Werdens Jesu Christi

In der Überschrift zur ganzen Buchrolle des Matthäus heißt es wuchtig, vielsagend und in charakteristischer Kürze: „Buch des Werdens Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abra­hams“. Was für das ganze Buch als Thema gilt, wird zunächst in Kapitel 1,1–17 programmartig zusammengefasst und in lebendi­ger Einheit mitten in die Geschichte hineingestellt. Die lange Reihe von angeführten Namen kommt uns Fernstehenden auf den ers­ten Blick und im ersten Eindruck wohl langweilig und ziemlich unwichtig vor. Für das Ohr des in der Schrift lebenden Gläubigen von damals aber bedeutet jeder Name eine ergreifende Geschich­te. Beim Lesen des Matthäus–Evangeliums müssen wir als Gläubi­ge von heute besonders darauf achten, wie beim Anschlagen der verschiedensten Saiten immer das ganze Alte Testament zum Mitklin­gen gebracht wird. Also, ohne tieferes Verständnis der alttestament­lichen Schrif ten bleibt uns das Matthäus–Evangelium in seiner in­nersten Bedeutung verschlossen und stumm.

     Der Charakter der Geschlechtslinie von Abraham bis auf Chris­tus prägt sich aus in ganz bestimmten Zügen. Es kommt Matthä­us nicht so sehr darauf an, einen lückenlosen Stammbaum Jesu Christi nachzuweisen, als vielmehr darauf, das Wesen der solidari­schen Einheit des Menschensohnes mit der theokratischen Heilsgeschich­te ans Licht zu stellen. Jesus, der Christus oder Messias, ist lebens– und schicksalsverbunden mit der Geschichte Israels, die in Abra­ham ihre Wurzel hat. Die Lücken im Stammbaum, z. B. dass Rahab als Ururgroßmutter Davids erscheint (Vers 5), während sie mindes­tens 366 Jahre vor Davids Geburt lebte, und dass zwischen Joram und Usia (Vers 8) die Könige Ahasja, Joas und Amazia, und zwi­schen Josia und Jojachin (Vers 11) der Name Jojakim ausgelassen sind, stören deshalb nicht im Mindesten.

     Wir haben in den angeführten Namen (Verse 2–16) die typische Geschichte des Bundesvolkes Israel, durch welche Gott der Welt den großartigen Anschauungsunterricht gegeben hat für sein Heilswir­ken und seine Heilsgedanken. Es ist die Geschichte der Sünde und der Gnade. Die Linie führt abwärts in die Tiefe mit zunehmender Offenbarung der völligen Hilflosigkeit des Menschen, für den nur noch eine Rettungsmöglichkeit verbleibt, der Heiland, der sich eins macht mit der Menschheit, in die Tiefe hinabsteigt und ein ganz Neues schafft. Die Tendenz des Matthäus–Evangeliums, das Hinab­steigen der Linie in die Tiefen menschlichen Elends und der Sündennot zu markieren, erhält ihre besondere Note durch die betonte Einfü­gung der Namen von vier Frauen (Thamar, Rahab, Ruth, Bathse­ba), die jede in ihrer Weise diese Not besonders illustriert.

Das Werden Jesu Christi in Einheit mit der Geschlechtslinie von Abraham hat noch eine tiefere Bedeutung, die wir hier nur ah­nen können. Im Unterschied zu der Geschlechtslinie Marias in Lk. 3,23–38 heißt es hier in Mt. 1,2–16 in geradezu erdrückender Wiederholung: er zeugte – zeugte – zeugte. Dadurch soll ganz stark betont werden, wie innig der Zusammenhang des Sohnes Gottes mit dem Menschengeschlecht ist, ohne dabei Anteil zu haben an dem Erbverderben. Der Christus kommt her aus den Vätern dem Fleische nach, der Seiende über allen, Gott gepriesen in die Äo­nen (vgl. Röm. 9,5). Es ist und bleibt ein wunderbares Geheimnis, wie der Christus zu gleicher Zeit der ewig Seiende über allen oder über allem ist und doch auch dem Fleische nach der aus den Vä-tern Herauskommende, aus dem Samen Abrahams und Davids. Diese doppelte Linie zieht sich bereits durch die ganze in den Ver­sen 2–16 umrissene Geschichte. Der Christus ist der von Anfang derselben beständig Seiende über allen und auch gleichzeitig der aus den Vätern fortlaufend Kommende. So ist die ganze alttesta­mentliche Heilsgeschichte nicht nur typisch auf Christus hinwei­send, den einstens Kommenden, sondern vielmehr geradezu die Werdegeschichte Jesu Christi in den Vätern bis zu seiner Geburt auf Erden.

Jesus Christus ist die Erfüllung der Geschichte der Theokratie. Theo­kratie heißt Gottesherrschaft, Königtum Gottes. Die Geschichte dieses Königtums in Verbindung mit Israel, dem alttestamentli­chen Offenbarungsvolk Gottes, beginnt mit Abraham, erreicht in David die entscheidende Wende und findet in Christus ihren Ziel­punkt. Wie diese Geschichte, die auf Seiten des Menschen immer mit Bankrott endet, ihr Ziel erreichte in Christus, das nachzuweisen ist Aufgabe des Matthäus–Evangeliums. Es stellt Christus dar als den Erfüller des Alten Testaments und ist deshalb das Fül­leevangelium.

Wenn Paulus in Gal. 3,16 sagt: „Dem Abraham aber wurden die Verheißungen gesagt und seinem Samen. Nicht sagt er: »und den Samen«, wie von Vielen, sondern wie von einem: »und dei­nem Samen«, welcher ist Christus, in welchem sich segnen sol­len alle Nationen der Erde“ (vgl. 1. Mo. 22,18), so ist das keine rabbinische Wortklauberei, sondern die klare Erkenntnis von der Zusammenfassung des ganzen Samens Abrahams in Einem, in Chris­tus. Dasselbe hätte er sinngemäß auch sagen können von dem Sa­men Davids. Es war überhaupt dem Paulus gegeben, tiefer in das Geheimnis der wunderbaren, inneren Lebensverbindung Christi mit der ganzen Menschheit einzudringen und auf Grund dieses Ineinanderaufgehens den Heilsuniversalismus zu erklären (vgl. Röm. 5,12–19). Bei Matthäus ist dieses Geheimnis allerdings nur erst angedeutet.

Die Gottessohnschaft Christi erleidet durch sein Einswerden mit der sündigen Menschheit keine Einbuße. Eindeutig kommt dies zum Aus­druck in Vers 16 durch die plötzliche Unterbrechung des ständig Wiederholten: Er zeugte – zeugte – zeugte. Bei Joseph hört dieser Rhythmus auf und wird ersetzt durch ein Geheimnis, das erst in der zweiten Hälfte des ersten Kapitels erörtert wird. Dies Geheim­nis heißt: geworden aus dem Samen Abrahams und Davids gemäß Fleisch, Sohn Gottes gemäß Geist. Bei seiner menschlichen Geburt war der heilige Geist der Zeugende.

Die Absicht des ganzen Matthäus–Evangeliums ist, Jesus als den Christus (= Messias) darzustellen. Auf dieses Ziel hin ist das gan­ze Alte Testament, vor allem der Prophetismus, ausgerichtet. Das Messiasproblem, das sich wie ein roter Faden durch das ganze Alte Testament hindurchzieht, soll im Matthäus–Evangelium sei­ne Lösung finden. Deshalb treffen wir an der großen Wende in der Mitte des Buches das Christusbekenntnis des Petrus: „Du bist der Christus, der Sohn Gottes, des Lebendigen“ (Mt. 16,16), und am Schluss desselben die Begründung des Todesurteils über Jesus durch seinen Anspruch auf seine Messianität (Mt. 26,63–66).

Sohn Abrahams, Sohn Davids. Mit diesen beiden Namen wer­den die beiden Brennpunkte bezeichnet, um die sich die ganze Heilsgeschichte dreht, die durch das zweitausendjährige Werden von Abraham an in gewaltigem Schwung umspannt wird. Isaak, der Sohn Abrahams, ist der durch das Widderopfer Gelöste, nur noch aus Gnaden Lebende, und Salomo, der Sohn Davids, ist der aus Gnaden Gesegnete, der Erbauer des Tempels. Erlösung und Segnung sind also die beiden Pole, um welche die Jahrtausende der Heilsgeschichte kreisen. Und diese ganze Geschichte findet in Christus ihre Zusammenfassung und Erfüllung.

Nach Vers 17 hat Matthäus eine ganz bestimmte Ordnung der Werdegeschichte Jesu Christi im Auge, wobei die heilige Zahlen­symbolik eine bedeutsame Rolle spielt. Von Abraham bis auf Christus werden dreimal 14 Geschlechter genannt (Maria muss mitgezählt wer­den). Wenn wir auch bei den Deutungsversuchen der biblischen Zahlen größte Vorsicht walten lassen müssen, so sind wir hier doch geradezu gezwungen, eine Deutung zu suchen. Die Richtigkeit der Deutung muss sich aber kontrollieren lassen an der inneren Über­einstimmung mit dem Charakter der angeführten Geschlechtsli­nie. Die Zahl 14 ist offenbar die doppelte 7. Die Sieben bezeichnet nach Analogie der Schöpfungsgeschichte den Zielpunkt der gött­lichen Schöpfungswerke, das Eingehen in die Ruhe, das Erreichen des Zweckes auf einer bestimmten Linie. Die Verdoppelung dient wohl zur Bekräftigung. Die Zahl 3 ist die Zahl Gottes, die Drei­heit in der Einheit, die Zahl der Offenbarung des Wesens Gottes in der Heilsgeschichte (vgl. die Dreiteilung der Kultusstätte). Wenn also von Abraham bis auf Christus dreimal 14 Geschlechter an­geführt werden, so soll damit angedeutet werden, dass in diesem Werdegang die Offenbarung des inneren Wesens Gottes durch die Heilsgeschichte ihr Ziel erreicht hat. Und dieses Ziel ist die Geburt Christi.

 Matthäus stellt im Unterschied zu Lukas die legitime Abstammung Jesu Christi von der königlichen Linie Davids heraus. Während Maria nach Lk. 3,23 durch ihren Vater Eli (der also der Schwieger­vater Josephs war und nach hebräischem Herkommen auch sein Vater genannt wurde) nur von David abstammte aus der Linie des Davidssohnes Nathan, war Joseph tatsächlich der letzte legitime Thronerbe des davidischen Königtums durch die Linie des Davids­sohnes Salomo (Mt. 1,6). In dem Zimmermann Joseph wird das da­vidische Königtum auf seiner untersten Armutsstufe repräsentiert. Aber in Christus sollte die abwärtsführende Linie noch tiefer gehen. Sie sank bis zu dem Grade der Erniedrigung herab, dass das Volk diesen Rechtsanspruch Jesu, der König Israels zu sein, glatt ablehn­te und mit blutigem Hohn beantwortete (Mt. 27).

Durch das Geschlechtsregister in Mt. 1,2–17 wird die unmittel­bare Verbindung zwischen dem Alten Testament und dem Evangelium markiert. Es ist nicht nur ein Zusammenhang der Buchstaben der heiligen Schriften, sondern der durch Jesus Christus verwirklichte Lebenszusammenhang. In ihm hat das ganze Alte Testament sei­nen eigentlichen Bestand, und aus ihm stammt alles, was die neu­testamentlichen Schrif ten künden. Er ist nicht etwa nur der Rück­strahler, der von sich aus erst Licht in das Alte Testament wirft, sondern er ist das A und das O der ganzen Heiligen Schrift.

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1.3 Das Christusgeheimnis im Matthäus–Evangelium

Das Ziel der ganzen heiligen Geschichte des Alten Bundes von Abraham an ist der Messias oder Christus. Er ist nach Mt. 1,1–17, wie wir oben gesehen haben, in solidarischer Schicksalsgemein­schaft so lebensmäßig mit der Geschichte Israels verbunden, dass diese in ihm zusammengefasst und erfüllt, d. h. zu dem von Gott gesetzten Ziel geführt wird. Jesus Christus ist die Erfüllung der Theo­kratie.

Wenn Jesus in Mt. 5,17 sagt: „Meinet ja nicht, dass ich gekom­men bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen“, so versteht er damit nicht den Buchstaben des geschriebenen Wortes, das in

Gesetz und Propheten eingeteilt wird, sondern die Geschichte, den heilsgeschichtlichen Zusammenhang der Gottesherrschaft (Theo­kratie). Jesus ist in seiner Einzigartigkeit als der eingeborene Sohn durchaus nicht geschichtslos, ohne organische Eingliederung in den Geschichtsverlauf, sondern er ist der eigentliche und tiefste Sinn aller Geschichte selber. In ihm kommt die Geschichte zu ihrer Erfül­lung. „Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern tatsächlich zu erfüllen“ (beachte bei diesem Wort den Aorist, der das Tatsäch­liche besonders betont). Paulus, der Geistesbruder des Matthäus, nimmt dieses Wort wieder auf, wenn er in Röm. 10,4 sagt: „Denn Ziel des Gesetzes ist Christus zur Gerechtigkeit jedem Glauben­den“. Die Verwandtschaft zwischen Matthäus und Paulus ist so innig, dass wir die beiden mit großem Nutzen gern nebeneinan­der stellen und gerade Linien ziehen von dem einen zum anderen. Die Lösung des Christusgeheimnisses bei Paulus wird erst dann richtig erfasst, wenn wir das Christusgeheimnis bei Matthäus als Voraussetzung dazu verstehen.

