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Schriftenmission-Langenberg.deDas Matthäus-Evangelium in prophetischer Schau
Ausschnitte zum ProbelesenInhaltsverzeichnisÜberschriften sind im Inhaltsverzeichnis zum Teil verkürzt wiedergegeben worden
Hinweis zum Gottesnamen "Jehova"
VorwortMaterial für
Arbeitsgemeinschaften, so lautet die immer dringender werdende Bitte der vielen
„Bibelkursfreunde“, um die uns vom Herrn der Gemeinde zugewiesene Aufgabe
weiterzuführen. Die-se Bitte soll hiermit erfüllt werden, indem uns ein inniges
Band der
Bruderschaft verbindet, welches darin seinen erfreulichen Ausdruck findet, dass nicht nur eine Lesergemeinde von Liebhabern des prophetischen Wortes durch diese
Darbietungen mit dem gewünschten
Lesestoff versorgt wird, sondern dass auch eine wirkliche Arbeitsgemeinschaft vorhanden ist, die sowohl in kleineren Kreisen den gebotenen Stoff zur Vertiefung
der Schrifterkenntnis durcharbeitet,
als auch durch praktische Mitarbeit an der lebendigen Gestaltung dieses Buches aktiv Anteil nimmt. So weit es der verfügbare Raum gestattet, sollen
eingesandte Fragen und Beiträge,
welche geeignet sind, der ganzen Lesergemeinde zu dienen, jeweils in der folgenden Lieferung Verwendung
finden. „Heilsgeschichtlicher Bibelkursus für
Arbeitsgemeinschaften“, dieser Titel soll
unser eigentliches Anliegen zum Ausdruck bringen. Es soll ein Bibelkursus
sein, d. h. wir besprechen das Wort
nach einem bestimmten Lehrplan. Bewusst weichen wir dabei ab von alten Methoden. Es wird der Text nicht Kapitel
für Kapitel und Vers für Vers durchgenommen, sondern ein biblisches Buch als
Ganzes nach großen Linien und Grundbegriffen behandelt. Die gesammelte Erfahrung in der Bibelkursarbeit hat
uns hierin den Weg gewiesen. Wir
entgehen dadurch eher der Gefahr des Auseinanderreißens von Bibelstellen
und der Missachtung der großen Zusammenhänge
des Wortes Gottes, und andererseits erkennen wir besser die Struktur und den Charakter der einzelnen biblischen Bücher, sowohl in ihrer Besonderheit, als auch in
ihrer Einordnung in das Ganze
der göttlichen Offenbarung. Es ist deshalb ein
heilsgeschichtlicher Bibelkursus, d. h. er bringt Querschnitte durch die gesamte Heilsgeschichte. Wenn wir nun mit dem Matthäus–Evangelium den Anfang machen in der Hoffnung, dass andere Bücher folgen
werden, so der Herr will, so geschieht das
aus dem guten Grunde, weil gerade dieses Brückenbuch vom Alten zum Neuen
Testament geeignet ist, die großen heilsgeschichtlichen Verbindungslinien
aufzuzeigen. Es bildet die Mitte zwischen den prophetischen Büchern und den paulinischen Schriften. Eine gerade Linie
durch alle diese Teile der göttlichen
Offenbarungsentwicklung vermittelt uns beglückende Erkenntnisse. Das Matthäus–Evangelium soll in prophetischer Schau behandelt werden, weil gerade bei diesem Buch das
Vertrautsein mit dem Prophetismus und ein klarer Blick für das prophetische Totalbild
notwendige Voraussetzung eines rechten Verständnisses ist. In dem herzlichen Wunsche, durch dieses Buch allen
lieben „Bibelkursfreunden“, mit denen der
Verfasser seit etlichen Jahren sich verbunden
weiß, einen Dienst erweisen zu dürfen, legt er dasselbe zu den Füßen unseres hochgelobten
Herrn nieder mit der demütigen Bitte, es
auf seinem Wege zu geleiten und seine Mission zu segnen. Neu Krenzlin H. Langenberg
1 Einführung: Das Matthäus–Evangelium in prophetischer
Schau
Für das rechte Verständnis des
Matthäus–Evangeliums ist Zweierlei unbedingt
notwendig: Eine richtige und klare Einteilung und heilsgeschichtliche gerade
Linien. Bei der Einteilung kommt es
darauf an, nach dem angemessenen Einteilungsprinzip zu suchen. Wir dürfen uns
dabei nicht durch die Kapitel- und
Verseinteilung stören lassen, weil diese im
griechischen Urtext nicht vorhanden ist. Der Urtext kennt kein Komma, keinen
Punkt und keine äußerlich markierten Abschnitte. In ihm ist Buchstabe
an Buchstabe gereiht ohne jegliche Worttrennungen. Das Einteilungsprinzip kann also nur
aus dem Sachinhalt selber
gewonnen werden, indem wir die dem
Buche eigentümliche Struktur nach Grundriss und Querschnitt abtastend und
abhorchend herauszufinden suchen und dabei besonders auf das achten, was
dieses wunderbar planvoll aufgebaute Buch selber über seinen Charakter aussagt. Die geraden
Linien sollen den großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang des Buches mit der
Gesamtoffenbarung nachweisen, gemäß dem Worte 2. Tim. 2,15: „Das
Wort der Wahrheit recht teilen.“ Nach
einer genaueren Übersetzung muss es heißen: „Für das Wort der Wahrheit
gerade Wege schneiden“, die in gerader Richtung durch das ganze Wort hindurchführen. Wir werden dabei die
beglückende Entdeckung machen, dass diese geraden Wege oder Linien eine bestimmte Zielstrebigkeit haben auf ihre Erfüllung
oder Ausreifung hin. Christus als die vollkommene
Offenbarung des Vaters ist diese Erfüllung.
Es ist nun von größter Wichtigkeit, dass wir nicht etwa von vornherein
mit dieser Tatsache als einem fertigen Dogma manövrieren,
sondern dieselbe auf Grund heilsgeschichtlicher Linienziehung immer wieder aufs neue zu entdecken
suchen. Erst dann wird uns das Wort in seiner
göttlichen Wahrheitskraft zum lebendigen Besitz. Wir folgen dabei am sichersten der Methode
Jesu und seiner Jünger und achten besonders auf das Zitieren
alttestamentlicher Bibelstellen.
Gerade die Zitate bieten eine schier unerschöpfliche Fundgrube für das „gerade Wege machen“ im
Worte der Wahrheit. Zwischen der zitierten Bibelstelle und ihrer
Verwertung muss die große Gerade gezogen
werden. Wir dürfen jedoch keine mechanische Methode des Wegemachens aufstellen, wie auch
andererseits die Linien durch das Wort
nicht immer so klar und leicht greifbar zu Tage liegen wie bei den Zitaten. Es sind auch biblische Grundbegriffe zu klären, wie sie nach Maßgabe des heilsgeschichtlichen Offenbarungsfortschritts sich entwickelt haben. Dazu gehört ein eingehendes
Bibelstudium, das eindringt in den Werdegang
und den inneren konstruktiven Aufbau der Heilsgeschichte. Hüten müssen wir uns vor dem
Abweg, neutestamentliche Wahrheiten ganz unvermittelt ins Alte Testament hineinzudeuten, um auf diese Weise gewisse Linien zu fabrizieren. Dies wäre der umgekehrte Weg, vom Ende her zurück, anstatt vom
Anfangspunkt ausgehend zum Ziele hin. Selbstverständlich bleibt es Tatsache, dass das Alte Testament nur im
Lichte der Erfüllung richtig verstanden
werden kann. Ohne dieses Licht würden wir vielfach den Weg überhaupt nicht
finden können, aber die Methode des Wegebauens wird dadurch nicht umgekehrt,
sondern erhält erst ihre Orientierung zur Kontrolle der rechten Richtung, damit
wir nicht das Ziel verfehlen. Gerade diese klare Zielsetzung mit
ihren großen und schweren Problemen und Rätseln gibt dem Forschen in der
Schrift die beabsichtigte Hochspannung,
die in dem zunehmenden Licht des Evangeliums
durch die Lösung des zentralen Christusgeheimnisses ihren Ruhepol findet.
1.1
Warum das Matthäus–Evangelium in prophetischerSchau?
Wenn hier von prophetischer Schau
geredet wird, so müssen wir von vornherein
ein mögliches Missverständnis bekämpfen, das leicht dabei entstehen kann. Nicht
wir dürfen uns prophetische Gaben anmaßen, als hätten wir die Fähigkeit zu
einer besonderen Schau. Wir wollen aber ernstlich versuchen, das
Matthäus– Evangelium im Zusammenhang mit dem Prophetismus zu verstehen. Dazu bedarf es eines geöffneten Auges, das geübt
ist an dem, was die Propheten
geschaut haben. Von der hohen Plattform der Propheten aus können und sollen auch wir schauen lernen, um die Heilswege
Gottes zu erkennen. Die Stellung des Matthäus–Evangeliums unter den Schriften
der Bibel ist bedeutungsvoll. In dem alten griechischen Kanon (=
Richtschnur und Liste; Zusammenfassung der biblischen Schriften) des Neuen Testaments, der etwa um 200 n. Chr.
allgemein anerkannt war, stehen die vier
Evangelien und die Apostelgeschichte unter einer gemeinsamen Überschrift, um
anzudeuten, dass diese fünf Schriften aufs engste zusammen gehören. Das
Matthäus–Evangelium hat dabei immer an der ersten Stelle gestanden und somit die eigentliche Brücke zwischen dem
Alten und Neuen Testament gebildet. Wie wir
weiter unten ausführen werden, hat dieses
Evangelium auch den besonderen Charakter für diese Brückenaufgabe. Es ist die direkte Fortsetzung des
alttestamentlichen Prophetismus, die Erfüllung, das PLÄROMA, die reife Frucht, das Endresultat der bisherigen
Offenbarungswege Gottes. Es kann mit Recht Fülle–Evangelium genannt
werden. Deshalb kommt auch auffallend oft der
Ausdruck vor: „auf dass die Schrift
erfüllt würde“. Die Stellung des Matthäus–Evangeliums unter den vier
Evangelien. Die vier Evangelien sind
unter dem Walten des Heiligen Geistes ausgesondert
worden aus einer größeren Menge ähnlicher Evangeliumsschrif
ten und dem Kanon eingegliedert. Darin dürfen wir Gottes weise Absicht erkennen. Viel ist von jeher über den
un-terschiedlichen Charakter dieser vier Schriften nachgedacht und auch geschrieben worden. Wir
haben hier nicht Raum und Zeit genug, um die höchst interessante Geschichte dieses
Meinungskampfes ausführlich zu
behandeln, sondern beschränken uns auf unsere Aufgabe, an Hand dessen, was diese vier Schriften über sich selbst
aussagen, die charakteristische Unterscheidung festzustellen. Allen vier Evangelien gemeinsam ist die Darstellung
der Person und des Werkes Jesu Christi. Es handelt sich dabei durchaus
nicht um eine Biographie im modernen Sinne
des Wortes. Wir erfahren fast nur von
den letzten, entscheidenden Lebensjahren Jesu, von seinem Leiden, Sterben und Auferstehen. Was
vorhergeht, ist nur Vorbereitung auf dieses Ziel hin. Wer in den
Evangelien eine umfassende Biographie Jesu
sucht, wird schwer enttäuscht sein. Wir können diese Schriften auch nur im Rahmen und Zusammenhang der ganzen Bibel richtig würdigen und verstehen.