            Was den Propheten nur ahnungsweise in ihrer am Heilshan­deln Gottes geschulten Glaubenslogik aufdämmerte und wovon sie in ergreifenden Worten Zeugnis ablegten, das war die für die fleischliche Vernunft unfassbare Doppelnatur des Christus, der zu­gleich wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Die Idee der Gottessohn­schaft ist geschichtlich und offenbarungsmäßig herausgewachsen aus der Sonderstellung Israels, des erstgeborenen Sohnes Gottes (zu unterscheiden von Christus, dem Eingeborenen oder Einzig­gezeugten). Nur von hier aus müssen wir vorzudringen suchen in das volle Verständnis des Christusgeheimnisses. Diesen heils­geschichtlichen Entwicklungsgang eines biblischen Begriffes, der sich wachstümlich aufbaut, müssen wir gewissenhaft beachten bei unserem auf Übereinstimmung abzielenden Bibelstudium.

            Das Generalthema des Matthäus–Evangeliums ist, wie der Chris­tus als Gottessohn und Menschensohn die Geschichte Israels er­füllt. Gerade dadurch, dass Israel als Volk seinen rechtmäßigen Messiaskönig verwirft, wird das Erlösungswerk ermöglicht und

zur Vollendung gebracht. So widersinnig das auch klingt, es ist das heilige Rätsel der Heilsgeschichte. Nicht auf dem Wege geradli­nigen Fortschritts religiöser Aufwärtsentwicklung, sondern durch Zerbruch aller menschlichen Möglichkeiten wird das Heil verwirk­licht. Das ist Gottes Weise. Er ist der Heilige Israels, wie Jesaja ihn nennt, der ganz Andersartige.

Das Kreuz, das elendeste Fiasko der Welt nach Menschenmei­nung, ist der Triumph der Gnade Gottes, die überströmend sich erweist in aller Weisheit und Einsicht Gottes (Eph. 1,8). Das Kreuz ist kein Fehlschlag, das tragische Ende eines heroischen Lebens, sondern der Sieg Gottes über allen menschlichen und satanischen Heroismus. Während Israel als Volk dem Verstockungsgericht ver­fällt, wird der Weg frei für die Heiden.

Auch das zeigt Matthäus von Anfang an. Sowohl die Heiden als Nationen, als auch die Heiden innerhalb Israels der sittlichen Lebenshaltung nach, nämlich die Zöllner und Sünder, diese sind es, die das Evangelium von der Königsherrschaft der Himmel mit Freuden und im Glauben annehmen.

Eine andere Scheidungslinie in Verbindung mit dem Christus­geheimnis läuft durch das ganze Matthäus–Evangelium, indem dem Volksganzen eine Auswahl gegenübertritt als völlig neue Of­fenbarung. Auch diese Entwicklung ist eng verknüpft mit der Er­füllung der Geschichte Israels, da erst nach der Verstockung des Volkes diese neue Auswahl voll in Erscheinung treten kann. Es gehört zum Sondergut des Matthäus, zum ersten Male von einer kommenden Gemeinde gesprochen zu haben (Kapitel 16 und 18). Ge­genüber dem Ganzisrael als Volk steht diese EKKLESIA da als die Herausgerufene. Erst durch Vollendung ihrer besonderen Heils­haushaltung wird die endgeschichtliche Universalmission Israels ermöglicht. Das Programm für letztere bildet den Abschluss des Matthäus–Evangeliums (Mt. 28,18–20). Das Geheimnis der Entfal­tung der Leibesgemeinde Christi gehört nicht zum Aufgabenge­biet des Matthäus; hier setzt der Dienst des Apostels Paulus ein. So greift eins ins andere. Es ist ein wunderbarer, geheimnisvoller Weg der Geschichtserfüllung, ein Weg, wie ihn kein Mensch erfin­den kann, sondern nur die Weisheit und Einsicht Gottes.

     Wunderbar ist auch die innere Harmonie von Prophetismus, Mat­thäus und Paulus. Jesaja redet in Kapitel 8,14 von dem Stein des Anstoßes und dem Fels des Strauchelns. Der Fels ist auch im Matthäus–Evangelium das Symbol des Christus. Ebenso in den paulinischen Schriften. Paulus stellt den verborgenen Christus der Geschichte Israels dar als den mitfolgenden Fels (1. Kor. 10,4), den erscheinenden Christus in Knechtsgestalt als den Stein des Ansto­ßes (Röm. 9,32–33). Das Matthäus–Evangelium wird durch Her­vortreten dieses Symbols geradezu in seine zwei Hälften geteilt. In der Evangeliumsmitte finden wir den Felsen Christus, auf wel­chem die Gemeinde aufgebaut werden soll (Mt. 16,18). Dieser Fels ist kein anderer als der Stein des Anstoßes und der Fels des Strau­chelns bei Jesaja. An ihm muss der Mensch als Sünder zerschel­len, ehe er ihm zum Fundament des Heils werden kann. Wer auf diesem Felsen (PETRA)steht, wird die Art des Felsens, die innere Zugehörigkeit zum Felsen, erhalten, d. h. er wird ein Petros.

     Die Enthüllung des Christusgeheimnisses im Matthäus–Evan­gelium vollzieht sich stufenweise und entspricht genau der Weg­richtung zum Kreuz. Es ist kein Zufall, dass nach der Enthüllung des Christus im engeren Jüngerkreise Jesus beginnt, von seinem bevorstehenden Leiden ausdrücklicher zu reden (Mt. 16,21). Die innige Verbindung der Christusenthüllung mit dem Kreuz und der darauf folgenden Auferweckung ist auch der Grund, weshalb Jesus es seinen Jüngern verbietet, vorzeitig von diesem Geheimnis zu reden (Mt. 16,20; vgl. 17,9). Erst muss das Sohneswerk des völ­ligen Gehorsams bis zum Tode am Kreuz (Phil. 2,8) vollendet und diese Erfüllung bestätigt sein durch die Auferweckung Jesu (vgl. Apg. 13,32–33; Röm. 1,4).

     Jesus überlässt es vollständig der Führung seines himmlischen Vaters, dass und wie seinen Jüngern das Christusgeheimnis ent­hüllt wird (Mt. 16,17). Er selbst spricht nach Matthäus niemals dar­über. Erst als er vom Hohenpriester Kajaphas beschworen wird, unter Eid auszusagen, ob er der Christus sei, bejaht es Jesus unter Ablehnung einer nachzusprechenden Eidesformel mit einem ein­fachen: „Du sprichst es wirklich aus“ (Mt. 26,64). Damit besiegelt er gleichzeitig sein Todesurteil. Das Geheimnis bleibt jedoch vor­läufig dem Volke noch verhüllt. Und so ist es bis auf den heuti­gen Tag geblieben. Wenn Israel aber dereinst zum Herrn umkehren wird, dann wird die Decke weggenommen (2. Kor. 3,14–15). Eine Auswahl aber, die Herausgerufenen nach Wahl der Gnade, wird von Jesus selber erzogen und für das volle Verständnis des Chris­tusgeheimnisses vorbereitet

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1.4 Christus als das PLÄROMA (Erfüllung) der Heilsgeschichte

Es fällt uns beim aufmerksamen Lesen des Matthäus–Evangeliums auf, dass der Ausdruck: „auf dass erfüllt würde“ gerade bei Mat­thäus häufig und jedes Mal an entscheidenden Stellen vorkommt. Genau zehnmal finden wir ihn in Verbindung mit Zitaten aus dem Alten Testament. Zehn ist die Füllezahl. Diese eingestreuten pro­phetischen Hinweise auf die Erfüllung der Heilsgeschichte Israels durch den Christus bilden das solide, tragkräftige Stahlgerüst des herrlichen Kunstbaues dieses Buches. Es handelt sich um folgende Stellen:

·       Mt. 1,27: Jungfrauengeburt, Immanuel (Jes. 7,14);

    ·       Mt. 2,15: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen (Hos. 11,1);

    ·       Mt. 2,17–18: Rahel beweint ihre Kinder (Jer. 31,15);

    ·       Mt. 2,23: Er wird Nazarener genannt werden (Jes. 11,1; 53,2);

    ·       Mt. 4,14–15: Der Weg am Meer, Galiläa der Heiden (Jes. 8,23; 9,1);

    ·       Mt. 8,17: Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug un­sere Krankheiten (Jes. 53,4);


    ·       Mt. 12,17–18: Knecht des Herrn, auf dessen Namen die Hei­den hoffen (Jes. 42,1–4);

    ·       Mt. 13,35: Gleichnisse von Grundlegung der Welt an (Ps.78,2);

    ·       Mt. 21,4–5: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig (Sach. 9,9);

    ·       Mt. 27,9–10: 30 Silberlinge als Preis des Geschätzten (Sach. 11,12–13).

Wir werden an der jeweils passenden Stelle die einzelnen Zi­tate im Laufe unseres Bibelkursus’ behandeln. Hier sei nur hin­gewiesen auf die Bedeutung des Ausdrucks: „damit erfüllet wür­de das Ausgesprochene durch die Propheten“. Wir stoßen bei der Untersuchung dieser eigentümlichen Redewendung auf den Drei­schritt der Heilsgeschichte: Urtypus, Enthüllung, Erfüllung. „Im Anfang war das Wort (der Logos), und das Wort war zu Gott hin, und das Wort war Gott“ (Joh. 1,1). Das ist der Logos oder der Ur­typus. Durch die Propheten wurde das Wort das Ausgesproche­ne (RÄTHÉN), das heißt das enthüllte Wort. In dem Christus wur­de das Wort Fleisch und gelangte so zur Erfüllung (PLÄROMA). Und diese Erfüllung des Wortes durch den Christus in Knechts­gestalt zeigt uns das Matthäus–Evangelium. Es ist daher das Fülle–Evangelium.

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    1.5 Was bedeutet Fülle (PLÄROMA)?

Der Begriff des in Matthäus gebrauchten Zeitwortes PLÄRUN be­deutet so viel wie: ein gewisses Ziel der Entwicklung erreichen, die Reife erlangen. Aus diesem Zeitwort ist das Hauptwort PLÄROMA (Fülle) gebildet. Es handelt sich da um Ausreifung des noch nicht zur heilsgeschichtlichen Vollendung Gelangten. An dieser Begriffserklärung ist festzuhalten trotz Mt. 9,16, an welcher Stelle PLÄROMA steht für Flicken oder Eingesetztes. PLÄRUN kann näm­lich relativ oder absolut verstanden werden. Relativ bedeutet es dann so viel wie voll machen, anfüllen, und absolut so viel wie vollmachen, erfüllen, Reife erlangen. So kann auch das Hauptwort PLÄROMA in zweifacher Möglichkeit Fülle bedeuten, also Fülle oder Eingefülltes und Fülle oder Ausgereiftes, Vollendetes.

Der Leib des Christus ist das PLÄROMA dessen, der das All in allem zur Fülle bringt (Eph. 1,23). Gott hat Christus als Haupt über alles der Gemeinde gegeben (Eph. 1,22), und so ist er das Haupt des Leibes, der Gemeinde, welcher ist Anfang, Erstgebo­rener aus den Toten, damit er selbst in allem würde ein Erster; denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm zu woh­nen (Kol. 1,18–19).

So, wie Christus die Fülle ist in seiner Person selbst, so fin­det in ihm und durch ihn auch das prophetische Verheißungswort sei­ne Erfüllung. Wenn Jesus in Mt. 5,17 sagt: „Ich bin nicht gekom­men aufzulösen, sondern zu erfüllen“, so zeigt er damit ganz un­missverständlich, was er selber unter erfüllen verstanden hat. Wie es in der Elberfelder Übersetzung in der Fußnote zu dieser Stelle sehr gut gesagt wird: „in ganzer Fülle darzustellen“. Die Pharisäer glaubten im Recht zu sein mit ihrer Auffassung von Erfüllung der Schrift durch rein äußeres, mechanisches, buchstäbliches „Halten“. In Wirklichkeit taten sie aber damit gerade das Gegenteil, sie lösten die Schrift auf, weil sie bei der starren Buchstabenform beharrten.

Jesus dagegen erfüllte die Schrift (Gesetz und Propheten) da­durch, dass er die Schrift als einen lebendigen, wachsenden, heils­geschichtlich sich entwickelnden Gesamtorganismus zur Vollaus­reifung brachte, und zwar nicht nur in seinen Lehren, sondern durch die lebensvolle Verwirklichung und Vollendung der Schrift in der Person des Christus. Wir wollen uns dies noch einmal an einem Bil­de anschaulich machen. Ein Samenkorn enthält in sich schon den ganzen Baum in Samenform. Die Fülle oder Erfüllung des Samen­korns ist der Baum mit reif en Früchten. Die orthodoxen Pharisäer verkannten das Wachstumsgesetz und konservierten das Samen­korn, das einmal als Wort der Offenbarung von Gott geschenkt worden war. Dadurch lösten sie das Wort auf, während Christus die ganze Fülle des ausgewachsenen Baumes brachte und somit das Wort erfüllte, zur Fülle oder Vollausreifung brachte. Das ist das große Geheimnis des fleischgewordenen Wortes, dass die gan­ze Heilsgeschichte in der Person des Christus Wirklichkeit gewor­den ist. Und weil das Heil nur durch Gericht hindurch herbeige­führt werden kann, gehört auch gerade diese Seite, das Gericht, zu dem, was in dem Christus seine Erfüllung gefunden hat. Die To­desmächte, die er überwunden, hater an sich auswirken lassen. Ein göttliches Muss, ein unbedingter Heilsratschluss bestimmte all sein Reden und Tun, seine ganze Lebenshaltung. „Wie sollten denn die Schriften erfüllt werden, dass es also geschehen muss? Dies alles ist geschehen, auf dass die Schriften der Propheten erfüllt wür­den.“ (Mt. 26,54–56).


     Wir lesen nur dann das Matthäus–Evangelium richtig, wenn wir beständig ein offenes Ohr haben für die Propheten und das Mit­klingen verwandter Saiten in den prophetischen Schriften. Es ist nicht zufällig, dass die Propheten so oft zitiert werden. Das ge­schieht nicht darum, um zu zeigen, wie zuverlässig und glaub­würdig das Wort Gottes ist, sondern um die innere Linie zwischen Prophetismus und Evangelium zu markieren. Aus der Generalüber­sicht der Werdegeschichte Jesu Christi, des Sohnes Abrahams, des Sohnes Davids, dürfen wir den Schluss ziehen, dass das Matthäus– Evangelium den Christus als die Erfüllung der Heilsgeschichte Is­raels so darstellt, dass die prophetische Linie Abrahams und Da­vids sichtbar wird. Als Abrahams Sohn ist Jesus Christus der in den Tod Gegebene und von Gott Auferweckte (vgl. Isaak) und als Davids Sohn der wahre König Israels und der Erbauer des wahren Tempels (vgl. Salomo).

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23.22 Die große eschatologische Rede Jesu (Mt. 24,3–44)

Für das Verständnis dieser bedeutsamen Rede ist die gewissenhaf­te Beachtung der Einleitung wichtig. Der alles beherrschende Ge­dankengang wird durch die heilsgeschichtliche Bedeutung des Ab­schieds Jesu vom Tempel bestimmt. Welche geschichtlichen Folgen wird dieses Ereignis haben, und wie können nunmehr die Heils­verheißungen für Israel und die Völkerwelt ihre endgeschichtliche Erfüllung finden? Dass diese Fragen die Herzen der Jünger beweg­ten, geht aus dem ganzen Zusammenhang hervor.

Auf dem Ölberg. Die Symbolik dieses Ortes ergibt sich aus einem Vergleich derjenigen Stellen, in denen der Ölberg eine bedeutsame Rolle spielt.

·       Vom Ölberg aus erfolgte der Einzug Jesu in Jerusalem (Mt. 21,1);

·       von hier aus eröffnete Jesus seinem engeren Jüngerkreise sei­ne Ankunft in Herrlichkeit (Mt. 24,3);

·       daselbst beginnt die letzte Strecke des Passionsweges (Mt. 26,30);

·       von dort fährt der Auferstandene gen Himmel (Lk. 24,50; Apg. 1,12);

·       bei der Wiederkunft Christi werden seine Füße stehen auf dem Ölberg (Sach. 14,4).

Der Ölberg ist also der Ort, der mit der Offenbarung des Heils- weges für Israel aufs Engste verbunden ist.

Der engere Jüngerkreis. „Da traten zu ihm die Jünger privatim“ (Vers 3). Nach Mk. 13,3 waren es Petrus und Jakobus, Johannes und Andreas. Innerhalb der Zwölfzahl von Jüngern bildeten die-se vier den engeren Kreis. Dass also selbst in der Herausgerufe­nen (EKKLESIA) noch Unterscheidungen gemacht werden, ist für uns beachtlich. Nicht die ganze Gemeinde ist fähig und bereit, in die endgeschichtlichen Offenbarungen eingeführt zu werden. Was dem engeren Kreise anvertraut wird, hat dieser im Interesse der gesamten Gemeinde treu zu verwalten.

Die dreifache Frage der Jünger:

1.    Wann wird dieses sein?

2.    Welches wird sein das Zeichen deiner Parusie?

3.    Welches wird sein das Zeichen des zusammenfassenden Ab­schlusses des Äons?

Die Unterscheidung dieser drei Fragen ist wichtig für die rich­tige Auslegung der ganzen Rede.

·     Die erste Frage: „Wann wird dieses sein?“ kann nur auf die Zerstörung des Tempels sich beziehen, die mit der Zer­störung Jerusalems zusammenfällt. Bei Matthäus wird al-so die Zerstörung des Tempels klar von der Parusie Christi unterschieden. Die zyklische Gliederung der Rede in Mt. 24 klärt alle Deutungsschwierigkeiten. Die früheren Erfüllungs­stufen sind jedes Mal typisch für die Enderfüllung. Durch das Transparent der vorlaufenden Erfüllungen sehen wir das Bild der Enderfüllung.

Die ganze Rede wird beherrscht von dem Gedanken des Aufschubs: Es ist noch nicht das Ende (Vers 6); ein Anfang der Wehen (Vers 8); dann wird eintreffen die Vollendung (Vers 14). Es ist eine Fortsetzung der Linie von Mt. 13. Das Königreich der Himmel erleidet Aufschub. Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand (Vers 36).

·      Auf die zweite Frage: „Welches wird sein das Zeichen dei­ner Parusie?“ erfolgt die Antwort erst in Vers 30, während der Herr dreimal auf die Begleitumstände bei seiner Paru­sie hinweist: „Also wird die Parusie des Menschensohnes sein“ (Vers 27, 37 und 39).

Der Begriff der Parusie. Parusie heißt nicht Zukunft oder Wie­derkunft, sondern Anwesenheit und entspricht dem Sin­ne nach dem hebräischen Wort Schechina (= Wohnen, Ein­wohnung). Parusie wird sachlich zutreffend wiedergegeben durch Herrlichkeitsgegenwart (vgl. Mt. 16,27; 25,31). Sie ist wohl zu unterscheiden von Epiphanie (= sichtbares Erschei­nen) und Eleusis (= Kommen).

Hier kommt der Begriff zum ersten Male vor. Da Jesus den­selben als ihnen bekannt einfach voraussetzt, müssen wir an­nehmen, dass die Jünger die Erkenntnis der Bedeutung des­selben aus dem jüngsten Erleben heraus gewonnen haben, dass die Anwesenheit (Parusie) Jesu im Tempel den Got­tesdienst in seinem wahren Charakter hergestellt hatte, und dass Jesu Abschied vom Tempel das Gericht über das gan­ze religiöse System Israels ankündigte. Wenn sie jetzt also nach Jesu Parusie fragten, so meinten sie ohne Zweifel sein Wiederkommen zu bleibender Anwesenheit. Sie hielten den Glauben an die Verheißung dieser Herrlichkeitsgegenwart fest (vgl. 2. Petr. 3,4).

 Das Zeichen deiner Parusie. Die Jünger waren durchaus nicht verschwenderisch im Gebrauch des Ausdrucks Zeichen. Im Unterschied zum Johannes–Evangelium ist bei Matthäus die­ser Ausdruck sehr selten. Es ist daselbst nur von zwei Zei­chen die Rede: dem Zeichen des Propheten Jona (Mt. 12 und 16) und dem Zeichen des Menschensohnes (Mt. 24). Das sind die zwei Zeichen der Wendezeiten (vgl. Mt. 16,3), das Abend-rot und das Morgenrot. Zeichen ist nicht soviel wie Anzei­chen oder Vorzeichen, sondern eine bestimmte Heilsperiode charakterisierendes Symbolzeichen.

· Auf die dritte Frage nach dem Zeichen des zusammenfas­senden Abschlusses des Äons wird in Mt. 24 so geantwortet, dass dasselbe zusammenfällt mit dem Zeichen des Men­schensohnes. Dieser Ausdruck kommt nur bei Matthäus vor (Mt. 13,39–40.49; 24,3; 28,20) und bedeutet den zusammen­fassenden Abschluss der jetzigen Weltzeit, also nicht Weltun­tergang oder Weltvollendung

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23.22.1 Grundrisse der Zeit vor dem Ende (Mt. 24,4–8)

Wir haben nicht die Aufgabe, nach Anzeichen zu suchen, um aus denselben Schlussfolgerungen zu ziehen, ob das Ende nahe ist. Auf das betonte „Wann“ in der ersten Frage der Jünger geht Jesus über­haupt nicht ein, sondern verlegt den Nachdruck auf das „Sehet zu“ und „Schauet“. Jesus wehrt einem falschen eschatologischen Interesse und lenkt es in die rechte Bahn (vgl. Mt. 24,36.42; 25,13). Er beginnt (Mk. 13,5) in seiner Antwort etwas ganz anderes als die Jünger auf ihre Frage erwartet haben. Hütet euch, wachet, seid bereit! Dieses ist das Grundthema der ganzen Rede.

„Sehet zu, dass euch ja nicht jemand irreleite“ (Vers 4). Der gefährlichste Irrtum wird zuerst genannt: die Verführung durch falsche Messiasse (Vers 5). Gerade den ungeduldig das Wann beto­nenden Gläubigen droht die Gefahr von dieser Seite. Falsche Messi­asse gibt es auf religiösem und politischem Gebiet. Jedes Mal, wenn Nöte sich häufen und die Ereignisse eine Krisis erreichen, treten falsche Heilande und Menschenbeglücker auf mit der Verheißung, nun das ersehnte Zeitalter herbeizuführen. Die große Verführungs­macht solcher Massenführer liegt darin, dass sie sich dabei stützen auf den Namen Christi, sei es, dass sie als religiöse Reformatoren sich frei und offen zu Christus bekennen, oder sei es, dass sie als politische Revolutionsführer sich stützen auf christliche Ideen. Die Lüge liegt jedes Mal darin, dass sie die Menschen nicht zu Christus hinführen, sondern für sich gewinnen wollen.

Auch der Antichrist ist ein solcher Anstattchristus. Die falschen Messiasse wähnen, sogar Christus noch übertreffen zu können. In Lk. 21,8 wird dem „ich bin Christus“ noch hinzugefügt: „die Wendezeit ist nahe gekommen“ und „ihr sollt nicht hinter ihnen hergehen“. Die Verführung der falschen Christusse scheint beson­ders für Israel eine Gefahr zu sein (vgl. Joh. 5,43). Paulus erwähnt in seinen Gemeindebriefen diese Seite niemals, dagegen aber aus­führlich die Gefahr durch verführerische Geister und Lehren der Dämonen (1. Tim. 4,1; 2. Tim. 3,1ff.13). Dennoch muss Jesus auch die Gemeinde dabei im Auge gehabt haben, wenn er hier zu dem engsten Kreise der werdenden Gemeinde spricht. Die Gefahr der Verführung, die besonders das Israel der Endzeit bedroht, hat auch für die Gemeinde ihre eigene Kraft.

„Ihr werdet aber zukünftig hören Kriege und Gerüchte von Kriegen“ (Vers 6). In Lk. 21,9 wird noch hinzugefügt: Empörun­gen. Nicht, dass Kriege sein werden und Geschrei von Kriegen in der ganzen Zeit bis zur Wiederkunft Christi, wird hier betont, son­dern das Hören nach den weltpolitischen Bewegungen seitens der Ge­meinde. Das ist die drohende Verführungsmacht für auf den Herrn wartende Gotteskinder. Das Hören kann man nicht vermeiden, aber wohl das darauf Hören. Tief ernst ist deshalb die Mahnung: „Werdet verständnisvoll Sehende und werdet ja nicht innerlich bewegt!“

Es ist verhängnisvoll für die Gemeinde, wenn die Unruhe der Welt mit ihren politischen Interessen in sie hineingetragen wird im Missverstehen des prophetischen Wortes, etwa in der wohlmei­nenden Absicht, schlafende Gläubige dadurch aufzurütteln. Die durch solche Manöver erzielte Erweckung ist doch nur Täuschung für die Gemeinde, die durch Befriedigung der Sensationslust und durch allerlei pikante und interessante Zeitfragen vom Fundament des Glaubens abgelenkt wird. „Werdet verständnisvoll Sehen­de!“, d. h. solche, die mit sehenden Augen das Zeitgeschehen in der Welt anschauen und im Stande sind, von der hohen Warte des prophetischen Wortes aus in unerschütterlicher Ruhe die Zeit zu beurteilen.

„Denn es muss geschehen.“ Das von Gott gelenkte Weltge­schehen verläuft durchaus programmmäßig. Es ist keine Ursache für die Gemeinde zur Beunruhigung, aber auch kein Grund, aus gewissen Weltkatastrophen Vorzeichen für das nahe Ende heraus­zudeuten.

„Aber es ist noch nicht das Ende.“ Die himmlische Berufung der Gemeinde steht über dem allen. Die qualvolle Verflechtung der Gläubigen in die beängstigend zunehmenden Weltkrisen und Katastrophen auf dem Boden der Völkerwelt hat ihren Grund in der Verwischung der Grenzen. Man redet von den Fortschritten des Reiches Gottes auf Erden, von der allmählichen Eroberung der Welt durch das Evangelium, vom Sieg des Christentums über die heidnischen Religionen und sieht dann mit Herzklopfen auf die Kriege und Weltströmungen, die den Fortschritt hemmen und in Frage stellen.

Doch es muss alles so geschehen. Solange die Kriegssignatur der Welt herrscht, kann vom messianischen Friedensreich, von Reichsgotteszuständen, nicht die Rede sein. Zu diesem Friedens­reich kommt es nicht auf dem Wege allmählichen menschlichen Kulturfortschrittes, sondern durch einen Geburtsprozess. Nur die Ge­meinde ist fähig zu einer positiven Einstellung zum Weltgesche­hen, da sie vom prophetischen Worte aus das verborgene göttliche Muss im Weltgeschehen zu erkennen im Stande ist.

„Denn es wird erweckt werden Volk auf Volk und König‑

reich auf Königreich“ (Vers 7). Zum Charakter dieses Äons ge­hören politische Umwälzungen und Völkerbewegungen, die sich gegenseitig verdrängen und ablösen. Dazu kommen noch Hun­gersnöte, Seuchen und Erdbeben als Naturkatastrophen. Der enge Zusammenhang der kosmischen Welt mit der Weltgeschichte der Menschheit ist im ganzen prophetischen Worte klar bezeugt.

„Dies alles aber ist ein Anfang der Wehen“ (Vers 8). Die Be­wegungen in der Völkerwelt und im gesamten Kosmos werden also als Geburtswehen bezeichnet. Diese Wehen ziehen sich durch alle die Jahrhunderte hindurch und haben einen positiven Zweck, nämlich die Wiedergeburt (vgl. Mt. 19,28). Es sind nicht Zeichen eines baldigen Weltuntergangs, sondern eines neuen Werdens in der Welt. Die gesamte Schöpfung liegt mit in Geburtswehen (vgl. Röm. 8,22). Die Leiden dieser Welt bekommen nach den Leiden Christi einen aktiven Wert, sie werden zu Geburtswehen. Denn aus ihnen soll noch einmal der Welt eine Wiedergeburt geschenkt werden, wofür die Wiedergeburt Israels das große Musterbeispiel und der Anschauungsunterricht für die Nationen sein wird (vgl. Jer. 30,4–7).