Alle Strahlen der Offenbarung im
Alten Testament konzentrieren sich in der Person Jesu Christi, wie sie
uns in den vier Evangelien dargestellt wird. Der
Christus vereinigt in sich alles, was an Offenbarung bis dahin gegeben wurde. Und von hier aus gehen wieder die
Strahlen nach allen Seiten in die
Schrif ten des Neuen Testaments hinein. Christus ist die Zentralsonne
der göttlichen Offenbarung. Das Unterscheidende in den vier
Evangelien lernen wir am besten aus
dem, was sie selber über sich aussagen. · Matthäus beginnt damit, dass er die Werdegeschichte
Jesu Christi in Verbindung setzt mit der Linie Abraham – David (Mt. 1,1); ·
Lukas führt diese
Werdegeschichte zurück bis auf Adam und Gott (Lk. 3,38); ·
Johannes stellt
den Christus dar als den Logos, das Wort, das im Anfang war zu Gott hin und das
Gott war (Joh. 1,1); · Markus gibt uns das Bild des Christus ohne
Verbindungslinien, wie es unmittelbar von Person zu Person wirkt als Offenbarung
des unsichtbaren Gottes. Alle vier Evangelien zusammen geben uns eine
allseitige Darstellung der Person und des Werkes Jesu Christi. Eine vierfache
Biographie würde als unerträglich empfunden werden. Das vierfache Zeugnis der
Evangelien jedoch bildet ein ergreifendes Wunderwerk des Heiligen Geistes. Der Verfasser des ersten
Evangeliums ist ohne Zweifel Matthäus,
der vor seiner Bekehrung Levi hieß und
Zolleinnehmer am See Genezareth war.
Er beschreibt die Geschichte seiner Berufung in die Nachfolge Jesu
selber ausführlich in Mt. 9,9–13. Als Zöllner und begnadigter Sünder eröffnet
gerade er den Reigen der evangelischen
Geschichte und steht somit passend an der Eingangspforte des Neuen Testaments. „Das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt“ (1. Kor. 1,28). Die Überschrift (Mt.
1,1) können wir ohne Bedenken auf das ganze Buch beziehen, das dadurch sinnvoll
charakterisiert wird: „Buch des Werdens
Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams“. Das
griechische Wort Genesis (= Werdegeschichte) bezeichnet nämlich weit
mehr als bloß die Geburtsgeschichte oder den Stammbaum. Dieselbe Bezeichnung
wird für das erste Buch Moses gebraucht, das
die Werdegeschichte der Menschheit enthält in ihren einzelnen für Gottes
Offenbarungsgeschichte bedeutsamen
Abstufungen. Das entsprechende hebräische Wort für Genesis heißt Tholedoth und kommt in folgenden
zehn Stellen vor: 1. Mo. 2,4; 5,1; 6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1;
37,2. Beide Ausdrücke, Genesis und Tholedoth, weisen hin auf
den inneren, geburtsmäßigen Zusammenhang, das Gesetz der Solidarität, die Geschlechts– und
Schicksalsverbundenheit. Auf diesem Gesetz beruht auch das Geheimnis des
Christus, des Menschensohnes. Es ist die
wunderbare Verbundenheit des Gottessohnes mit dem Menschengeschlecht. Nur ein solcher, der zugleich beides ist,
wahrer Gott und wahrer Mensch, konnte der Retter oder Heiland sein und die
Kluft zwischen Gott und der sündigen Menschheit überbrücken in seiner Person. Dieses Werden des Menschensohnes
fand nach Lukas (Lk. 3,38) auf dem Boden des adamitischen Geschlechts statt, in dem Christus als der
letzte Adam und der zweite Mensch (vgl. 1. Kor. 15,45–47) die Linie Adams zu
Ende führte und am Kreuze zum Abschluss
brachte und in sich als dem Haupte eine ganz
neue Menschheit (vgl. Eph. 2,15) schuf. Im Matthäus–Evangelium handelt es
sich dagegen ganz klar abgegrenzt um die Werdegeschichte
Jesu in der Verbindung mit der Geschichte Israels. Diese beginnt mit dem Stammvater Abraham und erreicht in David ihren entscheidenden
Gipfelpunkt (vgl. auch die Rede des Stephanus
in Apg. 7). Die gerade Linie Abraham – David – Christus zeigt uns das Matthäus–Evangelium als direkte
Fortsetzung der Reichsgottesgeschichte, wie sie mit Abraham
ihren besonderen bundesmäßigen Anfang
genommen und in David ihre königliche Ausprägung gewonnen hat. Diese Linie
erhält in dem Christus ihren Ziel– und Vollendungspunkt, also ihre Erfüllung.
Die Geschichte Israels wird durch
Christus, der solidarisch eins geworden ist mit diesem Volke, zu ihrem gottgewollten Zweck gebracht. Was
Israel als Volk nicht vermochte und worin es völlig versagte, das brachte Christus
zu Stande und zur Ausführung. Deshalb musste er die ganze
Verheißungs– und Bundesgeschichte Israels innerlich durchleben und sich zu
eigen machen. Wo der Faden der Geschichte
durch das Versagen Israels gleichsam abgerissen war, musste Jesus wieder anknüpfen.
So musste er als Sohn seinen Anfang nehmen in Ägypten und als
Thronerbe in Bethlehem. Wie
alle Umstände wunderbar ineinandergreifen, um
die Erfüllung der verschiedenen
Linien zu ermöglichen, das lernen wir
aus den beiden ersten Kapiteln des Matthäus–Evangeliums, der sogenannten
Kindheitsgeschichte Jesu.
1.2
Das Buch des Werdens Jesu Christi
In der
Überschrift zur ganzen Buchrolle des Matthäus heißt es wuchtig, vielsagend und
in charakteristischer Kürze: „Buch des Werdens Jesu Christi, des Sohnes
Davids, des Sohnes Abrahams“. Was
für das ganze Buch als Thema gilt, wird zunächst in Kapitel 1,1–17
programmartig zusammengefasst und in lebendiger
Einheit mitten in die Geschichte hineingestellt. Die lange Reihe von
angeführten Namen kommt uns Fernstehenden auf den ersten Blick und im ersten
Eindruck wohl langweilig und ziemlich unwichtig vor. Für das Ohr des in der
Schrift lebenden Gläubigen von damals aber
bedeutet jeder Name eine ergreifende Geschichte. Beim Lesen des Matthäus–Evangeliums müssen wir als Gläubige
von heute besonders darauf achten, wie beim Anschlagen der verschiedensten Saiten immer das ganze Alte Testament zum Mitklingen gebracht
wird. Also, ohne tieferes
Verständnis der alttestamentlichen
Schrif ten bleibt uns das Matthäus–Evangelium in seiner innersten
Bedeutung verschlossen und stumm. Der Charakter der Geschlechtslinie von
Abraham bis auf Christus prägt sich aus in ganz bestimmten Zügen. Es kommt
Matthäus nicht so sehr darauf an, einen lückenlosen Stammbaum Jesu Christi nachzuweisen,
als vielmehr darauf, das Wesen der
solidarischen Einheit des Menschensohnes
mit der theokratischen Heilsgeschichte
ans Licht zu stellen. Jesus, der
Christus oder Messias, ist lebens– und schicksalsverbunden mit der Geschichte
Israels, die in Abraham ihre Wurzel hat.
Die Lücken im Stammbaum, z. B. dass Rahab als Ururgroßmutter Davids erscheint (Vers 5), während sie mindestens 366 Jahre vor Davids Geburt lebte, und dass
zwischen Joram und Usia (Vers 8) die Könige Ahasja, Joas und Amazia, und
zwischen Josia und Jojachin (Vers 11) der
Name Jojakim ausgelassen sind, stören deshalb nicht im Mindesten. Wir
haben in den angeführten Namen (Verse 2–16)
die typische Geschichte des Bundesvolkes Israel, durch
welche Gott der Welt den großartigen Anschauungsunterricht gegeben hat für sein
Heilswirken und seine Heilsgedanken. Es
ist die Geschichte der Sünde und der Gnade. Die Linie führt abwärts in
die Tiefe mit zunehmender Offenbarung der völligen Hilflosigkeit des Menschen,
für den nur noch eine Rettungsmöglichkeit
verbleibt, der Heiland, der sich eins macht mit der Menschheit, in die
Tiefe hinabsteigt und ein ganz Neues schafft. Die Tendenz des Matthäus–Evangeliums, das Hinabsteigen der Linie in die Tiefen menschlichen Elends und der Sündennot zu markieren, erhält ihre besondere Note durch die
betonte Einfügung der Namen von vier
Frauen (Thamar, Rahab, Ruth, Bathseba), die
jede in ihrer Weise diese Not besonders illustriert. Das Werden Jesu Christi in Einheit mit der
Geschlechtslinie von Abraham hat noch eine tiefere Bedeutung, die wir hier nur ahnen
können. Im Unterschied zu der Geschlechtslinie Marias in Lk. 3,23–38 heißt es hier in Mt. 1,2–16 in geradezu
erdrückender Wiederholung: er zeugte – zeugte – zeugte. Dadurch soll ganz stark betont werden, wie innig der Zusammenhang
des Sohnes Gottes mit dem
Menschengeschlecht ist, ohne dabei Anteil zu haben an dem Erbverderben. Der Christus kommt her aus den Vätern dem Fleische nach, der Seiende über allen, Gott
gepriesen in die Äonen (vgl. Röm. 9,5). Es ist und bleibt ein
wunderbares Geheimnis, wie der
Christus zu gleicher Zeit der ewig Seiende über allen oder über allem ist und doch auch dem Fleische
nach der aus den Vä-tern Herauskommende,
aus dem Samen Abrahams und Davids. Diese
doppelte Linie zieht sich bereits durch die ganze in den Versen 2–16 umrissene Geschichte. Der Christus
ist der von Anfang derselben beständig
Seiende über allen und auch gleichzeitig der aus
den Vätern fortlaufend Kommende. So ist die ganze alttestamentliche Heilsgeschichte nicht nur typisch auf
Christus hinweisend, den einstens Kommenden, sondern vielmehr geradezu
die Werdegeschichte Jesu Christi in
den Vätern bis zu seiner Geburt auf Erden. Jesus Christus ist die Erfüllung
der Geschichte der Theokratie. Theokratie heißt Gottesherrschaft, Königtum Gottes.
Die Geschichte dieses Königtums in Verbindung mit Israel, dem alttestamentlichen
Offenbarungsvolk Gottes, beginnt mit Abraham, erreicht in David die
entscheidende Wende und findet in Christus ihren Zielpunkt. Wie diese Geschichte, die auf Seiten des Menschen immer mit Bankrott endet, ihr Ziel erreichte in
Christus, das nachzuweisen ist Aufgabe des Matthäus–Evangeliums. Es
stellt Christus dar als den Erfüller des
Alten Testaments und ist deshalb das Fülleevangelium. Wenn Paulus in Gal. 3,16 sagt: „Dem Abraham aber wurden die Verheißungen gesagt und seinem Samen. Nicht
sagt er: »und den Samen«, wie von
Vielen, sondern wie von einem: »und deinem Samen«, welcher ist Christus, in welchem sich segnen sollen alle Nationen der Erde“ (vgl. 1. Mo.
22,18), so ist das keine rabbinische
Wortklauberei, sondern die klare Erkenntnis von der Zusammenfassung des ganzen Samens Abrahams in Einem, in Christus. Dasselbe
hätte er sinngemäß auch sagen können von dem Samen Davids. Es war überhaupt dem Paulus gegeben, tiefer in das Geheimnis der wunderbaren, inneren
Lebensverbindung Christi mit der ganzen Menschheit einzudringen und auf Grund
dieses Ineinanderaufgehens den Heilsuniversalismus zu erklären (vgl. Röm.
5,12–19). Bei Matthäus ist dieses Geheimnis allerdings nur erst angedeutet. Die Gottessohnschaft Christi erleidet durch sein
Einswerden mit der sündigen Menschheit keine
Einbuße. Eindeutig kommt dies
zum Ausdruck in Vers 16 durch die
plötzliche Unterbrechung des ständig Wiederholten: Er zeugte – zeugte – zeugte. Bei
Joseph hört dieser Rhythmus auf und
wird ersetzt durch ein Geheimnis, das erst in der zweiten Hälfte des
ersten Kapitels erörtert wird. Dies Geheimnis heißt: geworden aus dem Samen Abrahams und
Davids gemäß Fleisch, Sohn Gottes gemäß Geist. Bei seiner
menschlichen Geburt war der heilige
Geist der Zeugende. Die Absicht des ganzen
Matthäus–Evangeliums ist, Jesus als
den Christus (= Messias) darzustellen.