Nicht hoffnungslose Gerichte sind die Kriege und Völkerbewe­gungen und Naturkatastrophen, sondern Voraussetzungen für das schließliche Heil der ganzen Welt. Nicht Weltuntergang ist das En-de, sondern Welterrettung, und zwar auf dem Wege des Gerichts.

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23.22.2 Ermahnung der Gemeinde zum Ausharren in Trübsal und Verfolgung der Welt (Mt. 24,9–14)

Das „alsdann“ (Vers 9) umfasst die ganze Zeit der Entwicklung auf das Ziel hin. Dieses „alsdann“ des Herrn Jesus entspricht dem „Wann“ der Jünger (Vers 3). Es ist köstlich zu beobachten, wie seel­sorgerlich weise Jesus diese Frage der Jünger behandelt, indem er dieselbe in das rechte heilige Maß bringt. Die ganze Zeit der Ge­burtswehen für Israel und die Nationen ist auch für die Gemeinde eine Zeit ununterbrochener Bedrängnis bis zum Ende des Äons. Die Welt ändert ihre Gesinnung und Einstellung nicht.

      „Dann werden sie euch überliefern in Drangsal.“ Die wah­ren Gläubigen haben immer diese Erfahrung gemacht. Nur eine weltförmige Kirche wird nicht von der Welt verfolgt und gehasst (Joh. 15,19–20). Gegen das Ende des Äons findet dann eine Stei­gerung der Verfolgung und Drangsal statt bis zum Getötetwer­den. Ein Bewahrtwerden der Gemeinde vor der Trübsal lehrt die Schrift nicht, wohl aber eine Bewahrung aus der Trübsal heraus (vgl. Offb. 3,10).

       Unter Trübsal ist nicht nur Feindschaft und Verfolgung zu ver­stehen, sondern überhaupt der Druck und die Enge, in der sich die Gemeinde in dieser Zeit befindet. Die Welt ist raffiniert klug in ih­rer Heimtücke gegen wahre Gläubige, um sie diesen Druck fühlen zu lassen. Sollen wir uns dagegen zur Wehr setzen oder versuchen, durch Nachgeben und Mitmachen dem Druck zu entgehen und so die Welt umzustimmen? Jesus antwortete auf solche unausgespro­chene Fragen:

      Ihr werdet gehasst sein von allen Völkern um meines Namens willen“. In Mk. 13,9–13 und Lk. 21,12–19 wird dieser Ab­schnitt ausführlicher behandelt, tröstlicher und beratender. Mat­thäus hebt an dieser Stelle nur die Tatsache hervor, weil er schon früher (vgl. Mt. 10,17–22) diese Belehrungen in einem anderen Zu­sammenhang gebracht hat.

„Um meines Namens willen.“ Hiermit ist 1. Petr. 4,14–16 zu vergleichen. Leidet jemand deshalb, weil er sich in Dinge ein­mischt, die ihn nichts angehen, etwa durch Kritik an der weltlichen Obrigkeit oder ein angemaßtes Aufseheramt, so ist das kein Leiden um Jesu willen. Der Zusatz „von allen Völkern“ findet sich nur bei Matthäus.

„Dann werden sich viele ärgern“ (d. h. zu Fall kommen). Das ist die große Prüfung und Sichtung unter den Bekennern Christi während dieses ganzen Äons. Der Abfall begann schon zur Zeit der Apostel (vgl. 2. Tim. 4,10.16; Hebr. 6,4–6).

„Einander verraten und einander hassen.“ Gerade Abgefallene hassen am meisten die Treugebliebenen und suchen sie dadurch zu vernichten, dass sie sie an die weltlichen und politischen Instan­zen verraten. Die Kirchengeschichte ist voll von solchen Gräueln.

„Und viele falsche Propheten werden aufstehen und viele irrführen.“ Diese falschen Propheten stehen auf derselben Linie wie die falschen Propheten zur Zeit Jeremias. Sie sind Friedenspre­diger und Heilsverkündiger, Vertreter des anerkannten religiösen Systems. Man erkennt sie daran, dass sie Heil ohne Gericht lehren, Gottesreichsideen ohne den Todesweg des Kreuzes. Als Folge der Verführung durch diese falschen Propheten „wird die Gesetzlosig­keit überhand nehmen“ (Vers 12). Gesetzlosigkeit ist falsche Frei­heit, innere Haltlosigkeit, Zügellosigkeit, Emanzipation von gött­licher Ordnung, Handeln nach eigenem Gutdünken. So kommt es zum Zustand von Laodicea, zum Erkalten der Liebe der Vielen. Die Vielen sind die große Masse im Gegensatz zu den Wenigen (Offb. 3,4), die nicht ihre Kleider besudeln.

Das ist in großen Zügen das Bild der Kirchengeschichte, wie Jesus es sieht. Wir finden nichts von einem gradlinigen Fortschritt des Christentums bis zum schließlichen Sieg, sondern nur den Weg durch Bankrott und Gericht zum Heil. Es ist immer wieder dieser selbe Grundzug in allen Regierungs– und Heilswegen Gottes mit den Menschen, damit seine Gnade allein triumphiere.

„Wer aber ausharret bis ans Ende, der wird errettet werden“ (Vers 13; Mt. 10,22). Für Ausharren hat das Griechische einen ei­genartigen Ausdruck (HYPOMENEIN), der soviel bedeutet wie: dar­unter bleiben. Bei diesem Untenbleiben verschwindet das Vertrau­en auf die eigene Kraft, und da kommt die Gnade zur absoluten Wirksamkeit. Nicht Glaubensheroismus und moralische Überwer­tigkeit, sondern Kleinbleiben unter der Gnade hält stand bis zum Ziel.

Das Wort für Ende (TELOS) bezeichnet nicht nur das zeitliche Ende, sondern den Zielpunkt. In Lk. 21,19 heißt es: „Vermittelst eures Ausharrens (Druntenbleibens) werdet ihr eure Seelen er­werben“. Das erinnert an Mt. 10,39; 16,25. Es ist die Durchführung der geraden Linie des Totalitätsgesetzes im Jüngerleben gemeint bis hin zum Ziel.

„Und es wird dieses Evangelium vom Königreich in der gan­zen Menschenwelt (OIKUMENÄ) verkündigt werden zum Zeug­nis für alle Völker, und dann wird das Ende (Ziel) kommen“ (Vers 14).

Es gibt nur ein Evangelium, aber in demselben verschiedene Stufen der heilsgeschichtlichen Entwicklung. Das Evangelium, wie es die Jünger vor Pfingsten kannten, unterscheidet sich gewiss von dem Evangelium, wie es Paulus in seiner ganzen Fülle verkündig­te, von der Sohnschaft und Lebenseinheit mit dem Christus und dem einen Leibe des Christus. Und doch ist es kein anderes Evan­gelium (vgl. Gal. 1,6–9).

Der allem übergeordnete Begriff ist das Evangelium vom Kö­nigreich. Die Königsherrschaft Gottes ist das Fundament des gan­zen Evangeliums. Bei der Verkündigung desselben handelt es sich um die Proklamation der Gottesherrschaft in der ganzen Welt. Wohl in der ganzen Evangeliumszeit bis zur Wiederkunft Christi handelt es sich um diese Botschaft an die Menschheit mit der Aufforderung zur Unterwerfung unter die Königsherrschaft Gottes.

Vor dem Ende wird diese Botschaft noch besonders gesteigert, zur Entscheidung nötigend. „In ein Zeugnis hinein.“ Das ist mehr als ein bloßes sachliches Predigen, das ist Zeugnis bis zum Märty­rertod. Dieses Zeugnis ist bestimmt für die breiteste Öffentlichkeit der Völkerwelt, sowie auch Paulus seine Botschaft so ausrichtete, dass alle Völker sie hörten (vgl. 2. Tim. 4,17).

„Und dann wird das Ende eintreffen,“ nicht das Weltende, sondern das Ende des Äons, das Ziel dieser gegenwärtigen Haus­haltung. Es ist der große Wendepunkt in der äußeren Gestalt des Reiches Gottes auf Erden, das Ende der Zeit der Heiden, der Zer­tretung Jerusalems, das Ende dieses jetzigen Zeitlaufs, in welchem Satan eine führende Rolle spielt. Dieses Ende ist zugleich der An­bruch eines neuen Äons der Gottesherrschaft

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23.22.3 Die Zerstörung Jerusalems (Mt. 24,15–22)

Die Frage, ob hier das geschichtliche Ereignis vom Jahre 70 n. Chr. gemeint sei oder eine endgeschichtliche Zerstörung Jerusalems, ist wohl so zu beantworten, dass durch das Transparent der geschicht­lichen Erfüllung im Jahre 70 die endgeschichtliche Erfüllung hin­durch zu sehen ist. Es wäre durchaus nicht zu begreifen, wie ein solches Ereignis wie die Zerstörung Jerusalems durch Titus und die Bedeutung desselben für die Heilsgeschichte gar nicht erwähnt sein sollte in diesem Zusammenhange. Jesus spricht zu seinen da­maligen Jüngern offenbar von etwas, was sie ganz persönlich erle­ben sollten.

„Wenn ihr nun schauet.“ Es handelt sich also um ein Erlebnis der Jünger und eine Anweisung zum rechten Verhalten bei dem­selben. Auch hier steht wieder nicht das bloße Interesse an der Kenntnis der zukünftigen Ereignisse im Vordergrund, sondern die Bewahrung der Jüngergemeinde. Wie das prophetische Wort uns von der ersten Zerstörung Jerusalems im Jahre 586 v. Chr. durch die Chaldäer verhältnismäßig wenige Einzelheiten erzählt (vgl. 2. Kön. 25; Jer. 52), so finden wir’s auch hier wieder. Die Schrift zeichnet sich durch große Zurückhaltung aus, wenn es sich um weltliche Sensationen handelt.

„Den Gräuel der Verwüstung, von dem geredet ist durch Da­niel, den Propheten, stehend an heiliger Stätte, wer es lieset, mer­ke darauf“ (Vers 15; vgl. Mk. 13,14). In Lk. 21,20 lesen wir: „Wenn ihr aber Jerusalem sehet von Heerlagern umzingelt, dann er­kennt, dass ihre Verwüstung sich genahet hat“. Offenbar hat Je­sus bei seiner ganzen eschatologischen Rede die Danielstellen 9,27; 11,31 und Dan. 12,11 im Sinne und knüpft daran an:

„Und er wird einen festen Bund mit den Vielen schlie­ßen eine Woche (Siebenheit), aber die Mitte der Wo­che wird abschaffen Schlacht– und Speisopfer; an ih­rer Stelle wird der Gräuel der Verwüstung sein. Bis zur Vollendung wird es währen und dann das beschlossene Verhängnis sich über das Verwüstete ergießen.“                                                                         (Dan. 9,27)

Die hier erwähnte Woche (Siebenheit) ist die 70. Jahrwoche, wie sich aus dem Textzusammenhang ergibt. Und diese 70. Jahr­woche weist hin auf das große Hall– oder Freijahr (vgl. Jes. 61,1–2; Lk. 4,17–21), welches mit dem Beginn des Christuswirkens Jesu an­gebrochen ist. Um diesen Zeitpunkt chronologisch festzustellen, ist es wichtig, den richtigen Ausgangspunkt zu finden. Das Datum des ersten Befehls, Jerusalem wieder zu bauen, fällt in das 7. Re­gierungsjahr (458 v. Chr.) des persischen Königs Artaxerxes Longi­manus (vgl. Esra 1,1.8.11ff.) und das des zweiten Befehls in das 20. Jahr (445 v. Chr.) desselben Königs (vgl. Neh. 2,1.7ff.).

Diese beiden Daten haben die meiste Wahrscheinlichkeit, um als Anfangstermin für die 70 Jahrwochen gerechnet zu werden. Nehmen wir den 1. Nisan (= 14. März) des Jahres 445 v. Chr., so treffen wir, wenn wir 69 7 Jahre von je 360 Tagen = 173880 Ta­ge rechnen, auf den 10. Nisan des Jahres 32 n. Chr. Das chaldäi­sche Jahr wird zu 360 Tagen gerechnet. Nehmen wir dagegen das 7. Regierungsjahr des Artaxerxes als Ausgangspunkt für die Be­rechnung der 70. Jahrwoche, indem wir volle 483 Jahre rechnen, so kommen wir auf das Jahr 26 n. Chr., also das Jahr des Beginns der öffentlichen Wirksamkeit Jesu. Das Letztere ist das Annehmbarste.

„Und Streitkräfte von ihm werden dastehen; und sie werden das Heiligtum, die Feste, entweihen, und werden das beständige Opfer abschaffen und den Gräuel derVerwüstung aufrichten.“                                                (Dan. 11,31)

Durch seinen Feldherrn Apollonius ließ Antiochius Epiphanes (ca. 175 bis 164 v. Chr.) den jüdischen Gottesdienst unterdrücken. Die Beschneidung wurde verboten, die Opferfeste wurden unter­sagt und die Heiligen Schriften verbrannt. Wer sich widersetzte, wurde grausam umgebracht. Auf dem Brandopferaltar im Vorhof wurde ein kleiner, dem Zeus geweihter Götzenaltar aufgerichtet und


 

auf demselben geopfert. Hier haben wir eine vorlaufende Er­füllung des Wortes, die auf die letzte Erfüllung bei der Zerstörung Jerusalems durch Titus hinweist. Nach Dan. 8,17.19 weist dieses Gesicht über die erste Erfüllung hinaus in die Zeit des Endes, des letzten Zornes.

„Und von der Zeit, da das tägliche Brandopfer aufge­hoben wird, um dafür das die heilige Stätte verwüs­tende Scheusal aufzustellen, sind es 1290 Tage. Wohl dem, der ausharrt und 1335 Tage erlebt.“ (Dan. 12,11)

Ohne uns weiter mit Zahlen und Berechnungen aufzuhalten, versuchen wir das Zitat Jesu im Zusammenhang von Mt. 24 zu verstehen. Da ist es sehr wichtig, auf die Tendenz des Aufschubs zu achten, die im ganzen Prophetismus und auch im Matthäus– Evangelium eine besondere Bedeutung hat. Aus den 70 Jahren bei Jeremia werden 70 Jahrwochen – 70 7 Jahre in Dan. 9,24–27. Noch einmal wird jetzt durch Jesus das Ende hinausgeschoben.

Der Tempel jedoch sollte schon mit dem Abschied Jesu von demselben leer, verödet gelassen werden (Mt. 23,38). Von einer Wiederaufrichtung des zerstörten Tempels, um nochmals zur Zeit des Antichristen entweiht und zerstört zu werden, sagt die Schrift nichts. Auch in 2. Thess. 2,4 nötigt uns der symbolische Ausdruck „Tempel Gottes“ nicht zu der Annahme eines neuen Tempelbaues. Der Kaiser Julian Apostata hat vergeblich versucht, den zerstörten Tempel wieder aufzurichten. Jesus hat gesagt: Er soll wüste gelas­sen werden. Unter „Tempel Gottes“ in 2. Thess. 2,4 haben wir die Gemeinde zu verstehen (vgl. 1. Kor. 3,16–17; 2. Kor. 6,16; Eph. 2,21; Offb. 3,12).

Jesus gibt seinen damaligen Jüngern klare Anweisungen für die Zeit der Zerstörung Jerusalems, wie sie selber vor dem Gericht ver­schont bleiben sollten. Die Parallelstelle in Lk. 21 bestärkt die Über­zeugung, dass es sich um das Ereignis im Jahre 70 n. Chr. handelt. Zugleich deutet Lk. 21,24 klar an, dass mit der Zerstörung die Zeit der Heiden anbricht, während welcher Jerusalem zertreten werden soll. Nach Lk. 21,20 sollen die Jünger schon beim Beginn der Bela­gerung Jerusalems fliehen.

Nach Mt. 24,15 ist der Gräuel der Verwüstung (oder Verödung) an heiliger Stätte das Signal zur Flucht für die Gemeinde. Unter diesem Gräuel der Verwüstung ist wohl das die Verödung der hei­ligen Stätte herbeiführende Gräuelwesen gemeint, also die Vollen­dung der Linie der Tempelentweihung der Juden, die dadurch ih­ren Höhepunkt erreichte, dass die heidnischen Römer sich immer mehr auch die Herrschaft über den Tempel anmaßten. Pilatus ließ dort eine Kaiserstatue aufstellen, die nach römischer Sitte göttlich verehrt wurde. Die Feldzeichen der römischen Adler wurden über­all im Vorhof angebracht. Das waren Vorzeichen für das bevorste­hende Gericht der Zerstörung Jerusalems und des Tempels.

Der prophetisch orientierte Matthäus gibt den am propheti­schen Worte geübten Gläubigen diese prophetische Schau. Für die Ungeübten dient Lk. 21,20: der Hinweis auf den Beginn der Be­lagerung Jerusalems. Die Schrift nimmt Rücksicht auf alle in der Gemeinde, auch auf die Schwachen. In Mt. 24,16–18 gibt Jesus sei­nen Jüngern Ermahnungen, wie sie sich bei diesem Gericht ver­halten sollten, um die eilige Flucht aus Judäa auf die Berge durchzu­führen. Wir wissen, dass die jerusalemische Gemeinde eine sichere Zuflucht im transjordanischen Pella gefunden hat. Die Flucht muss sehr plötzlich gewesen sein, über die flachen Dächer hinweg, oh­ne noch einmal ins Haus hinabzusteigen, um etwas zu holen, und direkt vom Felde aus, ohne vorher ins Haus zurückzukehren. Vgl. Mt. 10,23; Lk. 17,31; 21,21.

Jesus lehrt zarte Rücksicht auf die Schwachen. „Weh den Schwan­geren und Säugerinnen in jenen Tagen“ (Vers 19), vgl. Lk. 23,29. Die Gläubigen werden nicht völlig verschont von Trübsalen, aber sie werden in aller Not und aus aller Drangsal heraus bewahrt. „Bittet aber, dass eure Flucht nicht in den Winter, noch auf den Sabbat falle“ (Vers 20). Der Winter als Erschwerung der Flucht durch die äußeren Umstände und der Sabbat als Hindernis für die Flucht durch die Juden selber, die versuchen würden, die Christen an diesem Tage davon abzuhalten. Wäre an dieser Stelle an eine endgeschichtliche Erfüllung gedacht, so wäre es nicht zu verste­hen, wie die Christen auf den Sabbat Rücksicht nehmen sollten. Von der jerusalemischen Gemeinde wissen wir jedoch, dass sie den Sabbat noch gefeiert hat.

„Denn es wird dann eine große Drangsal sein, wie sie nicht geschehen ist von Anfang der Welt bis jetzt, auch keineswegs mehr geschehen soll“ (Vers 21; vgl. Mk. 13,19; Lk. 21,22–24). Nach Lk. 21,22–23 wird diese Drangsalszeit genannt: „Tage der Rache, um zu erfüllen alles, was geschrieben ist; denn es wird große Not sein im Lande und Zorn diesem Volk“. Nach Josephus sol­len über eine Million Juden in diesem Kriege umgekommen und ungefähr 90000 in Gefangenschaft weggeführt worden sein. Selbst der heidnische Feldherr und spätere römische Kaiser Titus muss­te bekennen, er habe nur dem Gott, der an den Juden seinen Zorn beweisen wollte, die Hände dazu geliehen.

Die ganze Zeit der Heiden ist für Israel eine einzige große Drangsal (vgl. Lk. 21,24), aber es ist noch nicht die große Drangsal am Ende dieses Äons, die antichristliche, von der auch in Dan. 12,1 die Rede ist. Anfang und Ende der großen Drangsalsperiode für Is­rael während der Zeit der Heiden sind besonders schwer. Die Zwi­schenzeit als Evangeliumszeitalter ist für das Volk eine modi- fizierte Gerichtszeit.

„Und wenn nicht abgekürzt wären jene Tage, so würde kein Mensch gerettet“ (Vers 22). Wenn das mit der Zerstörung Jeru­salems beginnende Gericht des Zertretens unvermindert bis zum Ende des Äons so weiter gegangen wäre, so würde kein Mensch gerettet werden. Nicht die Anzahl oder die Länge der Tage wird verkürzt, sondern die Gerichtsschwere dieser Tage wird gemil­dert. Zur Erklärung dieses schwierigen Ausdrucks müssen wir Dan. 9,27; Jes. 10,23 und Röm. 9,28 heranziehen:

Röm. 9,28: „Denn der die Sache (Rechtssache) zum Ab­schluss bringt, ist auch der sie beschränkt (in Gerechtig­keit); denn eine eingeschränkte (festbegrenzte) Sache wird der Herr tun (vollziehen) auf Erden (im Lande)“;

·     Dan. 9,27: „Bis Vernichtung (Vollendung) und Festbe­schlossenes (Zurechtgeschnittenes) über das Verwüstete ausgegossen werden“;

·     Jes. 10,23: „Gerichtsvollendung ist festbeschlossen, über­strömend in Gerechtigkeit. Denn Vollendung und feste Be­grenzung vollbringt der Herr, Jehova der Heerscharen, in-mitten des ganzen Landes“.

Das Gericht kommt voll zur Ausführung, aber in demselben herrscht göttliche Gerichtsmilderung. Gottes Zorn ist fest begrenzt, seine Gnade dagegen unbegrenzt. Sonst würde kein Mensch geret­tet werden.

Um der Auserwählten willen. Hiermit ist entweder ganz Israel ge­meint als auserwähltes Volk oder die Auswahl innerhalb des Vol­kes. Der Überrest des ganzen Volkes in Röm. 9,27 ist nicht zu ver­wechseln mit dem Überrest innerhalb des Volkes nach Auswahl der Gnade in Röm. 11,5. Die Milderung des göttlichen Zornge­richts wird durch die Rücksicht auf die Auserwählten bestimmt (vgl. 1. Mo. 18,23; 19,22).

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23.22.4 Gesteigerte Verführungsmächte für die Jüngergemein­de am Ende dieses Äons (Mt. 24,23–27)

Je näher das Ende, desto deutlicher nehmen die weltlichen Heilan­de Ähnlichkeit mit Christus an. „Alsdann, wenn jemand zu euch sagt: »Siehe! Hier der Christus!« oder: »Hier!«, so sollt ihr es nicht glauben“ (Vers 23). Es ist dies keine bloße Wiederholung der erns-ten Warnung in Vers 5 vor Verführern, sondern eine ganz spezielle Mahnung für die Gemeinde und für das Israel der Endzeit, sofern die Gemeinde ihre prophetische Mission der Endzeit begriffen ha-ben wird (vgl. Mt. 25).

Die Gefahr, nach falschen Anhaltspunkten Ausschau zu halten, anstatt auf den Herrn zu harren nach biblischer Orientierung, wird dann besonders groß sein. Es ist die Irreführung durch einen falschen prophetischen Geist, der da spricht: „Siehe! Hier der Christus!“ oder einfach nur: „Hier!“ Nur die bloße Ablenkung des Blickes der auf den Herrn harrenden Gläubigen durch ein solches von irgend einer Seite kommendes „Hier!“ ist höchst gefährlich.

Für Israel besonders werden falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen, die große Zeichen und Schauwunder ver­richten (Vers 24), dass auch, wenn möglich, die Auserwählten ir­regeführt werden. Das Wort „wenn möglich“ deutet an, dass Gott die Auserwählten vor solcher Verführungsmacht aus Gnaden be­wahren wird. „Siehe, ich habe es euch vorhergesagt“ (Vers 25). Wie nötig ist doch für die Gemeinde die Kenntnis des propheti­schen Wortes, wichtig zur eigenen Bewahrung und zur rechtzeiti­gen Orientierung in dunklen Zeiten.

Falsche Parusievorstellungen (Vers 26). „In der Wüste“ und „in den Kammern“ sind nicht bloße Ortsbezeichnungen, sondern Bil­der, Symbole. Die Wüste ist der Ort des Neuanfangs, der Ref orma­toren wie Johannes des Täufers. Die Kammern sind der Platz des persönlichen, vertrauten Gebetsumgangs mit Gott (vgl. Mt. 6,6; Lk. 12,3). Die Verführungsmacht für die auf den Herrn harrende Gemeinde liegt gerade in dem gesteigerten Interesse für religiöse Fragen, wenn es vom klaren biblischen Ziel weg nach irgend ei­ner Seite abgebogen wird. Gerade die heiße Sehnsucht, die Parusie Christi zu erleben, kann zu Ungeduld und falschen Anstrengun­gen verleiten, die Parusie auf dem Wege der Absonderung und Reform zu beschleunigen, oder auf dem Wege der Vertiefung nach Innen zu erringen. Nach der Schrift gibt es keine solchen Möglich­keiten, sondern die Parusie erfolgt ohne Zutun der Menschen ganz unerwartet plötzlich und für alle zugleich.

„Denn gleichwie der Blitz ausgehet vom Ausgang und leuch­tet bis zum Niedergang, also wird sein die Parusie des Men­schensohnes“ (Vers 27). Das Bild des Blitzes veranschaulicht das Plötzliche, unbedingt Erkennbare, überall Sichtbare und strahlend Helle. Also niemand wird dann mehr auf ein menschliches Zeugnis angewiesen sein, als sei der Christus irgendwo im Verborgenen wiedergekommen (vgl. Lk. 17,24).

       „Wo irgend nur das Aas ist, da werden sich die Adler sam­meln“ (Vers 28). Nach Lk. 17,37 ist dies die Antwort Jesu auf die Frage der Jünger nach dem Wo des Gerichts. Ganz Israel glich dem verwesenden Aas, das die Geier herbeilockte. Aasgeier sind ver­bunden mit Gericht, vgl. Offb. 19,17–21. Wie das Aas unwidersteh­lich die Aasgeier herbeilockt, so das sittliche und religiöse Verder­ben das Gericht.

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23.22.5 Revolution des Kosmos kennzeichnet die große Heils­wende (Mt. 24,29)

Sofort nach der Drangsal jener Tage wird der ganze Kosmos in Aufruhr geraten. Die große Drangsal ist beendet, die Himmels­zeichen folgen ihr unmittelbar auf dem Fuße. Der große Gerichts­tag Gottes beginnt (vgl. Jes. 13,9–11; Joel 3,4). Mit dem Strafgericht über die Feinde Israels hängt zusammen die Errettung des Volkes. Das Gericht über die Nationen findet statt im Tale Josaphat (vgl. Joel 4,12–16). Jehova wird aus Zion brüllen und Jerusalem wird zum Laststein gemacht für alle Völker (vgl. Sach. 12,3–10). Zu glei­cher Zeit finden kosmische Veränderungen im Sonnensystem statt. Die Sonne wird verfinstert werden und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden fallen vom Himmel.

Unter diesen Sternen des Himmels sind wohl nur die Plane-ten innerhalb unseres Sonnensystems gemeint. Sie werden nicht zur Erde fallen, sondern aus dem Himmel Fallende sein (vgl. Mk. 13,25), d. h. ihre bisherigen Bahnen im Sonnensystem ver­lassen und dadurch die kosmische Revolution bewirken. Die Kräfte der Himmel (Plural) werden erschüttert (vgl. Hag. 2,6.21; Hebr. 12,26–27; Offb. 6,12–15; Jes. 34,4). Die Kräfte der Himmel sind wohl die kosmischen Naturgesetze wie das Gravitationsge­setz und andere. Über die Wirkung dieser Naturkatastrophen auf die Menschen siehe Lk. 21,25–26.