Auf dieses Ziel
hin ist das ganze Alte Testament, vor
allem der Prophetismus, ausgerichtet. Das Messiasproblem,
das sich wie ein roter Faden durch das ganze Alte Testament hindurchzieht, soll
im Matthäus–Evangelium seine Lösung finden. Deshalb treffen wir an der großen
Wende in der Mitte des Buches das
Christusbekenntnis des Petrus: „Du bist der
Christus, der Sohn Gottes, des Lebendigen“ (Mt. 16,16), und Sohn Abrahams, Sohn Davids.
Mit diesen beiden
Namen werden die beiden Brennpunkte bezeichnet, um die sich die ganze Heilsgeschichte dreht, die durch das
zweitausendjährige Werden von Abraham an in gewaltigem
Schwung umspannt wird. Isaak, der Sohn Abrahams, ist der durch das Widderopfer
Gelöste, nur noch aus Gnaden Lebende, und Salomo, der Sohn Davids, ist
der aus
Gnaden Gesegnete, der Erbauer des Tempels. Erlösung und Segnung sind also die beiden Pole, um
welche die Jahrtausende der Heilsgeschichte kreisen. Und diese ganze
Geschichte findet in Christus ihre Zusammenfassung
und Erfüllung. Nach Vers 17 hat Matthäus eine
ganz bestimmte Ordnung der Werdegeschichte
Jesu Christi im Auge, wobei die heilige Zahlensymbolik eine bedeutsame Rolle spielt.
Von Abraham bis auf Christus werden dreimal 14 Geschlechter genannt (Maria
muss mitgezählt werden). Wenn wir
auch bei den Deutungsversuchen der biblischen
Zahlen größte Vorsicht walten lassen
müssen, so sind wir hier doch geradezu gezwungen, eine Deutung zu suchen. Die
Richtigkeit der Deutung muss sich aber kontrollieren lassen an der
inneren Übereinstimmung mit dem
Charakter der angeführten Geschlechtslinie. Die Zahl 14 ist offenbar die doppelte 7. Die Sieben bezeichnet nach Analogie der Schöpfungsgeschichte den
Zielpunkt der göttlichen Schöpfungswerke, das Eingehen in die Ruhe,
das Erreichen des Zweckes auf
einer bestimmten Linie. Die Verdoppelung dient
wohl zur Bekräftigung. Die Zahl 3 ist die Zahl Gottes, die Dreiheit in der Einheit, die Zahl der Offenbarung des
Wesens Gottes in der
Heilsgeschichte (vgl. die Dreiteilung der Kultusstätte). Wenn also von Abraham bis auf Christus dreimal 14
Geschlechter angeführt werden, so soll damit angedeutet werden, dass in
diesem Werdegang die Offenbarung des inneren Wesens Gottes durch die Heilsgeschichte ihr Ziel erreicht hat. Und
dieses Ziel ist die Geburt Christi. Durch das
Geschlechtsregister in Mt. 1,2–17 wird die unmittelbare Verbindung zwischen
dem Alten Testament und dem Evangelium markiert. Es ist nicht nur ein
Zusammenhang der Buchstaben der heiligen
Schriften, sondern der durch Jesus Christus verwirklichte Lebenszusammenhang.
In ihm hat das ganze Alte Testament seinen
eigentlichen Bestand, und aus ihm stammt alles, was die neutestamentlichen
Schrif ten künden. Er ist nicht etwa nur der Rückstrahler, der von sich aus
erst Licht in das Alte Testament wirft, sondern er ist das A und das O der
ganzen Heiligen Schrift.
1.3 Das Christusgeheimnis im Matthäus–Evangelium
Das Ziel der ganzen heiligen Geschichte des Alten
Bundes von Abraham an ist der Messias oder
Christus. Er ist nach Mt. 1,1–17, wie wir oben gesehen haben, in
solidarischer Schicksalsgemeinschaft so
lebensmäßig mit der Geschichte Israels verbunden, dass diese in ihm
zusammengefasst und erfüllt, d. h. zu dem von Gott gesetzten Ziel geführt wird.
Jesus Christus ist die Erfüllung der Theokratie. Wenn
Jesus in Mt. 5,17 sagt: „Meinet ja nicht, dass ich gekommen bin, das
Gesetz und die Propheten aufzulösen“, so versteht er damit nicht den Buchstaben des geschriebenen
Wortes, das in Gesetz und Propheten eingeteilt
wird, sondern die Geschichte, den heilsgeschichtlichen
Zusammenhang der Gottesherrschaft (Theokratie). Jesus ist in seiner Einzigartigkeit als
der eingeborene Sohn durchaus nicht
geschichtslos, ohne organische Eingliederung in den Geschichtsverlauf,
sondern er ist der eigentliche und tiefste Sinn aller Geschichte selber. In
ihm kommt die Geschichte zu ihrer Erfüllung. „Ich bin nicht gekommen
aufzulösen, sondern tatsächlich zu
erfüllen“ (beachte bei diesem
Wort den Aorist, der das Tatsächliche
besonders betont). Paulus, der Geistesbruder des Matthäus, nimmt dieses Wort wieder auf, wenn er in
Röm. 10,4 sagt: „Denn Ziel des Gesetzes ist Christus zur
Gerechtigkeit jedem Glaubenden“. Die Verwandtschaft zwischen Matthäus und Paulus ist
so innig, dass wir die beiden mit großem Nutzen gern nebeneinander stellen und gerade Linien ziehen von dem
einen zum anderen. Die Lösung
des Christusgeheimnisses bei Paulus wird erst dann richtig erfasst, wenn wir das Christusgeheimnis bei Matthäus als Voraussetzung dazu verstehen. Was
den Propheten nur ahnungsweise in ihrer am Heilshandeln Gottes geschulten
Glaubenslogik aufdämmerte und wovon sie
in ergreifenden Worten Zeugnis ablegten, das war die für die fleischliche Vernunft unfassbare Doppelnatur des Christus’, der zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch
ist. Die Idee der Gottessohnschaft ist geschichtlich und offenbarungsmäßig
herausgewachsen aus der Sonderstellung Israels, des erstgeborenen
Sohnes Gottes (zu unterscheiden von
Christus, dem Eingeborenen oder Einziggezeugten). Nur von hier aus müssen wir
vorzudringen suchen in das volle Verständnis des Christusgeheimnisses.
Diesen heilsgeschichtlichen Entwicklungsgang
eines biblischen Begriffes, der sich wachstümlich aufbaut, müssen wir
gewissenhaft beachten bei unserem auf
Übereinstimmung abzielenden Bibelstudium. Das
Generalthema des Matthäus–Evangeliums ist, wie der Christus
als Gottessohn und Menschensohn die Geschichte Israels erfüllt. Gerade dadurch, dass Israel als Volk seinen
rechtmäßigen Messiaskönig verwirft, wird das Erlösungswerk ermöglicht und zur Vollendung gebracht. So
widersinnig das auch klingt, es ist das heilige Rätsel der Heilsgeschichte. Nicht
auf dem Wege geradlinigen Fortschritts
religiöser Aufwärtsentwicklung, sondern durch
Zerbruch aller menschlichen Möglichkeiten wird das Heil verwirklicht.
Das ist Gottes Weise. Er ist der Heilige Israels, wie Jesaja ihn nennt, der ganz Andersartige. Das Kreuz, das elendeste Fiasko der Welt nach
Menschenmeinung, ist der Triumph der Gnade Gottes, die überströmend sich erweist in aller Weisheit und
Einsicht Gottes (Eph. 1,8). Das Kreuz ist kein
Fehlschlag, das tragische Ende eines heroischen Lebens, sondern der Sieg Gottes über
allen menschlichen und satanischen Heroismus.
Während Israel als Volk dem Verstockungsgericht verfällt, wird der Weg frei für die Heiden. Auch das zeigt Matthäus von Anfang
an. Sowohl die Heiden als Nationen, als
auch die Heiden innerhalb Israels der sittlichen Lebenshaltung nach, nämlich die Zöllner und Sünder, diese sind es, die das Evangelium von der
Königsherrschaft der Himmel mit Freuden und
im Glauben annehmen. Eine andere Scheidungslinie in
Verbindung mit dem Christusgeheimnis läuft durch das ganze
Matthäus–Evangelium, indem dem Volksganzen eine Auswahl gegenübertritt
als völlig neue Offenbarung. Auch diese Entwicklung ist eng verknüpft mit der
Erfüllung der Geschichte Israels, da
erst nach der Verstockung des Volkes diese
neue Auswahl voll in Erscheinung treten kann. Es gehört zum Sondergut
des Matthäus, zum ersten Male von einer kommenden Gemeinde gesprochen zu haben (Kapitel 16 und 18). Gegenüber dem Ganzisrael als Volk steht diese EKKLESIA
da als die Herausgerufene. Erst durch
Vollendung ihrer besonderen Heilshaushaltung wird die endgeschichtliche
Universalmission Israels ermöglicht. Das
Programm für letztere bildet den Abschluss des Matthäus–Evangeliums (Mt.
28,18–20). Das Geheimnis der Entfaltung der
Leibesgemeinde Christi gehört nicht zum Aufgabengebiet des Matthäus;
hier setzt der Dienst des Apostels Paulus ein.
So greift eins ins andere. Es ist ein wunderbarer, geheimnisvoller Weg der Geschichtserfüllung, ein
Weg, wie ihn kein Mensch erfinden kann, sondern nur die Weisheit und Einsicht Gottes. Wunderbar
ist auch die innere Harmonie von
Prophetismus, Matthäus und Paulus. Jesaja redet in Kapitel 8,14 von dem Stein des Anstoßes
und dem Fels des Strauchelns. Der Fels
ist auch im
Matthäus–Evangelium das Symbol des Christus. Ebenso in den paulinischen Schriften. Paulus
stellt den verborgenen Christus der Geschichte
Israels dar als den mitfolgenden Fels (1. Kor. 10,4), den erscheinenden Christus in Knechtsgestalt als den
Stein des Anstoßes
(Röm. 9,32–33). Das Matthäus–Evangelium wird durch Hervortreten dieses Symbols geradezu in seine zwei
Hälften geteilt. In der Evangeliumsmitte
finden wir den Felsen Christus, auf welchem die Gemeinde aufgebaut werden soll (Mt. 16,18). Dieser Fels ist
kein anderer als der Stein des Anstoßes und der Fels des Strauchelns bei Jesaja. An ihm muss der Mensch
als Sünder zerschellen, ehe er ihm
zum Fundament des Heils werden kann. Wer auf diesem
Felsen (PETRA)steht, wird die Art des Felsens, die innere Zugehörigkeit zum Felsen, erhalten, d. h. er wird
ein Petros. Die
Enthüllung des Christusgeheimnisses im Matthäus–Evangelium vollzieht
sich stufenweise und entspricht genau der Wegrichtung zum Kreuz. Es ist kein Zufall, dass nach der Enthüllung des Christus im engeren Jüngerkreise Jesus
beginnt, von seinem bevorstehenden
Leiden ausdrücklicher zu reden (Mt. 16,21). Die innige Verbindung der Christusenthüllung mit dem Kreuz und der
darauf folgenden Auferweckung ist auch der Grund, weshalb Jesus
es seinen Jüngern verbietet, vorzeitig von diesem Geheimnis zu
reden (Mt. 16,20; vgl. 17,9). Erst muss das Sohneswerk des völligen Gehorsams bis zum Tode am Kreuz
(Phil. 2,8) vollendet und diese
Erfüllung bestätigt sein durch die Auferweckung Jesu (vgl. Apg. 13,32–33; Röm. 1,4). Jesus
überlässt es vollständig der Führung seines himmlischen Vaters, dass und wie seinen Jüngern das Christusgeheimnis enthüllt wird (Mt. 16,17). Er selbst spricht
nach Matthäus niemals darüber. Erst als er
vom Hohenpriester Kajaphas beschworen wird, unter Eid auszusagen, ob er der Christus sei, bejaht es Jesus unter
Ablehnung einer nachzusprechenden Eidesformel mit einem einfachen: „Du sprichst es wirklich aus“ (Mt. 26,64). Damit besiegelt er gleichzeitig sein Todesurteil.