 

Diese kosmische Revolutionist der Anfang der Neuschöpfung von Himmel und Erde, auf der der Tempel Gottes den Mittelpunkt bilden wird. Um die messianische Reichsherrlichkeit herzustellen, muss vorher noch die ganze Welt umgewandelt werden, wobei Him­mel und Erde erschüttert werden sollen (vgl. 2. Petr. 3,10–13). Zwi­schen der Menschenwelt und dem Heer des Himmels besteht ein Gesetz der Solidarität.

Was hier geschildert wird, ist im Sinne des prophetischen Wor­tes ein eigentlicher Weltuntergang, dem eine neue Weltordnung folgt. Der Planetenhimmel wird wie von gewaltiger Glut aufge­rollt, und die Sterne fallen herab wie welke Blätter vom Feigen­baum (vgl. Jes. 34,4). Lukas nennt die kosmischen Veränderungen Zeichen an Sonne und Mond und Sternen (Lk. 21,25). Diese Zeichen leiten das Zeichen des Menschensohnes in den Wolken ein.

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23.22.6 Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Men­schensohnes in dem Himmel (Mt. 24,30)

Das Zeichen des Menschensohnes ist vom Menschensohn selbst wohl zu unterscheiden. Dieses Zeichen im Himmel, welches den Stämmen des Landes sichtbar wird, ist dem ganzen Zusammen­hang nach wahrscheinlich die Schechina, die solange von Israel getrennt war. Diese war den auserwählten Jüngern bereits auf dem Verklärungsberge erschienen (vgl. Mt. 17,2.5).

       Endlich wird das von den Juden so stürmisch begehrte Zeichen vom Himmel (vgl. Mt. 12,38; 16,1) dem ganzen Volke gegeben wer­den. Die Tatsache, dass Jesus es nicht für nötig hielt, seinen Jüngern zu erklären, worin das Zeichen des Menschensohnes eigentlich be­stehen wird, beweist uns, dass er ohne weiteres voraussetzen durf­te, dass sie bereits aus der Schrift eine bestimmte, klare Vorstellung hatten. (Über den Begriff „Menschensohn“ siehe die Ausführun­gen auf den Seiten 408 bis 415). In derselben lichten Wolke, die ihn aufnahm bei seiner Himmelfahrt vor den Augen seiner Jünger hinweg (Apg. 1,9), wird Jesus wiederkommen (Apg. 1,11), auf derselben Stelle (Ölberg, Sach. 14,4). In Jes. 4,5 lesen wir schon: „Und Jehova wird über jede Wohnung des Berges Zion und seine Ver­sammlungen eine Wolke und einen Rauch schaffen bei Tage und den Glanz eines flammenden Feuers bei Nacht. Denn über der ganzen Herrlichkeit wird eine Decke sein.“

Das wird das Signal sein für die Stämme des Landes, wenn sie in der aus den Tiefen des blauen Himmels näher kommenden Lichtwolke die Gestalt des verherrlichten Christus mit ihren Au­gen sehen werden, und seine Füße auf dem Ölberg stehen werden (vgl. Lk. 21,27; 1. Thess. 4,17; Offb. 1,7; 10,1; 11,12; 14,14).

Warum sagt Jesus an dieser Stelle seinen Jüngern nichts Ein­deutiges über den Anteil der Gemeinde bei seiner Parusie? Aus 1. Thess. 4,17 erfahren wir, dass die auf ihren Herrn wartende Ge­meinde insgesamt dem kommenden Herrn in Wolken entgegenge­rückt wird in die Luft, und also immerdar mit dem Herrn zusam­mensein wird. Die Zeit der Offenbarung dieses Geheimnisses war jetzt noch nicht gekommen. Danach hatten die Jünger den Herrn auch nicht gefragt, sondern nur nach den näheren Umständen, die mit der Zerstörung des Tempels und der Wiederkunft Christi zur Aufrichtung seines Königreichs zusammenhängen. Wenn wir Pa­rusie und Epiphanie unterscheiden, so liegt es nahe, in der blitzartigen Parusie (Vers 27) eine Andeutung zu finden für die Entrückung der Gemeinde und in dem erscheinenden Kommen des Menschensoh­nes in den Wolken des Himmels die Epiphanie für Israel.

Die Jünger hatten nach dem Zeichen seiner Parusie gefragt. Die Gemeinde braucht kein solches sichtbares Zeichen. Für sie kommt die Parusie Christi plötzlich, blitzartig (Vgl. 1. Kor. 15,52). Das dann noch unbekehrte Israel braucht jedoch Zeichen und Er­scheinung.

„Und dann werden wehklagen alle Stämme des Landes. Und sie werden sehen den Sohn des Menschen kommend auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Alle diese einzelnen Szenen sind nur vom prophetischen Totalbild aus klar zu verstehen. Die große nationale Wehklage wird schon in Sach. 12,11–14 ausführlich geschildert, vgl. Offb. 1,7. Israels Bekeh­rung wird das Ergebnis dieser Offenbarung des Menschensohnes aus dem Himmel sein, die verbunden ist mit einer Geistesausgie­ßung der Gnade und des Flehens, damit Israel erkenne, welchen sie zerstochen haben (Sach. 12,10).

„Finsternis bedeckt die Erde (das Land) und Wolkendunkel Völker, aber über dir soll aufgehen Jehova, und seine Herrlich­keit soll erscheinen über dir“ (Jes. 60,2). Das wird dann in Erfül­lung gehen. Während es über den Weltvölkern noch tiefe Finster­nis ist, wird das bekehrte Israel im strahlenden Lichte wandeln, und die Völker werden nach Zion–Jerusalem hinaufpilgern, von wo das Licht ausstrahlt in die Welt hinein.

Die Bekehrung des Apostels Paulus ist typisch für die nationa­le Wiedergeburt Israels. Sie geschah auch durch ein Zeichen vom Himmel, durch die Erscheinung des Christus in seiner Herrlichkeit (vgl. Apg. 9,3–6; 22,3–10; 26,13–18).

Das Kommen des Menschensohnes mit großer Kraft und Herr­lichkeit bildet den Gegensatz zu seinem ersten Kommen in Schwach­heit des Fleisches und Niedrigkeit des Kreuzes. Das Zeichen des Kreuzes ist dann nicht mehr am Platze. Die ganz neue Weltord­nung, die Aufrichtung des Königreiches und die Durchführung der einzelnen Herrschaftsaufgaben erfordert gewaltig große Kraft, die dem Sohn vom Vater gegeben ist. Durch die Offenbarung sei­ner Herrlichkeit wird die Finsternis besiegt werden. Die Decken und Hüllen werden eine nach der anderen fallen, womit alle Völ­ker jetzt noch belastet sind. Wahrheit und Gerechtigkeit werden triumphieren über die Bosheitsmächte der Welt. „Siehe, ich ma­che alles neu.“

„Und er wird aussenden seine Engel mit einer Posaune lau­ten Schalls, und sie werden zuhauf sammeln seine Auserwählten aus den vier Winden von einem äußersten Ende der Himmel bis zum anderen“ (Vers 31). In Mk. 13,27 heißt es: „Vom äußersten En-de des Landes bis zum äußersten Ende des Himmels.“ Während Satan gebunden ist, werden die Engel auf Erden eine neue Wirksamkeit entfalten. Es sind die Engel seiner Kraft (vgl. 2. Thess. 1,7), die zu seinem besonderen Dienst bereitstehen (vgl. auch Mt. 13,41; Joh. 1,51).

Die Sammlung der Auserwählten. Während der Herr selber seine Gemeinde zu sich nimmt, bedient er sich bei der Sammlung Israels der Engel. Die Wiederherstellung Israels und die Sammlung aller Zerstreuten gehört zum eisernen Bestand der prophetischen Ver­kündigung (vgl. 5. Mo. 28,64; 30,4).

Was die Posaune mit lautem Schall (vgl. Jes. 27,13) bedeutet, kann aus der Symbolik leicht erkannt werden. Posaunen dienten im Kriege und im Frieden zum Abgeben von Sammlungssignalen (vgl. 4. Mo. 10,1–10). Ebenso wie das helle Licht bei der Erschei­nung des Menschensohnes ganz real zu verstehen ist, so gewiss auch der Posaunenschall. Wie Jehova sich vom Sinai offenbarte un­ter sehr starkem Posaunenschall (2. Mo. 19,16.19), so wird es ähn­lich sein, wenn die Engel des Christus das auserwählte Volk sam­meln. Wie man sich das vorstellen soll, ist allerdings noch ein Ge­heimnis.

Ob die Engel sichtbar werden, ist nicht gesagt und auch nicht wahrscheinlich. Dass aber außergewöhnliche Mittel angewandt werden zur Sammlung Israels, deutet hin einerseits auf das große Interesse des Herrn und andererseits auf die Schwierigkeit dieser Aufgabe.

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23.22.7 Das Gleichnis vom Feigenbaum (Mt. 24,32–35)

Als einziges Vorzeichen für das nahe Bevorstehen der Wiederkunft Christi, worauf zu achten der Herr seinen Jüngern ans Herz legt, dient das, was durch das Knotengewinnen des Feigenbaums in diesem Gleichnis dargestellt werden soll. Alle anderen sogenann­ten „Vorzeichen“ aus der allgemeinen Weltlage, aus der Völkerpo­litik, sind zum mindesten unzuverlässig und trügerisch. Es ist da­her von größter Wichtigkeit, das Gleichnis vom Feigenbaum recht zu verstehen. Jesus erinnert mit diesem Gleichnis an den verfluchten, verdorrten Feigenbaum als Strafwunderzeichen und Symbol vom Volke Israel unter dem göttlichen Zorngericht. Der zu neuem Leben und Wachstum erwachende Feigenbaum ist demnach ein Gleichnis von der neuen Gnadenzeit für Israel.

Nach Hl. 2,11–13ist das Knotengewinnen des Feigenbaums ein Anzeichen, dass der Sommer nahe ist, also der Anbruch einer neu­en Frucht– und Erntezeit. So ist ein Lebenszeichen gemeint, ein Er­eignis, welches der eigentlichen Sammlung Israels durch die En-gel des Christus vorhergeht, ein untrügliches Merkmal dafür, dass die Gerichtszeit für Israel zu Ende geht und die Erfüllung der Ver­heißung des Endheils ganz nahe bevorsteht. Das Knotengewinnen kann also nicht die nationale Sammlung oder irgend eine völkische Bewegung bedeuten, da ja diese erst eine Folge der durch des wie­derkommenden Herrn Eingreifen stattfindenden geistlichen Wie­dergeburt des Volkes sein wird. Aber eine Wiederbelebung des prophetischen Zeugnisses ist auf israelitischem Boden immer das sichere Anzeichen einer neuen Heilsperiode.

Mit der Verwerfung des prophetischen Geisteszeugnisses der Gemeinde wurde das Verstockungsgericht Israels perfekt, mit ei­ner durch Gottes Geist gewirkten Wiederbelebung des prophe­tischen Geisteszeugnisses beginnt die Wiederherstellung Israels. Die Vermutung liegt sehr nahe, dass dieses Zeugnis von der End­zeitgemeinde ausgeht. Die Eliasmission der zwei Zeugen (vgl. Mt. 17,11–12; Offb. 11) ist dann eine Fortsetzung dieses Zeugnisses. Näheres über den Dienst der Endzeitgemeinde an Israel, um die Braut für die Hochzeit vorzubereiten, erfahren wir in dem Gleich­nis von den zehn Jungfrauen.

Nach Lk. 21,29 wird das Gleichnis vom Feigenbaum ausge­dehnt auf alle Bäume. Hierbei an die Nationen zu denken, verbietet nicht nur der Textzusammenhang, sondern auch das prophetische Totalbild. Für die Nationen gibt es keine Wiedergeburt vor Auf­richtung des Reiches. Aber für Israel ist nicht nur der Feigenbaum ein Symbol, sondern auch andere Bäume wie der Ölbaum und der Weinstock. Über die Bedeutung dieser Bäume vergleiche das auf Seite 553 Ausgeführte. Lukas betont damit das Allumfassende bei der Wiedererweckung des prophetischen Zeugnisses auf israeliti­schem Boden.

Die ganze Lebensfülle, symbolisiert durch die verschiedenen Bäume, wird beginnen sich zu regen, um eine Frucht– und Ernte­zeit in reichstem Maße einzuleiten. Dass Matthäus ausschließlich den Feigenbaum nennt, hängt mit seiner prophetischen Schau zu­sammen, da gerade die süße Frucht des Feigenbaumes ein bekann­tes Symbolist für den Genuss des Gottesfriedens im messianischen Königreich. Dass die Jünger dieses Gleichnis lernen sollen, deutet schon an, dass das Verständnis dafür mit Fleiß gesucht werden muss.

Jesus sagt: „wenn ihr dies alles seht“ (Vers 33). In Lk. 21,31 heißt es: „wenn ihr dies alles werdend seht“. Es ist also ein be­stimmter Werdeprozess, eine geschichtliche Entwicklung, die sich um das Volk Israel dreht. Israels Geschichte ist die Zentralachse der Weltgeschichte, wie Israels Erhaltung als Geschlecht das Zentral­wunder der Weltgeschichte ist. Solange die Gerichtszeit für Israel währt, steht der Feigenbaum wie tot da. Das Wiederbelebtwerden ist ebenfalls ein Wunder Gottes, etwas, was das Volk von sich aus nicht zu bewirken vermag.

„Wahrlich, sage ich euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass dies alles geschehen wird“ (Vers 34). „Dieses Geschlecht“ ist dasselbe wie in Mt. 23,36, also nicht die gerade le­bende Generation, sondern das Geschlecht der Juden überhaupt, an dem „dieses alles“ sich erfüllen soll. Das jüdische Geschlecht ist geblieben, während alle anderen Nationen jener Zeit in ihrem besonderen nationalen Bestande untergegangen sind, oder sich in anderen Völkern verloren haben.

       „Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber mögen nicht vergehen“ (Vers 35). Von einem Untergang von Himmel und Erde redet die Schrift nicht, wohl aber von einem Ver­gehen der alten Himmel und Erde und einem Entstehen der neuen durch einen Umschmelzungsprozess, vgl. Jes. 51,6; Ps. 102,26–27; 2. Petr. 3,7.10.13; Offb. 20,11; 21,1.

       Das Wort des Herrn aber hat einen solchen Prozess nicht nötig, da es fehlerlos und vollkommen ist. Der feste Bestand des Wortes wird feierlich verbürgt, vgl. Mt. 5,18; Lk. 16,17; Ps. 119,89; Jes. 40,8.

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23.22.8 Ermahnungen im Blick auf die Endzeit (Mt. 24,36–44)

„Um jenen Tag aber und um die Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel der Himmel (Mk. 13,32: auch nicht der Sohn), son­dern nur mein Vater allein“ (Vers 36). Jener Tag ist hier der Tag der Parusie Christi (vgl. Vers 30; Mt. 7,22). Wohl dürfen und sollen wir wissen, dass er nahe vor den Türen ist, aber alles Ausrechnen des kalendermäßigen Datums ist vergeblich und verwerflich.

Auch nicht der Rat der heiligen Wächter vor Gottes Thron weiß um den Tag und die Stunde. Vgl. Apg. 1,6–7; 1. Thess. 5,1. Die­ses Nichtwissen hat einen erzieherischen Zweck; es soll ein An­sporn sein zu unausgesetzter Wachsamkeit und gottgewollter Be­reitschaft.

Vergleich mit der Zeit Noahs (Mt. 24,37–39). In Lk. 17,28–29 wird der Vergleich auch auf die Tage Lots erweitert. Der Vergleichs­punkt ist die fehlende Bereitschaft der Menschen bei dem plötz­lichen Hereinbrechen des Ereignisses. Das geschichtliche Beispiel soll zur Warnung dienen und das Sündhafte einer falschen Sorglo­sigkeit veranschaulichen. Das Charakteristische für die Zeiten vor einem allgemeinen Gericht ist das völlige Aufgehen der Mensch­heit im Irdischen bei scheinbarer Kulturhöhe und großer Wohl­standsblüte. Die Parusie des Menschensohnes wird ein solch siche­res Menschengeschlecht treffen.

„Und sie merkten nichts.“ Vgl. 2. Petr. 3,5–6; 1. Thess. 5,3. Für die auf ihren Herrn harrende Gemeinde kommt der Tag des Herrn nicht wie ein Dieb in der Nacht, sondern nur für diejenigen, die in Finsternis sind (1. Thess. 5,4). Nach 21,34–36 ist diese Mahnung an die Jünger gerichtet, dass ihre Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und Nahrungssorgen.


     Die große Scheidung bei der Parusie Christi (Verse 40–41). Die Frage ist hier, um was es sich bei dieser Scheidung handelt. Handelt es sich um die Sammlung Israels durch die Engel (Vers 31), wobei der eine mitgenommen, der andere zurückgelassen wird, oder um die Scheidung beim Völkergericht, wobei der eine hinweggenommen, der andere verschont wird, oder um die Entrückung der Gemein­de.

·     Bei der Sammlung Israels durch die Engel handelt es sich oh­ne Zweifel um eine totale Sammlung, wobei kein Einzelner übergangen oder vergessen werden soll (vgl. Jes. 27,12–13; Dan. 12,1).

·   Gegen die Deutung auf die Scheidung beim Völkergericht spricht der Sinn des Ausdrucks „angenommen werden“. das Wort PARALAMBANEIN kann nicht mit „hinwegnehmen“ übersetzt werden, sondern bedeutet „annehmen, zu sich nehmen“.

Es bleibt also nur die Möglichkeit übrig, diesen Ausspruch Je­su auf die Gemeinde zu deuten. Dafür ist auch geltend zu ma­chen, dass Jesus daran für seine Jünger die Mahnung zum Wachen knüpft, und die Parallele in Lk. 21,34–36. Wie in letzterer Stelle vor Verstrickung in die irdischen Dinge des täglichen Lebens gewarnt wird, so auch hier. Die allgemeine Sicherheit in der Menschen­welt der Endzeit steckt allzu leicht auch die Glieder der Gemeinde an. Erwähnt werden die gewöhnlichen Beschäftigungen der Men­schen: ackern, mahlen (in Lk. 17,34 noch hinzugefügt: schlafen). Die Parusie Christi bricht mitten in die Arbeit des täglichen Lebens hinein und scheidet diejenigen, die bisher in engster Gemeinschaft miteinander waren im Geschäftsleben (ackern) und in der Häus­lichkeit (mahlen).

Der Maßstab der Scheidung ist, wie aus den folgenden Ver­sen hervorgeht, Wachen und Bereitschaft. Der Gedanke, dass auch durch die Gemeinde eine Scheidung geht bis zur Parusie Christi, ist durchaus schriftgemäß und wird durch die Ölbergsgleichnisse, welche dieser großen Rede Jesu folgen, noch weiter vertieft.

      „So wachet nun, denn ihr wisset nicht, welchen Tag euer Herr kommt“ (Vers 42). Für die Wachenden kommt Christus als der Herr, für die nicht Wachenden als ein Dieb in der Nacht (Offb. 3,3; 16,15; 1. Thess. 5,2–4). Das Nichtwissen des Tages ist ein ständiger Ansporn zur totalen Wachsamkeit. „Jenes aber erkennt ihr: Wenn der Hausherr wüsste, in welcher Nachtwache der Dieb käme, so würde er wohl wachen und nicht einbrechen lassen in sein Haus“ (Vers 43). Wachen ist die ständige Gebetshaltung des Gläu­bigen wie ein vor dem Feinde auf Wache stehender Krieger (vgl. Lk. 21,36).

       „Deshalb auch ihr, werdet bereit, denn zu der Stunde, die euch nicht dünkt, kommt der Sohn des Menschen“ (Vers 44). Was zur rechten Bereitschaft gehört, finden wir in Lk. 12,35: „Lasset eu­re Lenden umgürtet sein und eure Leuchten brennend“. Die um­gürteten Lenden deuten auf Dienst und die brennenden Leuchten auf das Ausleben des prophetischen Wortes. Die beiden Gleich­nisse von den zehn Jungfrauen und den anvertrauten Talenten (Mt. 25,1–30) geben uns eine ausführliche Belehrung über die rech­te Bereitschaft nach diesen beiden Seiten.

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23.23 Der treue, verständige und der schlechte Knecht (Mt. 24,45–51)

„Welcher ist nun der treue und verständige Knecht, den der Herr einsetzt über sein Hausgesinde, ihnen die Nahrung zu geben zu rechter Zeit?“

Dieses Wort gilt für alle Zeiten und jeden Einzelnen (vgl. Mk. 13,37). Hier stellt der Herr seelsorgerlich eine Frage an seine Jünger, damit jeder für sich darauf antworten möge. Bin ich es? Hier bin ich! Es ist nicht die Rede von einem besonderen kirchlichen Amt, sondern von der Verantwortung jedes Gläubigen, ein Dienst- knecht zu sein (vgl. Mk. 13,34). Aus dem Wachen und der rechten Bereitschaft erwächst der totale Dienst. Der Knecht ist vom Herrn gesetzt über dessen Hausgesinde. Das Hausgesinde ist die Gesamtheit derer, die zum Hause Gottes gehören. Somit ist je­der Gläubige sowohl ein Glied dieses Hausgesindes, als auch ein Dienstknecht mit Verantwortung für die Gesamtheit.

Wie das Gesamtvermögen des Herrn der Verwaltung der Knechte anvertraut wird (Mt. 25,14), so wird auch jedem Einzel­nen die volle Verantwortung für das gesamte Hausgesinde gege­ben. Hierbei kommt es auf zweierlei an: dass der Knecht treu, d. h. zuverlässig ist, und dass er verständig ist, d. h. urteilsfähig und einsichtsvoll. Der verantwortliche Dienst besteht im Nahrungge­ben. Es ist wohl zu beachten, dass das 24. Kapitel mit einer solchen Nutzanwendung abschließt. Nicht die Befriedigung unseres Er­kenntnisverlangens, nicht die eigene Erbauung ist die Hauptsache, sondern das Fruchtbarmachen der erkannten Wahrheit im Dienst für die Gesamtheit. Was ich an Erkenntnis für mich behalten will, verliere ich; was ich weitergebe, gewinne ich.

Zur rechten Zeit, oder, wie es genau übersetzt heißt: „in einer Entscheidungszeit“ soll die angemessene Nahrung (vgl. Lk. 12,42: SITOMETRION) gegeben werden. Dazu gehört nicht nur Treue, son­dern auch Einsicht, besonders für die Zeit des Endes, vor der Pa­rusie Christi. „Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, also tun findet“. Nicht untätiges Warten auf den Herrn ist die rechte Einstellung, sondern zweckmäßiges Tun (1. Tim. 3,13). „Wahrlich, ich sage euch, über all seinen Besitz wird er ihn ein­setzen.“ Es handelt sich um das Gesamtvermögen des Herrn, wel­ches in der Verwaltung der Gemeinde sich befindet (Mt. 25,14), al­les, was dem Herrn zur Verfügung steht (HYPARCHONTA).

Das Verhältnis ist nicht so gedacht, dass nur ein Einziger über alles gesetzt werden kann, das wäre der hochkirchliche Amtsbe­griff, sondern dass jeder ein Haushälter über alles werden kann. Über diese Haushälterschaft bringt das Gleichnis von den anver­trauten Talenten Näheres (Mt. 25,14–30). Hier wird uns nur ge­zeigt, wie der einzelne Gläubige durch Treue und Einsicht fähig wird zum totalen Dienst.

Wer ist nun jener schlechte Knecht (Verse 48–51)? Der Herr setzt voraus, dass man ihn gleich erkennt. Er nennt Christus seinen Herrn; er ist innerlich eingestellt auf ein langes Zögern der Wie­derkunft des Herrn, und er spricht es nur in seinem Herzen. Er ist also nach dem äußeren Schein recht fromm. Sein Handeln aber ent­spricht seiner falschen Herzenseinstellung. Er fängt an zu schlagen seine Mitknechte, nicht grob brachial, sondern mit Worten. Bei ihm ist Streit– und Disputiersucht, Rechthaberei, Parteisucht, Kämpfen für „Wahrheiten“ zu finden. Er isset und trinket mit den Trunke­nen (Berauschten), ist also dem Rauschgeist der Welt ergeben. Das plötzliche Kommen des Herrn ist ihm ganz unerwartet und uner­wünscht. Es bereitet ihm Furcht und Unbehagen (vgl. Lk. 21,26).

       Auffallend ist die harte Strafe für diesen schlechten (KAKOS = untauglich) Knecht. „Und er wird ihn zerhauen“ (wörtlich: zer­teilen), also vernichtend bestrafen. Die Strafe entspricht ganz dem Charakter des Bösen, des geteilten Herzens. „Und wird ihm sein Teil setzen mit den Heuchlern“. Er kommt dahin, wohin er seinem inneren Wesen nach gehört.

      „Dort wird sein das Heulen und das Zähneknirschen“.Es istnicht die ewige Höllenpein, sondern das Dasein in der Finsternis draußen gemeint, wie aus den Vergleichsstellen hervorgeht (vgl. Mt. 8,12; 22,13; 25,30). Es ist das Ausgeschlossensein von dem er­warteten Herrlichkeitsstande. Die erschütternde Tatsache wird da­durch uns vor Augen gestellt, dass die Scheidelinie mitten durch die Gemeinde geht und dass bei der Parusie Christi erst ganz of­fenbar wird, wer tatsächlich zur Gemeinde Christi gehört und wer nicht.

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23.24 Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt. 25,1–13)

Hier fragt es sich, in welche Zeit dieses Gleichnis hineinweist, wenn es heißt: „Dann wird das Königreich der Himmel gleich ge­worden sein“. Es ist nicht die Zeit, die auf die Ereignisse in Kap. 24 folgt, sondern die ganze Dauer, die in Kapitel 24 geschildert wird, besonders die Endzeit. Vom Standpunkt der damaligen Hörer also die Zukunft. Die Ölbergsgleichnisse sind nur für den engeren Jün­gerkreis bestimmt und nicht wie die Tempelgleichnisse (Mt. 21 und 22: böse Weingärtner, königliche Hochzeit) für das Volk.

Ihrem Charakter nach geben sie eine Illustration zu der doppel­ten Mahnung: Wachet und seid bereit! (Mt. 24,42.44). Die Tatsache, dass sowohl diese Mahnung als auch diese Gleichnisse zu den Jün­gern gesprochen wurden, also zu der werdenden Gemeinde, legt die Vermutung nahe, dass sie auch die spezielle Aufgabe der Ge­meinde veranschaulichen sollen. Es ist auch zu beachten, dass die-se Gleichnisse nur im Matthäus–Evangelium vorkommen, also in demjenigen Evangelium, in dessen Mitte die Offenbarung über die Gemeinde steht, und zu dessen besonderer Aufgabe es gehört, das Werden der Gemeinde in ihren Anfängen und in ihrer Scheidung im Volke darzustellen. Die Unterscheidung der Gemeinde vom Volks­ganzen ist wichtig, um klare Linien zu erhalten für die Auslegung der Gleichnisse in Mt. 25.