Das Geheimnis bleibt jedoch vorläufig dem Volke noch verhüllt. Und so ist es
bis auf den heutigen Tag geblieben. Wenn
Israel aber dereinst zum Herrn umkehren wird, dann wird die Decke weggenommen (2. Kor. 3,14–15). Eine Auswahl
aber, die Herausgerufenen nach Wahl der Gnade, wird von Jesus selber erzogen und für das volle Verständnis des Christusgeheimnisses
vorbereitet
1.4 Christus als das PLÄROMA (Erfüllung) der Heilsgeschichte
Es fällt uns beim aufmerksamen
Lesen des Matthäus–Evangeliums auf, dass
der Ausdruck: „auf dass erfüllt würde“ gerade
bei Matthäus häufig und jedes Mal an
entscheidenden Stellen vorkommt. Genau zehnmal finden wir ihn in
Verbindung mit Zitaten aus dem Alten Testament. Zehn ist die Füllezahl. Diese
eingestreuten prophetischen Hinweise auf
die Erfüllung der Heilsgeschichte Israels durch den Christus bilden das solide, tragkräftige Stahlgerüst des
herrlichen Kunstbaues dieses Buches. Es handelt sich um folgende Stellen: ·
Mt. 1,27: Jungfrauengeburt, Immanuel
(Jes. 7,14); ·
Mt. 2,15: Aus
Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen (Hos. 11,1); ·
Mt. 2,17–18:
Rahel beweint ihre Kinder (Jer. 31,15); · Mt. 2,23: Er wird Nazarener genannt
werden (Jes. 11,1; 53,2); ·
Mt. 4,14–15: Der Weg am Meer, Galiläa der Heiden (Jes. 8,23; 9,1); ·
Mt. 8,17: Er
selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten (Jes. 53,4); · Mt. 12,17–18: Knecht des Herrn,
auf dessen Namen die Heiden hoffen (Jes. 42,1–4); ·
Mt.
13,35: Gleichnisse von Grundlegung der Welt an (Ps.78,2); · Mt. 21,4–5: Siehe, dein König
kommt zu dir sanftmütig (Sach. 9,9); · Mt. 27,9–10: 30 Silberlinge als
Preis des Geschätzten (Sach. 11,12–13). Wir werden an der jeweils passenden
Stelle die einzelnen Zitate im Laufe unseres Bibelkursus’ behandeln. Hier sei
nur hingewiesen auf die Bedeutung des
Ausdrucks: „damit erfüllet würde das
Ausgesprochene durch die Propheten“. Wir stoßen bei der Untersuchung
dieser eigentümlichen Redewendung auf den Dreischritt der
Heilsgeschichte: Urtypus, Enthüllung, Erfüllung.
„Im Anfang war das Wort (der Logos), und das Wort war zu
Gott hin, und das Wort war Gott“ (Joh. 1,1). Das ist der Logos oder
der Urtypus. Durch die Propheten wurde das
Wort das Ausgesprochene (RÄTHÉN), das heißt das enthüllte Wort. In dem Christus wurde
das Wort Fleisch und gelangte so zur Erfüllung (PLÄROMA). Und diese Erfüllung
des Wortes durch den Christus in Knechtsgestalt zeigt uns das Matthäus–Evangelium. Es ist daher das
Fülle–Evangelium.
1.5 Was bedeutet Fülle (PLÄROMA)?
Der Begriff des in Matthäus
gebrauchten Zeitwortes PLÄRUN bedeutet so viel wie: ein gewisses
Ziel der Entwicklung erreichen, die Reife
erlangen. Aus diesem Zeitwort ist das Hauptwort PLÄROMA (Fülle)
gebildet. Es handelt sich da um Ausreifung des noch nicht zur heilsgeschichtlichen
Vollendung Gelangten. An dieser Begriffserklärung
ist festzuhalten trotz Mt. 9,16, an welcher Stelle PLÄROMA steht für Flicken
oder Eingesetztes. PLÄRUN kann nämlich relativ oder absolut verstanden werden. Relativ bedeutet es dann so
viel wie voll machen, anfüllen, und absolut so viel wie vollmachen, erfüllen, Reife erlangen. So kann
auch das Hauptwort PLÄROMA in
zweifacher Möglichkeit Fülle bedeuten, also Fülle oder Eingefülltes und Fülle
oder Ausgereiftes, Vollendetes. Der Leib des Christus ist das PLÄROMA dessen, der das All in allem zur
Fülle bringt (Eph. 1,23). Gott hat Christus als Haupt über alles der Gemeinde
gegeben (Eph. 1,22), und so ist er das Haupt des Leibes, der Gemeinde, welcher
ist Anfang, Erstgeborener aus den Toten, damit er selbst in allem würde ein
Erster; denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen (Kol.
1,18–19). So, wie Christus die Fülle ist in
seiner Person selbst, so findet in ihm
und durch ihn auch das prophetische Verheißungswort seine
Erfüllung. Wenn Jesus in Mt. 5,17 sagt: „Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen“, so zeigt er damit ganz
unmissverständlich, was er selber
unter erfüllen verstanden hat. Wie es
in der Elberfelder Übersetzung in der Fußnote zu dieser Stelle sehr
gut gesagt wird: „in
ganzer Fülle darzustellen“. Die Pharisäer glaubten im Recht zu sein mit ihrer Auffassung von Erfüllung der Schrift
durch rein äußeres, mechanisches, buchstäbliches „Halten“. In Wirklichkeit
taten sie aber damit gerade das Gegenteil, sie lösten die
Schrift auf, weil sie bei der starren Buchstabenform beharrten. Jesus dagegen erfüllte die Schrift (Gesetz und Propheten) dadurch, dass er die Schrift als einen lebendigen, wachsenden, heilsgeschichtlich sich entwickelnden Gesamtorganismus zur Vollausreifung brachte, und zwar nicht nur in seinen Lehren, sondern durch die lebensvolle Verwirklichung und Vollendung der Schrift in der Person des Christus. Wir wollen uns dies noch einmal an einem Bilde anschaulich machen. Ein Samenkorn enthält in sich schon den ganzen Baum in Samenform. Die Fülle oder Erfüllung des Samenkorns ist der Baum mit reif en Früchten. Die orthodoxen Pharisäer verkannten das Wachstumsgesetz und konservierten das Samenkorn, das einmal als Wort der Offenbarung von Gott geschenkt worden war. Dadurch lösten sie das Wort auf, während Christus die ganze Fülle des ausgewachsenen Baumes brachte und somit das Wort erfüllte, zur Fülle oder Vollausreifung brachte. Das ist das große Geheimnis des fleischgewordenen Wortes, dass die ganze Heilsgeschichte in der Person des Christus Wirklichkeit geworden ist. Und weil das Heil nur durch Gericht hindurch herbeigeführt werden kann, gehört auch gerade diese Seite, das Gericht, zu dem, was in dem Christus seine Erfüllung gefunden hat. Die Todesmächte, die er überwunden, hater an sich auswirken lassen. Ein göttliches Muss, ein unbedingter Heilsratschluss bestimmte all sein Reden und Tun, seine ganze Lebenshaltung. „Wie sollten denn die Schriften erfüllt werden, dass es also geschehen muss? Dies alles ist geschehen, auf dass die Schriften der Propheten erfüllt würden.“ (Mt. 26,54–56).
23.22 Die große eschatologische Rede Jesu (Mt. 24,3–44)
Für das Verständnis dieser
bedeutsamen Rede ist die gewissenhafte Beachtung der
Einleitung wichtig. Der alles beherrschende Gedankengang
wird durch die heilsgeschichtliche Bedeutung des Abschieds Jesu vom Tempel
bestimmt. Welche geschichtlichen Folgen
wird dieses Ereignis haben, und wie können nunmehr die Heilsverheißungen für Israel und die Völkerwelt ihre
endgeschichtliche Erfüllung finden? Dass diese Fragen die Herzen der
Jünger bewegten, geht aus dem ganzen
Zusammenhang hervor. Auf dem Ölberg. Die Symbolik dieses Ortes ergibt
sich aus einem Vergleich derjenigen Stellen, in
denen der Ölberg eine bedeutsame Rolle spielt. · Vom Ölberg aus erfolgte der Einzug
Jesu in Jerusalem (Mt. 21,1); · von hier aus eröffnete Jesus
seinem engeren Jüngerkreise seine Ankunft in Herrlichkeit (Mt. 24,3); · daselbst beginnt die letzte
Strecke des Passionsweges (Mt. 26,30); · von dort fährt der Auferstandene
gen Himmel (Lk. 24,50; Apg. 1,12); · bei der Wiederkunft Christi werden
seine Füße stehen auf dem Ölberg (Sach. 14,4). Der Ölberg ist also der Ort, der mit der Offenbarung
des Heils- weges für Israel aufs Engste
verbunden ist. Der engere Jüngerkreis. „Da traten zu ihm die Jünger privatim“
(Vers 3). Nach
Mk. 13,3 waren es Petrus und Jakobus, Johannes und Andreas. Innerhalb der Zwölfzahl von Jüngern
bildeten die-se vier den engeren Kreis. Dass
also selbst in der Herausgerufenen (EKKLESIA)
noch Unterscheidungen gemacht werden, ist für uns beachtlich. Nicht die ganze Gemeinde ist fähig und bereit, in die endgeschichtlichen
Offenbarungen eingeführt zu werden. Was
dem engeren Kreise anvertraut wird, hat dieser im Interesse der gesamten Gemeinde
treu zu verwalten. Die dreifache
Frage der Jünger: 1.
Wann wird dieses sein? 2. Welches wird sein das Zeichen
deiner Parusie? 3. Welches wird sein das Zeichen des
zusammenfassenden Abschlusses des Äons? Die Unterscheidung dieser drei Fragen ist wichtig für die
richtige Auslegung der ganzen Rede. ·
Die erste Frage: „Wann wird dieses sein?“ kann nur auf die Zerstörung des Tempels sich beziehen, die
mit der Zerstörung Jerusalems zusammenfällt. Bei Matthäus wird al-so die Zerstörung des Tempels klar von der Parusie
Christi unterschieden. Die zyklische
Gliederung der Rede in Mt. 24 klärt alle Deutungsschwierigkeiten.
Die früheren Erfüllungsstufen sind jedes Mal typisch für die Enderfüllung. Durch
das Transparent der vorlaufenden Erfüllungen sehen wir das Bild der Enderfüllung. Die ganze Rede wird beherrscht von
dem Gedanken des Aufschubs: Es ist noch nicht das Ende (Vers
6); ein Anfang der Wehen (Vers 8); dann wird eintreffen die Vollendung (Vers 14). Es ist eine Fortsetzung der Linie von Mt.
13. Das Königreich der Himmel erleidet
Aufschub. Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand (Vers 36). · Auf
die zweite Frage: „Welches
wird sein das Zeichen deiner Parusie?“ erfolgt die Antwort erst in Vers 30, während der Herr dreimal
auf die Begleitumstände bei seiner Parusie
hinweist: „Also wird die Parusie des Menschensohnes sein“ (Vers 27, 37 und 39). Der Begriff der Parusie. Parusie heißt nicht Zukunft oder
Wiederkunft, sondern Anwesenheit und entspricht dem Sinne nach dem
hebräischen Wort Schechina (= Wohnen, Einwohnung).
Parusie wird sachlich zutreffend wiedergegeben
durch Herrlichkeitsgegenwart (vgl.
Mt. 16,27; 25,31). Sie ist wohl zu unterscheiden von Epiphanie (= sichtbares
Erscheinen) und Eleusis (= Kommen). Hier kommt der Begriff zum ersten
Male vor. Da Jesus denselben als ihnen bekannt einfach voraussetzt, müssen wir annehmen, dass die Jünger die Erkenntnis der
Bedeutung desselben aus dem jüngsten Erleben heraus gewonnen haben, dass die Anwesenheit (Parusie) Jesu im Tempel den
Gottesdienst in seinem wahren Charakter hergestellt hatte, und dass Jesu Abschied vom Tempel das Gericht
über das ganze religiöse System Israels
ankündigte. Wenn sie jetzt also nach Jesu Parusie fragten, so meinten
sie ohne Zweifel sein Wiederkommen zu
bleibender Anwesenheit. Sie hielten den Glauben
an die Verheißung dieser Herrlichkeitsgegenwart fest (vgl. 2. Petr. 3,4). · Auf die dritte Frage nach dem Zeichen des zusammenfassenden Abschlusses des Äons wird in Mt. 24 so geantwortet, dass dasselbe zusammenfällt mit dem Zeichen des Menschensohnes. Dieser Ausdruck kommt nur bei Matthäus vor (Mt. 13,39–40.49; 24,3; 28,20) und bedeutet den zusammenfassenden Abschluss der jetzigen Weltzeit, also nicht Weltuntergang oder Weltvollendung .