Das Volk Israel als Ganzes ist die Frau, welches je nach seiner Stellung zum Herrn als Braut, Frau oder Ehebrecherin und Hure dargestellt wird. Dieses Bild ist den Jüngern aus den prophetischen Schrif ten bekannt. In allen Gleichnissen im Matthäus–Evangelium, die von Hochzeit handeln, sehen wir niemals die Braut, wohl aber andere Gruppen, die irgendwie an der Hochzeit Anteil haben, z. B. Söhne des Brautgemachs (Mt. 9,15); Hochzeitsgäste (Mt. 22,3); Hochzeitsjungfrauen (Mt. 25). Alle diese sind klar unterschieden von der Braut. Die Frage taucht nun auf, ob die Gemeinde irgend­wie Anteil hat an der Hochzeit des Lammes.

Es ist in manchen Kreisen die Meinung stark vertreten, dass so­wohl zwischen Gemeinde und Königreich als auch zwischen Ge­meinde und Hochzeit so entschieden zu trennen sei, dass sie nichts miteinander zu tun hätten. Es ist aber nicht abzusehen, wie bei ei­ner solchen absoluten Scheidung das Matthäus–Evangelium rich­tig verstanden werden kann. Es ist doch nicht so, dass etwa zwei Linien nebeneinander herlaufen, ohne sich zu berühren, die Ge­meindelinie und die Königreichslinie. Es läuft nur eine Linie, die Königreichslinie. Auch die Gemeinde gehört auf diese Linie. Sie hat ihre bestimmte Mission für das Königreich (vgl. Seite 154: die Gemeinde und das Königreich der Himmel in ihrem gegenseitigen Verhältnis). Ja, sie hat sogar die Schlüsselverwaltung für das Kö­nigreich. So hat auch die Gemeinde einen bestimmten Anteil an der Hochzeit des Lammes.

       Es ist unmöglich, die Gemeinde zu denken ohne in engster Ver­bindung mit ihrem Herrn. Da, wo Christus ist, das Haupt der Ge­meinde, ist auch die Gemeinde. Und so muss notwendigerweise die Gemeinde auch mit dabei sein, wenn Christus als Bräutigam zu dem bekehrten Israel, der Braut, kommt. Die Gemeinde ist nicht die Braut, diese ist Israel, aber sie hat das innigste Interesse an der Hochzeit. Wenn Paulus die Gemeinde mit einer reinen Jungfrau vergleicht (2. Kor. 11,2), so liegt gewiss keine Schwierigkeit vor, bei den zehn Jungfrauen ebenfalls an die Gemeinde zu denken. Die-se Deutung ist im Zusammenhang des Matthäus–Evangeliums die einfachste und nächstliegende, während die Deutung auf eine be­sondere israelitische, christusgläubige Gruppe in der Endzeit er­zwungen und durch nichts in der Schrift zu belegen ist. Jesus sagt zu seinen Jüngern, der werdenden Gemeinde: „Wachet, seid be­reit!“ und gibt ihnen in dem Gleichnis dazu einen besonderen An­schauungsunterricht.

       Wenn der Apostel Paulus von der Begegnung der Gemein­de mit dem wiederkommenden Herrn ein anderes Bild entwirft (1. Thess. 4,17) als Matthäus, so ist das kein Widerspruch, sondern nur eine andere Darstellung von einer anderen Seite und Voraus­setzung aus. Paulus zeigt die himmlische Berufung der Gemein­de „nach oben“ und führt diese Linie durch bis zur Ausauferste­hung aus Toten (Phil. 3,11) und zur Entrückung zur Begegnung des Herrn in der Luft. Matthäus zeigt die Königreichslinie der Gemein­de, die notwendigerweise die Begleitung des wiederkommenden Herrn, des Bräutigams, zur Errettung Israels einschließt. Die Unterscheidung zwischen Gemeinde und Braut bleibt auch bei Mat­thäus sauber bewahrt und wird klar durchgeführt.

Die Entscheidung und Scheidung innerhalb der Gemeinde geht bis zu dem Augenblick, in welchen der Ruf um Mitternacht erschallt: „Siehe, der Bräutigam, kommt heraus, ihm entgegen!“ Hier ha-ben wir denselben Ausdruck (APANTÄSIS = Begegnung) wie in 1. Thess. 4,17 (sonst nur noch in Apg. 28,15).

Das Königreich der Himmel wird gleich geworden sein zehn Jung­frauen. Es findet eine gewisse Entwicklung statt ins Weltweite hin­ein. Zehn ist die Füllezahl der weltlichen Masse. Die Gemeinde wird zu einem großen Hause (vgl. 2. Tim. 2,20). Sie wird darge­stellt als eine Gruppe von zehn Jungfrauen, welche die Festfreude mit der Braut teilen. Diese geht selber dem Bräutigam nicht entge­gen, sondern erwartet ihn, dass er zu ihr komme. Die Jungfrauen haben den Ehrendienst, den Bräutigam zur Braut zu geleiten. Die Entrückung der Gemeinde zur Begegnung des Herrn in der Luft ist gleichzeitig ein Abholen des Bräutigams für die Braut Israel.

Die alte Sitte war, dass am Vorabend der Trauung der Bräu­tigam sein Haus verließ und bei irgend einem Verwandten blieb. In dieser Zeit führten Brautjungfrauen die Braut in sein Haus und holten dann in feierlichem Zuge mit Fackellicht den Bräutigam ab und geleiteten ihn in sein Haus, wo er mit der Braut zusammentraf.

Das erste Ausgehen dem Bräutigam entgegen (Vers 1) unter­scheidet sich vom zweiten Ausgehen um die Mitternacht (Vers 6). Das erste Mal ist es eine Begegnung, die zunächst nach unten führt (HYPANTÄSIS, Vers 1), wohl um zunächst sich um die Braut zu kümmern und sie für den Bräutigam zu schmücken. Das zweite Mal ist es eine Begegnung zur Abholung (apantäsis, Vers 6), um mit dem Bräutigam selber zusammenzutreffen und ihn zur Braut zu geleiten. Diese Szene der Begegnung wird im Gleichnis nicht beschrieben, wohl weil es sich in diesem Punkt noch um eine ver­hüllte Wahrheit handelt, die wir erst in 1. Thess. 4,17 klar erkennen.

„Die gingen aus zur Begegnung des Bräutigams.“ Alle, die ganze Gemeinde. Hier haben wir das Bild der Gemeinde der letzten Zeit. Sie ist aufgewacht zu ihrem Ehrendienst. Sie nehmen ihre Lampen, und zwar ihre eigenen Lampen, jeder für sich, unabhän­gig vom anderen. Die Lampe ist ein bekanntes Symbol vom prophe­tischen Wort (vgl. 2. Petr. 1,19). Es muss ein allgemeines Aufwa­chen sein für ein neues Interesse am prophetischen Wort und für ein neues Verständnis desselben. Schon im Gleichnis vom Feigen­baum erkannten wir die Bedeutung des wiederbelebten prophetischen Zeugnisses für Israels Vorbereitung auf das messianische Heil.

       Hier ist es das prophetische Zeugnis für die Endzeitgemeinde, die zu ihrem Ehrendienst erwacht. Das Ausgehen wird als Folge davon hingestellt, dass sie ihre Lampen nahmen. Sie machen also Ernst mit dem Ausleben des prophetischen Wortes, alle zehn Jung­frauen, die ganze Gemeinde.

       „Fünf aber von ihnen waren töricht und fünf klug.“ Die fünf Törichten werden mit Nachdruck zuerst genannt. Worin ihre Tor­heit bestand, erfahren wir aus dem Zusammenhang. Torheit in die­sem biblischen Sinne (vgl. Mt. 5,22; 7,26; 23,17.19; 1. Kor. 4,10; 1,27) ist nicht gleichbedeutend mit Unwissenheit, sondern die religiöse Torheit, für die der Mensch sittlich verantwortlich ist. Es ist das Ge­genteil von Klugheit = Urteilsfähigkeit, Einsicht. Stand in Mt. 24,48 dem klugen Knecht der schlechte, untaugliche (zum Dienst un­brauchbare) gegenüber, so hier den fünf klugen Jungfrauen die fünf törichten, denen bei aller Erkenntnis des prophetischen Wor­tes die Hauptsache fehlt, das, was das Öl andeutet.

       „Denn die Törichten, indem sie die Lampen nahmen, nah­men nicht Öl mit sich.“ Bei ihnen ist das Nehmen der Lampen die Hauptsache. Da alle Berechnungen von der Wiederkunft des Herrn und alle Orakel aus dem Weltgeschehen versagen, schwin­det das Interesse. Die Hauptsache fehlt, das Öl. Öl ist das Symbol der Weihe, der Auslieferung, der Gotthörigkeit. „Die Klugen (= Einsichtsvollen) jedoch nahmen Ölin den Gefäßen mit ihren ei­genen Lampen.“ Bei ihnen ist das Öl in den Gefäßen die Hauptsa­che, wie es auch hier betont voran steht. Sie sind solche, die völlig Ernst machen mit dem Totalitätsgesetz.

 Die Verzögerung. „Da nun der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.“ Auch die Klugen, im Hause des Bräutigams, in Gemeinschaft mit der auf den Bräutigam harrenden Braut. Dieser Zustand ist äußerst bedenklich, da dadurch auch die Möglichkeit verlorengeht, nachträglich noch für einen ausreichen­den Ölvorrat zu sorgen. Es ist die Nachtzeit für die Gemeinde vor dem Kommen des Herrn. Das Hinausschieben der Parusie wird in der ganzen eschatologischen Rede bestimmt angedeutet. Der schlechte Knecht spricht: Der Herr kommt noch lange nicht. Die Jungfrauen sind enttäuscht, dass er nicht so bald kommt, wie sie erwartet haben. Enttäuschung macht müde. Es ist die letzte Prü­fung für die Gemeinde und die Scheidung. Die Klugen hatten auch für diesen Fall vorgesorgt und vor dem Einschlummern noch Öl hinzugegossen.

Zur Mitternacht, also zur unpassendsten Zeit für Halbherzige und Saumselige, wurde ein Geschrei. Dieser Ausdruck ist zu beach-ten. Es wird nicht gesagt, von woher das Geschrei kam. Von der Gemeinde kann es nicht kommen, denn alle schlafen. Von aufge­stellten Wachen wird nirgends geredet. Der Türhüter in Mk. 13,34 passt nicht zu diesem Gleichnis. Dass das Geschrei wurde, deutet an, dass dasselbe höheren Ursprungs sein muss. Aus 1. Thess. 4,16 erfahren wir, dass der Herr selbst mit einem Befehlsruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herabsteigen wird vom Himmel. Für die harrende, aber schlafende Gemeinde bedeutet dieses Geschrei: „Siehe, der Bräutigam! Kommt heraus zur Begegnung!“

Das Erwachen. „Dann erwachten alle jene Jungfrauen und schmückten ihre Lampen.“ Also wieder ein allgemeines Erwa­chen der ganzen Gemeinde. Alle sind willig. Da ist noch kein Un­terschied zu sehen. Das Schmücken der Lampen ist etwas anderes als das Putzen der Dochte. Es ist wohl das festliche, helle Entzünden gemeint zu strahlendem Aufleuchten, ein Bild der Festes– und Sie­gesfreude
    In diesem Augenblick versagen die Lampen der Törichten, sie verlöschen. Da kann einer dem anderen nicht mehr helfen. Jedes hat eben genug für sich selber. Die Bitte um Hilfe kommt zu spät. Die Klugen antworteten: „Mitnichten! Es würde sicher nicht ausrei­chen für uns und euch!“ Hätten die Klugen vorher gewacht, dann hätten sie auch noch den anderen in ihrem Mangel dienen können. Ihr Rat zum Kaufen kam jetzt zu spät (vgl. Offb. 3,18). Lernen und sich bereiten erfordert Zeit und Ruhe. Bereitschaft. „Die bereit waren, gingen mit ihm ein zu den Hochzeitsfeiern.“ Die Begegnung mit dem Herrn wird stillschwei­gend übersprungen. Hier kommt es nur darauf an, die Bereitschaft zu betonen und die Belohnung derselben. Auch von der Braut und der Hochzeit selber ist hier nicht die Rede. Deshalb wird der Aus­druck „Hochzeitsfeiern“ gebraucht, weil es außer der eigentlichen Hochzeit mit Trauung noch verschiedene Vorfeiern gibt.
    „Und die Tür ward verschlossen.“ Für diesen Abschnitt der Heilsgeschichte ist damit die Zeit vorbei. Die Hochzeit selber ge­hört nicht mehr zur Gemeindehaushaltung. Hier haben wir ein Beispiel klarer haushaltsmäßiger Trennung, wie wir sie häufiger finden in der Schrift (vgl. Lk. 4,18–19 mit Jes. 61,1–2).
    Die Hochzeit ist nicht zu verwechseln mit der ewigen Seligkeit und das Zuschließen der Tür nicht mit ewiger Verdammnis.

    Die Ausgeschlossenen. „Später aber kommen auch die übri­gen Jungfrauen und sagen: Herr, Herr, tue uns auf!“ Das „Herr, Herr“-Sagen ist hier durchaus kein bloßes Lippenbekenntnis wie in Mt. 7,22. Daher ist die Antwort des Herrn hier auch nicht so völlig ablehnend wie dort („ich habe euch niemals erkannt“, sie­he die Seiten 262 bis 266), sondern hier heißt es: „Ich kenne euch nicht“. Als Hochzeitsjungfrauen werden sie nicht anerkannt.
Es wird nichts davon gesagt, was mit diesen von der Teilnahme an der Hochzeitsfreude Ausgeschlossenen nachher geschieht.
    „So wachet nun, denn ihr wisset nicht den Tag, noch die Stunde, (wann der Menschensohn kommt)“. Diese Mahnung ist die Achse, um die sich alles dreht in Mt. 24 und 25.

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