23.22.1 Grundrisse der Zeit vor dem Ende (Mt. 24,4–8)
Wir haben nicht die Aufgabe, nach
Anzeichen zu suchen, um aus denselben
Schlussfolgerungen zu ziehen, ob das Ende nahe ist. Auf das betonte „Wann“ in
der ersten Frage der Jünger geht Jesus überhaupt nicht ein, sondern verlegt den Nachdruck auf das „Sehet zu“ und „Schauet“. Jesus wehrt einem falschen eschatologischen Interesse und lenkt es in die rechte Bahn (vgl.
Mt. 24,36.42; 25,13).
Er beginnt (Mk.
13,5) in seiner Antwort etwas ganz anderes als die Jünger auf ihre Frage erwartet haben.
Hütet euch, wachet, seid bereit! Dieses ist das Grundthema der ganzen Rede. „Sehet zu, dass
euch ja nicht jemand irreleite“ (Vers 4). Der gefährlichste Irrtum
wird zuerst genannt: die Verführung durch falsche
Messiasse (Vers 5). Gerade den ungeduldig das Wann betonenden Gläubigen droht die Gefahr von
dieser Seite. Falsche Messiasse gibt
es auf religiösem und politischem Gebiet. Jedes Mal, wenn Nöte sich
häufen und die Ereignisse eine Krisis erreichen, treten falsche Heilande und Menschenbeglücker auf mit der Verheißung, nun das ersehnte Zeitalter herbeizuführen. Die
große Verführungsmacht solcher Massenführer
liegt darin, dass sie sich dabei stützen auf den Namen Christi, sei es, dass sie als religiöse Reformatoren
sich frei und offen zu Christus bekennen,
oder sei es, dass sie als politische
Revolutionsführer sich stützen auf christliche Ideen. Die Lüge liegt jedes Mal darin, dass sie die Menschen
nicht zu Christus hinführen, sondern für sich gewinnen wollen. Auch der Antichrist ist ein
solcher Anstattchristus. Die falschen Messiasse
wähnen, sogar Christus noch übertreffen zu können. In Lk. 21,8 wird dem „ich bin Christus“ noch hinzugefügt: „die Wendezeit
ist nahe gekommen“ und „ihr sollt nicht hinter ihnen hergehen“. Die Verführung der falschen Christusse scheint besonders für Israel eine Gefahr zu sein (vgl. Joh.
5,43). Paulus erwähnt in seinen
Gemeindebriefen diese Seite niemals, dagegen aber ausführlich die
Gefahr durch verführerische Geister und Lehren der Dämonen (1. Tim. 4,1; 2. Tim. 3,1ff.13). Dennoch muss Jesus auch die Gemeinde dabei im Auge gehabt haben, wenn er
hier zu dem engsten Kreise der werdenden Gemeinde spricht. Die Gefahr
der Verführung, die besonders das Israel der
Endzeit bedroht, hat auch für die Gemeinde ihre eigene Kraft. „Ihr werdet aber zukünftig hören
Kriege und Gerüchte von Kriegen“ (Vers
6). In Lk. 21,9 wird noch hinzugefügt: Empörungen. Nicht, dass Kriege sein werden und Geschrei von Kriegen in
der ganzen Zeit bis zur Wiederkunft Christi, wird hier betont, sondern das Hören nach den weltpolitischen Bewegungen
seitens der Gemeinde. Das ist die drohende Verführungsmacht für auf
den Herrn wartende Gotteskinder. Das Hören kann man nicht vermeiden, aber wohl
das darauf Hören. Tief ernst ist deshalb die Mahnung: „Werdet verständnisvoll Sehende und werdet ja
nicht innerlich bewegt!“ Es ist verhängnisvoll für die Gemeinde, wenn die Unruhe der Welt mit ihren
politischen Interessen in sie hineingetragen wird im Missverstehen des prophetischen Wortes, etwa in der wohlmeinenden
Absicht, schlafende Gläubige dadurch aufzurütteln. Die durch solche Manöver erzielte Erweckung ist doch
nur Täuschung für die Gemeinde, die durch Befriedigung der Sensationslust und durch allerlei pikante und interessante Zeitfragen
vom Fundament des Glaubens abgelenkt wird. „Werdet verständnisvoll Sehende!“, d. h. solche, die mit sehenden
Augen das Zeitgeschehen in der Welt anschauen und im Stande sind, von der
hohen Warte des prophetischen
Wortes aus in unerschütterlicher Ruhe die Zeit zu beurteilen. „Denn es muss geschehen.“ Das von Gott gelenkte Weltgeschehen verläuft durchaus programmmäßig. Es ist keine Ursache für die Gemeinde zur Beunruhigung, aber auch kein
Grund, aus gewissen Weltkatastrophen
Vorzeichen für das nahe Ende herauszudeuten. „Aber es ist noch nicht das
Ende.“ Die
himmlische Berufung
der Gemeinde steht über dem allen. Die qualvolle Verflechtung der Gläubigen in die beängstigend zunehmenden
Weltkrisen und Katastrophen auf dem Boden der
Völkerwelt hat ihren Grund in der Verwischung der Grenzen. Man redet von den
Fortschritten des Reiches Gottes auf
Erden, von der allmählichen Eroberung der Welt durch das Evangelium, vom Sieg des Christentums über die heidnischen Religionen und sieht dann mit Herzklopfen
auf die Kriege und Weltströmungen, die den Fortschritt hemmen und in Frage
stellen. Doch es muss alles so geschehen. Solange die
Kriegssignatur der Welt herrscht, kann vom
messianischen Friedensreich, von Reichsgotteszuständen,
nicht die Rede sein. Zu diesem Friedensreich
kommt es nicht auf dem Wege allmählichen menschlichen Kulturfortschrittes,
sondern durch einen Geburtsprozess. Nur die Gemeinde ist fähig zu einer positiven Einstellung zum Weltgeschehen, da sie vom prophetischen Worte aus das verborgene
göttliche Muss im Weltgeschehen zu erkennen
im Stande ist. „Denn es wird erweckt werden Volk auf Volk und König‑
reich auf Königreich“ (Vers 7). Zum Charakter dieses Äons
gehören politische Umwälzungen und Völkerbewegungen,
die sich gegenseitig verdrängen und ablösen. Dazu
kommen noch Hungersnöte, Seuchen und
Erdbeben als Naturkatastrophen. Der enge Zusammenhang der kosmischen Welt mit der Weltgeschichte der Menschheit ist im ganzen prophetischen Worte klar
bezeugt. „Dies alles aber ist ein Anfang
der Wehen“ (Vers 8). Die Bewegungen in der Völkerwelt und im gesamten Kosmos
werden also als Geburtswehen bezeichnet. Diese Wehen
ziehen sich durch alle die Jahrhunderte
hindurch und haben einen positiven Zweck, nämlich
die Wiedergeburt (vgl. Mt. 19,28). Es sind nicht Zeichen eines baldigen Weltuntergangs, sondern eines neuen Werdens in der Welt. Die gesamte Schöpfung liegt mit
in Geburtswehen (vgl. Röm. 8,22). Die
Leiden dieser Welt bekommen nach den Leiden
Christi einen aktiven Wert, sie werden zu Geburtswehen. Denn aus ihnen
soll noch einmal der Welt eine Wiedergeburt geschenkt werden, wofür die Wiedergeburt
Israels das große Musterbeispiel und
der Anschauungsunterricht für die Nationen sein wird (vgl. Jer. 30,4–7). Nicht hoffnungslose Gerichte sind die Kriege und Völkerbewegungen
und Naturkatastrophen, sondern Voraussetzungen für das schließliche Heil der ganzen Welt. Nicht
Weltuntergang ist das En-de, sondern
Welterrettung, und zwar auf dem Wege des Gerichts.
23.22.2 Ermahnung
der Gemeinde zum Ausharren in Trübsal und Verfolgung der Welt (Mt. 24,9–14)
Das „alsdann“ (Vers 9) umfasst die ganze Zeit
der Entwicklung auf
das Ziel hin. Dieses „alsdann“ des Herrn Jesus entspricht dem „Wann“ der Jünger (Vers 3). Es ist köstlich
zu beobachten, wie seelsorgerlich
weise Jesus diese Frage der Jünger behandelt, indem er dieselbe in das rechte heilige Maß bringt. Die ganze Zeit der Geburtswehen für Israel und die Nationen ist
auch für die Gemeinde eine Zeit ununterbrochener
Bedrängnis bis zum Ende des Äons. Die Welt ändert ihre Gesinnung und
Einstellung nicht. „Dann
werden sie euch überliefern in Drangsal.“ Die wahren Gläubigen haben immer
diese Erfahrung gemacht. Nur eine weltförmige Kirche wird nicht von der Welt
verfolgt und gehasst (Joh. 15,19–20). Gegen das Ende des Äons findet
dann eine Steigerung der Verfolgung und Drangsal
statt bis zum Getötetwerden. Ein Bewahrtwerden der Gemeinde vor der
Trübsal lehrt die Schrift nicht, wohl aber
eine Bewahrung aus der Trübsal heraus (vgl. Offb. 3,10). Unter
Trübsal ist nicht nur Feindschaft und Verfolgung zu verstehen, sondern überhaupt der
Druck und die Enge, in der sich die Gemeinde
in dieser Zeit befindet. Die Welt ist raffiniert klug in ihrer Heimtücke
gegen wahre Gläubige, um sie diesen Druck fühlen zu lassen. Sollen wir uns
dagegen zur Wehr setzen oder versuchen,
durch Nachgeben und Mitmachen dem Druck zu entgehen und so die
Welt umzustimmen? Jesus antwortete auf solche unausgesprochene Fragen: „Ihr werdet gehasst sein von allen Völkern um meines Namens
willen“. In Mk.
13,9–13 und Lk. 21,12–19 wird dieser Abschnitt ausführlicher behandelt, tröstlicher
und beratender. Matthäus hebt an dieser
Stelle nur die Tatsache hervor, weil er schon
früher (vgl. Mt. 10,17–22) diese Belehrungen
in einem anderen Zusammenhang gebracht
hat. „Um meines Namens willen.“ Hiermit ist 1. Petr. 4,14–16 zu vergleichen. Leidet jemand deshalb, weil er sich in Dinge einmischt,
die ihn nichts angehen, etwa durch Kritik an der weltlichen Obrigkeit
oder ein angemaßtes Aufseheramt, so ist das kein Leiden um Jesu
willen. Der Zusatz „von allen Völkern“ findet sich nur bei Matthäus. „Dann werden sich viele ärgern“ (d. h. zu Fall kommen). Das ist die große Prüfung und
Sichtung unter den Bekennern Christi während dieses ganzen Äons. Der Abfall begann
schon zur Zeit der Apostel (vgl. 2. Tim. 4,10.16; Hebr. 6,4–6). „Einander verraten und einander
hassen.“ Gerade
Abgefalle‑ne hassen am meisten die
Treugebliebenen und suchen sie dadurch zu vernichten, dass sie sie an die weltlichen und
politischen Instanzen verraten. Die
Kirchengeschichte ist voll von solchen Gräueln. „Und viele falsche Propheten werden aufstehen und viele irrführen.“ Diese falschen Propheten stehen auf derselben Linie wie die falschen Propheten zur Zeit Jeremias. Sie
sind Friedensprediger und Heilsverkündiger, Vertreter des anerkannten
religiösen Systems. Man erkennt sie daran,
dass sie Heil ohne Gericht lehren, Gottesreichsideen
ohne den Todesweg des Kreuzes. Als Folge der Verführung durch diese falschen Propheten „wird die Gesetzlosigkeit überhand nehmen“ (Vers 12). Gesetzlosigkeit ist falsche Freiheit, innere Haltlosigkeit,
Zügellosigkeit, Emanzipation von göttlicher Ordnung, Handeln nach eigenem Gutdünken.
So kommt es zum Zustand von Laodicea, zum Erkalten
der Liebe der Vielen. Die Vielen sind die große Masse im Gegensatz
zu den Wenigen (Offb. 3,4), die nicht ihre Kleider besudeln. Das ist in großen Zügen das Bild der
Kirchengeschichte, wie Jesus es sieht. Wir
finden nichts von einem gradlinigen Fortschritt des Christentums bis zum schließlichen Sieg, sondern nur den Weg
durch Bankrott und Gericht zum Heil. Es ist immer wieder dieser selbe Grundzug
in allen Regierungs– und Heilswegen Gottes mit den Menschen, damit seine Gnade
allein triumphiere. „Wer aber ausharret bis ans Ende,
der wird errettet werden“ (Vers 13;
Mt. 10,22). Für Ausharren hat das Griechische einen eigenartigen Ausdruck (HYPOMENEIN),
der soviel bedeutet wie: darunter bleiben. Bei diesem Untenbleiben
verschwindet das Vertrauen auf die eigene Kraft, und da kommt die Gnade
zur absoluten Wirksamkeit. Nicht Glaubensheroismus und moralische Überwertigkeit,
sondern Kleinbleiben unter der Gnade hält stand bis zum Ziel. Das Wort für Ende (TELOS)
bezeichnet nicht nur das zeitliche Ende, sondern den Zielpunkt. In Lk. 21,19 heißt es: „Vermittelst eures Ausharrens (Druntenbleibens) werdet ihr eure Seelen erwerben“. Das erinnert an Mt. 10,39; 16,25. Es ist die
Durchführung der geraden Linie des
Totalitätsgesetzes im Jüngerleben gemeint
bis hin zum Ziel. „Und es wird dieses Evangelium vom Königreich in der ganzen Menschenwelt (OIKUMENÄ) verkündigt werden zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird
das Ende (Ziel) kommen“ (Vers 14). Es gibt nur ein Evangelium, aber in demselben verschiedene
Stufen der heilsgeschichtlichen Entwicklung.
Das Evangelium, wie es die Jünger vor
Pfingsten kannten, unterscheidet sich gewiss von dem Evangelium, wie es Paulus in seiner ganzen Fülle verkündigte,
von der Sohnschaft und Lebenseinheit mit dem Christus und dem einen Leibe des Christus. Und doch ist es kein
anderes Evangelium (vgl. Gal. 1,6–9). Der allem übergeordnete Begriff ist das Evangelium vom
Königreich. Die Königsherrschaft Gottes ist
das Fundament des ganzen Evangeliums.
Bei der Verkündigung desselben handelt es sich um die Proklamation
der Gottesherrschaft in der ganzen Welt. Wohl in der ganzen Evangeliumszeit bis zur Wiederkunft Christi handelt es
sich um diese Botschaft an die Menschheit mit der Aufforderung zur Unterwerfung
unter die Königsherrschaft Gottes. Vor dem Ende wird diese Botschaft
noch besonders gesteigert, zur Entscheidung nötigend. „In ein Zeugnis hinein.“ Das ist mehr als ein bloßes sachliches Predigen, das ist Zeugnis bis zum Märtyrertod. Dieses Zeugnis ist bestimmt für die breiteste
Öffentlichkeit der Völkerwelt, sowie
auch Paulus seine Botschaft so ausrichtete, dass alle Völker sie
hörten (vgl. 2. Tim. 4,17). „Und dann wird das Ende eintreffen,“ nicht das Weltende, sondern das Ende des Äons, das Ziel dieser gegenwärtigen Haushaltung. Es ist der große Wendepunkt in der äußeren Gestalt des Reiches Gottes auf Erden, das Ende der Zeit der Heiden, der Zertretung Jerusalems, das Ende dieses jetzigen Zeitlaufs, in welchem Satan eine führende Rolle spielt. Dieses Ende ist zugleich der Anbruch eines neuen Äons der Gottesherrschaft
23.22.3
Die Zerstörung Jerusalems (Mt. 24,15–22)
Die Frage, ob hier das
geschichtliche Ereignis vom Jahre 70 n. Chr. gemeint
sei oder eine endgeschichtliche Zerstörung Jerusalems, ist wohl so zu beantworten, dass durch das Transparent
der geschichtlichen
Erfüllung im Jahre 70 die endgeschichtliche Erfüllung hindurch zu sehen ist. Es wäre durchaus nicht zu
begreifen, wie ein solches Ereignis
wie die Zerstörung Jerusalems durch Titus und
die Bedeutung desselben für die
Heilsgeschichte gar nicht erwähnt sein sollte in diesem Zusammenhange. Jesus
spricht zu seinen damaligen Jüngern offenbar von etwas, was sie ganz
persönlich erleben sollten. „Wenn ihr nun schauet.“ Es handelt sich also um ein
Erlebnis der Jünger
und eine Anweisung zum rechten Verhalten bei demselben. Auch hier steht wieder
nicht das bloße Interesse an der Kenntnis der zukünftigen Ereignisse im Vordergrund, sondern
die Bewahrung der Jüngergemeinde. Wie das prophetische Wort
uns von der ersten Zerstörung Jerusalems
im Jahre 586 v. Chr. durch die Chaldäer
verhältnismäßig wenige Einzelheiten erzählt (vgl. 2. Kön. 25; Jer. 52), so finden
wir’s auch hier wieder. Die Schrift zeichnet sich durch große Zurückhaltung
aus, wenn es sich um weltliche Sensationen handelt. „Den Gräuel der Verwüstung, von dem geredet ist durch Daniel, den Propheten, stehend an
heiliger Stätte, wer es lieset, merke darauf“ (Vers 15; vgl. Mk. 13,14). In Lk. 21,20 lesen wir: „Wenn ihr aber Jerusalem sehet von Heerlagern umzingelt, dann erkennt, dass ihre Verwüstung sich
genahet hat“. Offenbar
hat Jesus bei seiner ganzen
eschatologischen Rede die Danielstellen 9,27; 11,31 und Dan. 12,11 im Sinne und knüpft daran an: „Und er wird einen festen Bund mit
den Vielen schließen eine Woche (Siebenheit), aber die Mitte der Woche wird abschaffen Schlacht– und
Speisopfer; an ihrer Stelle wird der Gräuel der Verwüstung sein. Bis zur Vollendung wird
es währen und dann das beschlossene Verhängnis sich über das Verwüstete ergießen.“
(Dan.
9,27) Die hier erwähnte Woche (Siebenheit) ist
die 70. Jahrwoche, wie sich aus dem Textzusammenhang ergibt. Und diese 70. Jahrwoche weist hin auf das große Hall– oder Freijahr
(vgl. Jes. 61,1–2; Lk. 4,17–21), welches
mit dem Beginn des Christuswirkens Jesu angebrochen ist. Um diesen Zeitpunkt chronologisch festzustellen, ist
es wichtig, den richtigen Ausgangspunkt zu finden. Das Datum des ersten
Befehls, Jerusalem wieder zu bauen, fällt in das 7. Regierungsjahr (458 v. Chr.) des persischen Königs Artaxerxes Longimanus (vgl. Esra 1,1.8.11ff.) und das des zweiten
Befehls in das 20. Jahr (445 v. Chr.) desselben Königs (vgl. Neh.
2,1.7ff.). Diese beiden Daten haben die meiste
Wahrscheinlichkeit, um als Anfangstermin für die 70 Jahrwochen gerechnet zu werden.
Nehmen wir den 1. Nisan (= 14. März) des Jahres 445 v. Chr., so treffen wir,
wenn wir 69 7 Jahre von je 360 Tagen = 173880 Tage rechnen, auf den 10. Nisan
des Jahres 32 n. Chr. Das chaldäische Jahr
wird zu 360 Tagen gerechnet. Nehmen wir dagegen das 7. Regierungsjahr
des Artaxerxes als Ausgangspunkt für die Berechnung
der 70. Jahrwoche, indem wir volle 483 Jahre rechnen, so kommen wir auf das Jahr 26 n. Chr., also das Jahr
des Beginns der öffentlichen
Wirksamkeit Jesu. Das Letztere ist das Annehmbarste. „Und Streitkräfte von ihm werden
dastehen; und sie werden das Heiligtum, die Feste, entweihen, und werden das beständige
Opfer abschaffen und den Gräuel derVerwüstung aufrichten.“
(Dan. 11,31) Durch seinen Feldherrn Apollonius ließ
Antiochius Epiphanes (ca. 175 bis 164 v.
Chr.) den jüdischen Gottesdienst unterdrücken. Die Beschneidung wurde verboten,
die Opferfeste wurden untersagt und die Heiligen Schriften verbrannt. Wer sich
widersetzte, wurde grausam umgebracht. Auf dem Brandopferaltar im Vorhof wurde
ein kleiner, dem Zeus geweihter Götzenaltar aufgerichtet und auf demselben geopfert. Hier haben wir eine vorlaufende
Erfüllung des Wortes, die auf die
letzte Erfüllung bei der Zerstörung Jerusalems
durch Titus hinweist. Nach Dan. 8,17.19 weist dieses Gesicht über die erste Erfüllung hinaus in die Zeit des Endes,
des letzten Zornes. „Und von der Zeit, da das tägliche
Brandopfer aufgehoben wird, um dafür das die heilige Stätte verwüstende Scheusal aufzustellen, sind
es 1290 Tage. Wohl dem, der ausharrt und 1335 Tage erlebt.“ (Dan. 12,11) Ohne uns weiter mit Zahlen und
Berechnungen aufzuhalten, versuchen wir das Zitat Jesu im Zusammenhang von Mt.
24 zu verstehen. Da ist es sehr wichtig, auf die Tendenz des Aufschubs zu achten, die im ganzen
Prophetismus und auch im Matthäus– Evangelium eine besondere Bedeutung hat. Aus den 70
Jahren bei Jeremia werden 70 Jahrwochen – 70
7 Jahre in Dan. 9,24–27. Noch einmal wird jetzt durch Jesus das Ende hinausgeschoben. Der Tempel jedoch sollte schon mit
dem Abschied Jesu von demselben leer,
verödet gelassen werden (Mt. 23,38). Von einer
Wiederaufrichtung des zerstörten Tempels, um nochmals zur Zeit des Antichristen entweiht und zerstört zu
werden, sagt die Schrift nichts. Auch
in 2. Thess. 2,4 nötigt uns der symbolische Ausdruck „Tempel Gottes“ nicht zu der Annahme eines neuen Tempelbaues. Der
Kaiser Julian Apostata hat vergeblich versucht, den zerstörten Tempel
wieder aufzurichten. Jesus hat gesagt: Er soll wüste gelassen
werden. Unter „Tempel Gottes“ in 2. Thess. 2,4 haben wir die
Gemeinde zu verstehen (vgl. 1. Kor.
3,16–17; 2. Kor. 6,16; Eph. 2,21;
Offb. 3,12). Jesus gibt seinen damaligen
Jüngern klare Anweisungen für die Zeit
der Zerstörung Jerusalems, wie sie selber vor dem Gericht verschont bleiben sollten. Die Parallelstelle in Lk.
21 bestärkt die Überzeugung, dass es sich um das
Ereignis im Jahre 70 n. Chr. handelt. Zugleich deutet Lk.
21,24 klar an, dass mit der Zerstörung die Zeit der Heiden anbricht, während
welcher Jerusalem zertreten werden soll. Nach Lk. 21,20 sollen die Jünger schon beim
Beginn der Belagerung Jerusalems
fliehen. Nach Mt. 24,15 ist der Gräuel der Verwüstung (oder Verödung) an heiliger Stätte
das Signal zur Flucht für die Gemeinde. Unter diesem Gräuel der Verwüstung ist wohl das die
Verödung der heiligen Stätte herbeiführende Gräuelwesen gemeint, also
die Vollendung der Linie der
Tempelentweihung der Juden, die dadurch ihren
Höhepunkt erreichte, dass die heidnischen Römer sich immer mehr
auch die Herrschaft über den Tempel anmaßten. Pilatus ließ dort eine Kaiserstatue aufstellen, die nach
römischer Sitte göttlich verehrt wurde.
Die Feldzeichen der römischen Adler wurden überall im Vorhof angebracht. Das waren Vorzeichen für das bevorstehende Gericht der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Der prophetisch orientierte
Matthäus gibt den am prophetischen Worte geübten Gläubigen diese prophetische Schau. Für die Ungeübten dient Lk. 21,20: der
Hinweis auf den Beginn der Belagerung
Jerusalems. Die Schrift nimmt Rücksicht auf alle in der Gemeinde, auch auf die Schwachen.
In Mt. 24,16–18 gibt Jesus seinen
Jüngern Ermahnungen, wie sie sich bei diesem Gericht verhalten sollten, um die
eilige Flucht aus Judäa auf die
Berge durchzuführen. Wir wissen, dass die jerusalemische Gemeinde
eine sichere Zuflucht im transjordanischen Pella gefunden hat.
Die Flucht muss sehr plötzlich
gewesen sein, über die flachen Dächer hinweg, ohne noch einmal ins Haus hinabzusteigen, um etwas zu holen, und direkt vom Felde aus, ohne vorher ins Haus
zurückzukehren. Vgl. Mt. 10,23; Lk. 17,31;
21,21. Jesus lehrt zarte Rücksicht auf die Schwachen. „Weh den Schwangeren und Säugerinnen in jenen Tagen“ (Vers 19), vgl. Lk. 23,29. Die
Gläubigen werden nicht völlig verschont von Trübsalen, aber sie werden in aller Not und aus aller Drangsal
heraus bewahrt. „Bittet aber, dass
eure Flucht nicht in den Winter, noch auf den Sabbat falle“ (Vers 20). Der
Winter als Erschwerung der Flucht durch die äußeren Umstände und der
Sabbat als Hindernis für die Flucht
durch die Juden selber, die versuchen würden, die Christen an diesem Tage davon abzuhalten. Wäre an
dieser Stelle an eine endgeschichtliche
Erfüllung gedacht, so wäre es nicht zu verstehen, wie die Christen auf
den Sabbat Rücksicht nehmen sollten. Von der jerusalemischen Gemeinde wissen wir
jedoch, dass sie den Sabbat noch gefeiert
hat. „Denn es wird dann eine große Drangsal sein, wie sie nicht geschehen ist
von Anfang der Welt bis jetzt, auch keineswegs mehr geschehen soll“ (Vers 21; vgl. Mk. 13,19; Lk.
21,22–24). Nach Lk. 21,22–23 wird diese Drangsalszeit
genannt: „Tage der Rache, um zu erfüllen alles, was geschrieben
ist; denn es wird große Not sein im Lande und Zorn diesem Volk“. Nach Josephus sollen über eine
Million Juden in diesem Kriege umgekommen und ungefähr 90000 in Gefangenschaft weggeführt worden
sein. Selbst der heidnische Feldherr und spätere römische Kaiser
Titus musste bekennen, er habe nur dem Gott, der an den Juden seinen Zorn beweisen wollte, die Hände dazu geliehen. Die ganze Zeit der Heiden ist für
Israel eine einzige große Drangsal (vgl. Lk. 21,24), aber es ist noch nicht die große Drangsal am
Ende dieses Äons, die antichristliche, von der auch in Dan. 12,1 die Rede ist. Anfang und Ende der großen Drangsalsperiode
für Israel während der Zeit der Heiden sind besonders
schwer. Die Zwischenzeit als Evangeliumszeitalter
ist für das Volk eine modi- fizierte Gerichtszeit. „Und wenn nicht abgekürzt wären
jene Tage, so würde kein Mensch gerettet“ (Vers 22). Wenn das mit der Zerstörung Jerusalems beginnende Gericht des Zertretens unvermindert
bis zum Ende des Äons so weiter
gegangen wäre, so würde kein Mensch gerettet
werden. Nicht die Anzahl oder die Länge der Tage wird verkürzt, sondern die Gerichtsschwere
dieser Tage wird gemildert. Zur Erklärung dieses schwierigen Ausdrucks müssen
wir Dan. 9,27; Jes. 10,23 und Röm. 9,28 heranziehen: Röm. 9,28: „Denn der die Sache (Rechtssache)
zum Abschluss bringt, ist auch der sie beschränkt (in Gerechtigkeit); denn eine eingeschränkte (festbegrenzte) Sache wird
der Herr tun (vollziehen) auf
Erden (im Lande)“; ·
Dan. 9,27: „Bis Vernichtung
(Vollendung) und Festbeschlossenes (Zurechtgeschnittenes) über das Verwüstete
ausgegossen werden“; ·
Jes. 10,23: „Gerichtsvollendung
ist festbeschlossen, überströmend in Gerechtigkeit. Denn Vollendung und feste
Begrenzung vollbringt der Herr, Jehova der Heerscharen, in-mitten des ganzen
Landes“. Das Gericht kommt
voll zur Ausführung, aber in demselben herrscht göttliche Gerichtsmilderung. Gottes Zorn ist
fest begrenzt, seine Gnade dagegen unbegrenzt.
Sonst würde kein Mensch gerettet werden. Um der Auserwählten willen. Hiermit ist entweder ganz Israel gemeint als auserwähltes Volk oder die Auswahl
innerhalb des Volkes. Der Überrest des ganzen Volkes in Röm. 9,27
ist nicht zu verwechseln mit dem
Überrest innerhalb des Volkes nach Auswahl der Gnade in Röm. 11,5. Die
Milderung des göttlichen Zorngerichts wird durch die Rücksicht auf die
Auserwählten bestimmt (vgl. 1. Mo. 18,23; 19,22).
23.22.4 Gesteigerte Verführungsmächte
für die Jüngergemeinde am Ende dieses Äons (Mt. 24,23–27)
Je näher das Ende,
desto deutlicher nehmen die weltlichen Heilande Ähnlichkeit mit Christus an. „Alsdann, wenn jemand zu euch sagt: »Siehe! Hier
der Christus!« oder: »Hier!«, so sollt ihr es nicht glauben“ (Vers 23). Es ist dies keine
bloße Wiederholung der erns-ten Warnung
in Vers 5 vor Verführern, sondern eine ganz spezielle Mahnung für die Gemeinde und für das Israel der Endzeit, sofern die Gemeinde ihre prophetische Mission der
Endzeit begriffen ha-ben wird (vgl. Mt. 25). Die Gefahr, nach
falschen Anhaltspunkten Ausschau zu halten, anstatt auf den Herrn zu harren
nach biblischer Orientierung, Für Israel besonders werden
falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen, die große Zeichen und
Schauwunder verrichten (Vers 24), dass auch, wenn möglich, die Auserwählten irregeführt werden. Das Wort „wenn möglich“ deutet an, dass Gott die Auserwählten vor solcher Verführungsmacht aus Gnaden bewahren wird. „Siehe, ich habe es euch vorhergesagt“
(Vers 25). Wie nötig ist doch für
die Gemeinde die Kenntnis des prophetischen Wortes, wichtig zur eigenen
Bewahrung und zur rechtzeitigen Orientierung
in dunklen Zeiten. Falsche Parusievorstellungen (Vers 26). „In der Wüste“ und „in den Kammern“ sind nicht bloße Ortsbezeichnungen, sondern Bilder, Symbole.
Die Wüste ist der Ort des Neuanfangs, der Ref ormatoren wie Johannes des Täufers. Die Kammern
sind der Platz des persönlichen, vertrauten Gebetsumgangs
mit Gott (vgl. Mt. 6,6; Lk. 12,3). Die Verführungsmacht für die auf den Herrn
harrende Gemeinde liegt gerade in dem gesteigerten Interesse für
religiöse Fragen, wenn es vom klaren biblischen
Ziel weg nach irgend einer Seite abgebogen
wird. Gerade die heiße Sehnsucht, die Parusie Christi zu erleben, kann zu Ungeduld und falschen Anstrengungen verleiten,
die Parusie auf dem Wege der Absonderung und Reform zu beschleunigen, oder auf dem Wege der Vertiefung nach Innen zu
erringen. Nach der Schrift gibt es keine solchen Möglichkeiten,
sondern die Parusie erfolgt ohne Zutun der Menschen ganz unerwartet plötzlich und für alle zugleich. „Denn gleichwie der Blitz
ausgehet vom Ausgang und leuchtet bis zum Niedergang, also wird sein die Parusie des Menschensohnes“ (Vers 27). Das Bild des Blitzes
veranschaulicht das Plötzliche, unbedingt Erkennbare, überall Sichtbare
und strahlend Helle. Also niemand wird dann
mehr auf ein menschliches Zeugnis angewiesen
sein, als sei der Christus irgendwo im Verborgenen wiedergekommen (vgl. Lk. 17,24). „Wo irgend nur das Aas ist, da werden sich die Adler sammeln“
(Vers 28). Nach Lk. 17,37 ist dies
die Antwort Jesu auf die Frage der Jünger nach dem Wo des Gerichts. Ganz
Israel glich dem verwesenden
Aas, das die Geier herbeilockte. Aasgeier sind verbunden mit Gericht, vgl.
Offb. 19,17–21. Wie das Aas unwiderstehlich
die Aasgeier herbeilockt, so das sittliche und religiöse Verderben das Gericht.
23.22.5
Revolution des Kosmos kennzeichnet die große Heilswende (Mt. 24,29)
Sofort nach der
Drangsal jener Tage wird der ganze Kosmos in Aufruhr geraten. Die große
Drangsal ist beendet, die Himmelszeichen
folgen ihr unmittelbar auf dem Fuße. Der große Gerichtstag Gottes beginnt (vgl. Jes.
13,9–11; Joel 3,4). Mit dem Strafgericht über die Feinde Israels hängt
zusammen die Errettung des Volkes. Das
Gericht über die Nationen findet statt im Tale Josaphat (vgl. Joel 4,12–16). Jehova wird aus Zion brüllen und
Jerusalem wird zum Laststein gemacht
für alle Völker (vgl. Sach. 12,3–10). Zu gleicher Zeit finden kosmische
Veränderungen im Sonnensystem statt.
Die Sonne wird verfinstert werden und der Mond seinen Schein nicht geben, und
die Sterne werden fallen vom Himmel. Unter diesen Sternen
des Himmels sind wohl nur die Plane-ten innerhalb unseres Sonnensystems gemeint. Sie
werden nicht zur Erde fallen, sondern aus dem
Himmel Fallende sein (vgl. Mk. 13,25), d. h. ihre bisherigen Bahnen im Sonnensystem
verlassen und dadurch die kosmische Revolution bewirken. Die Kräfte der Himmel
(Plural) werden erschüttert (vgl. Hag. 2,6.21; Hebr. 12,26–27; Offb.
6,12–15; Jes. 34,4). Die Kräfte der Himmel
sind wohl die kosmischen Naturgesetze wie das Gravitationsgesetz und
andere. Über die Wirkung dieser Naturkatastrophen auf die Menschen siehe Lk. 21,25–26. Diese kosmische Revolutionist der Anfang
der Neuschöpfung von Himmel und Erde, auf der der Tempel Gottes den
Mittelpunkt bilden wird. Um die
messianische Reichsherrlichkeit herzustellen, muss vorher noch die ganze Welt umgewandelt werden, wobei Himmel und Erde erschüttert werden sollen (vgl. 2. Petr.
3,10–13). Zwischen der Menschenwelt und dem Heer des Himmels
besteht ein Gesetz der Solidarität. Was hier geschildert wird, ist im Sinne des
prophetischen Wortes ein eigentlicher
Weltuntergang, dem eine neue Weltordnung folgt. Der Planetenhimmel wird wie von
gewaltiger Glut aufgerollt, und die Sterne fallen herab wie welke Blätter vom
Feigenbaum (vgl. Jes. 34,4). Lukas
nennt die kosmischen Veränderungen Zeichen an Sonne und Mond und Sternen (Lk. 21,25). Diese Zeichen leiten das Zeichen des Menschensohnes in den Wolken
ein.
23.22.6 Und
alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes in dem Himmel (Mt.
24,30)
Das Zeichen des Menschensohnes ist vom
Menschensohn selbst wohl zu
unterscheiden. Dieses Zeichen im Himmel, welches den Stämmen des Landes sichtbar wird, ist dem ganzen Zusammenhang
nach wahrscheinlich die Schechina, die solange von Israel getrennt
war. Diese war den auserwählten Jüngern bereits auf dem Verklärungsberge erschienen (vgl. Mt. 17,2.5). Endlich wird das von den Juden so stürmisch begehrte
Zeichen vom Himmel (vgl. Mt. 12,38; 16,1)
dem ganzen Volke gegeben werden. Die Tatsache,
dass Jesus es nicht für nötig hielt, seinen Jüngern zu erklären, worin das Zeichen des Menschensohnes
eigentlich bestehen wird, beweist uns, dass er
ohne weiteres voraussetzen durfte, dass sie
bereits aus der Schrift eine bestimmte, klare Vorstellung hatten. (Über den Begriff „Menschensohn“ siehe die Ausführungen auf den Seiten 408 bis 415). In derselben lichten
Wolke, die ihn aufnahm bei seiner Himmelfahrt vor den Augen seiner Jünger hinweg (Apg. 1,9), wird Jesus wiederkommen
(Apg. 1,11), auf derselben Stelle (Ölberg, Sach.
14,4). In Jes. 4,5 lesen wir schon: „Und Jehova
wird über jede Wohnung des Berges Zion und seine Versammlungen eine Wolke und einen
Rauch schaffen bei Tage und den Glanz eines flammenden Feuers bei Nacht. Denn über
der ganzen Herrlichkeit wird eine
Decke sein.“ Das wird das Signal sein für die
Stämme des Landes, wenn sie in der aus den Tiefen des blauen Himmels näher kommenden Lichtwolke die Gestalt des verherrlichten
Christus mit ihren Augen
sehen werden, und seine Füße auf dem Ölberg stehen werden (vgl. Lk. 21,27; 1. Thess. 4,17;
Offb. 1,7; 10,1; 11,12; 14,14). Warum sagt Jesus an dieser Stelle seinen Jüngern
nichts Eindeutiges über den Anteil der
Gemeinde bei seiner Parusie? Aus 1. Thess. 4,17 erfahren wir, dass die
auf ihren Herrn wartende Gemeinde
insgesamt dem kommenden Herrn in Wolken entgegengerückt wird in die Luft, und also immerdar mit dem Herrn zusammensein
wird. Die Zeit der Offenbarung dieses Geheimnisses war jetzt noch nicht gekommen. Danach hatten die Jünger den Herrn auch nicht
gefragt, sondern nur nach den näheren Umständen, die mit der Zerstörung des Tempels und der Wiederkunft
Christi zur Aufrichtung seines Königreichs zusammenhängen. Wenn wir Parusie und Epiphanie unterscheiden, so liegt es nahe, in der blitzartigen Parusie
(Vers 27) eine Andeutung zu finden für die Entrückung der Gemeinde
und in dem erscheinenden Kommen des Menschensohnes in den Wolken des Himmels die Epiphanie für Israel. Die Jünger hatten nach dem Zeichen
seiner Parusie gefragt. Die Gemeinde braucht kein solches sichtbares Zeichen. Für
sie kommt die Parusie Christi plötzlich,
blitzartig (Vgl. 1. Kor. 15,52). Das
dann noch unbekehrte Israel braucht jedoch Zeichen und Erscheinung. „Und dann werden wehklagen alle Stämme des Landes. Und sie werden sehen den Sohn des
Menschen kommend auf den Wolken
des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Alle diese einzelnen Szenen sind
nur vom prophetischen Totalbild aus klar zu verstehen. Die große nationale Wehklage wird schon in Sach. 12,11–14 ausführlich
geschildert, vgl. Offb. 1,7. Israels Bekehrung wird das
Ergebnis dieser Offenbarung des Menschensohnes
aus dem Himmel sein, die verbunden ist mit einer Geistesausgießung der
Gnade und des Flehens, damit Israel erkenne, welchen sie zerstochen haben (Sach. 12,10). „Finsternis bedeckt die Erde (das
Land) und Wolkendunkel Völker, aber über dir soll aufgehen Jehova, und seine
Herrlichkeit
soll erscheinen über dir“ (Jes.
60,2). Das wird dann in Erfüllung gehen.
Während es über den Weltvölkern noch tiefe Finsternis ist, wird das bekehrte
Israel im strahlenden Lichte wandeln, und die Völker werden nach Zion–Jerusalem
hinaufpilgern, von wo das Licht ausstrahlt in die Welt hinein. Die Bekehrung des Apostels Paulus ist typisch für die nationale Wiedergeburt Israels. Sie geschah auch durch ein Zeichen
vom Himmel, durch die Erscheinung des
Christus in seiner Herrlichkeit (vgl. Apg.
9,3–6; 22,3–10; 26,13–18). Das Kommen des Menschensohnes mit großer Kraft und Herrlichkeit bildet den Gegensatz zu seinem ersten Kommen in Schwachheit des Fleisches und Niedrigkeit des Kreuzes. Das Zeichen des Kreuzes ist dann nicht mehr am Platze. Die ganz
neue Weltordnung, die Aufrichtung des Königreiches und die Durchführung der
einzelnen Herrschaftsaufgaben erfordert gewaltig große Kraft, die dem Sohn vom Vater gegeben ist. Durch die
Offenbarung seiner Herrlichkeit wird die Finsternis besiegt werden. Die Decken
und Hüllen werden eine nach der anderen fallen, womit alle Völker jetzt noch belastet
sind. Wahrheit und Gerechtigkeit werden triumphieren über die Bosheitsmächte
der Welt. „Siehe, ich mache alles
neu.“ „Und er wird aussenden seine Engel
mit einer Posaune lauten Schalls, und sie werden zuhauf sammeln
seine Auserwählten aus den vier Winden von einem äußersten Ende der Himmel bis zum anderen“ (Vers 31). In Mk. 13,27 heißt es: „Vom äußersten En-de des Landes bis zum äußersten Ende
des Himmels.“ Während Satan gebunden ist, werden die Engel
auf Erden eine neue Wirksamkeit entfalten. Es sind die
Engel seiner Kraft (vgl. 2. Thess. 1,7), die
zu seinem besonderen Dienst bereitstehen (vgl. auch Mt. 13,41; Joh. 1,51). Die Sammlung der Auserwählten. Während der Herr selber seine Gemeinde zu sich nimmt,
bedient er sich bei der Sammlung Israels der Engel. Die Wiederherstellung Israels und die Sammlung aller Zerstreuten gehört zum eisernen Bestand der
prophetischen Verkündigung (vgl. 5. Mo.
28,64; 30,4). Was die Posaune mit lautem Schall (vgl. Jes. 27,13) bedeutet, kann aus der Symbolik leicht erkannt
werden. Posaunen dienten im Kriege und im Frieden zum Abgeben von Sammlungssignalen
(vgl. 4. Mo. 10,1–10). Ebenso wie das
helle Licht bei der Erscheinung des
Menschensohnes ganz real zu verstehen ist, so gewiss auch der Posaunenschall. Wie
Jehova sich vom Sinai offenbarte unter sehr starkem Posaunenschall (2. Mo.
19,16.19), so wird es ähnlich
sein, wenn die Engel des Christus das auserwählte Volk sammeln. Wie man sich das vorstellen soll, ist
allerdings noch ein Geheimnis. Ob die Engel sichtbar werden, ist nicht gesagt und
auch nicht wahrscheinlich. Dass aber
außergewöhnliche Mittel angewandt werden zur Sammlung Israels, deutet
hin einerseits auf das große Interesse
des Herrn und andererseits auf die Schwierigkeit dieser Aufgabe.
23.22.7 Das Gleichnis vom Feigenbaum (Mt. 24,32–35)
Als einziges Vorzeichen für das
nahe Bevorstehen der Wiederkunft Christi, worauf zu
achten der Herr seinen Jüngern ans Herz legt,
dient das, was durch das Knotengewinnen des Feigenbaums in diesem Gleichnis
dargestellt werden soll. Alle anderen sogenannten
„Vorzeichen“ aus der allgemeinen Weltlage, aus der Völkerpolitik, sind zum mindesten unzuverlässig und
trügerisch. Es ist daher von größter
Wichtigkeit, das Gleichnis vom Feigenbaum recht zu verstehen. Jesus erinnert mit diesem Gleichnis an den verfluchten, verdorrten Feigenbaum als Strafwunderzeichen und
Symbol vom Volke Israel unter dem göttlichen Zorngericht. Der zu neuem Leben und Wachstum erwachende Feigenbaum
ist demnach ein Gleichnis von der neuen
Gnadenzeit für Israel. Nach Hl. 2,11–13ist das
Knotengewinnen des Feigenbaums ein Anzeichen,
dass der Sommer nahe ist, also der Anbruch einer neuen Frucht– und Erntezeit. So ist ein Lebenszeichen
gemeint, ein Ereignis, welches der eigentlichen Sammlung Israels
durch die En-gel des Christus vorhergeht,
ein untrügliches Merkmal dafür, dass die
Gerichtszeit für Israel zu Ende geht und die Erfüllung der Verheißung
des Endheils ganz nahe bevorsteht. Das Knotengewinnen kann
also nicht die nationale Sammlung oder irgend eine völkische Bewegung
bedeuten, da ja diese erst eine Folge der durch des wiederkommenden Herrn Eingreifen stattfindenden
geistlichen Wiedergeburt des Volkes sein wird. Aber eine Wiederbelebung des prophetischen
Zeugnisses ist auf israelitischem Boden immer das sichere Anzeichen einer neuen Heilsperiode. Mit der Verwerfung des prophetischen Geisteszeugnisses
der Gemeinde wurde das
Verstockungsgericht Israels perfekt, mit einer
durch Gottes Geist gewirkten Wiederbelebung des prophetischen Geisteszeugnisses
beginnt die Wiederherstellung Israels. Die Vermutung liegt sehr nahe, dass dieses Zeugnis
von der Endzeitgemeinde ausgeht. Die
Eliasmission der zwei Zeugen (vgl. Mt.
17,11–12; Offb. 11) ist dann eine Fortsetzung dieses Zeugnisses. Näheres über den Dienst der Endzeitgemeinde
an Israel, um die Braut für die Hochzeit
vorzubereiten, erfahren wir in dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen. Nach Lk. 21,29 wird das Gleichnis
vom Feigenbaum ausgedehnt
auf alle Bäume. Hierbei an die Nationen zu denken, verbietet nicht nur der Textzusammenhang, sondern auch das
prophetische
Totalbild. Für die Nationen gibt es keine Wiedergeburt vor Aufrichtung des Reiches. Aber für Israel ist nicht nur
der Feigenbaum ein Symbol, sondern auch andere Bäume wie der Ölbaum und der Weinstock. Über die Bedeutung dieser Bäume
vergleiche das auf Seite 553 Ausgeführte. Lukas betont
damit das Allumfassende bei der Wiedererweckung
des prophetischen Zeugnisses auf israelitischem Boden. Die ganze Lebensfülle, symbolisiert durch die verschiedenen
Bäume, wird beginnen sich zu regen, um eine Frucht– und Erntezeit in reichstem Maße einzuleiten. Dass Matthäus
ausschließlich den Feigenbaum nennt,
hängt mit seiner prophetischen Schau zusammen, da gerade die süße Frucht des Feigenbaumes ein bekanntes Symbolist für den Genuss des Gottesfriedens
im messianischen Königreich. Dass die
Jünger dieses Gleichnis lernen sollen, deutet schon an, dass das
Verständnis dafür mit Fleiß gesucht werden muss. Jesus sagt: „wenn ihr dies
alles seht“ (Vers 33). In Lk.
21,31 heißt es: „wenn ihr dies
alles werdend seht“. Es ist also ein bestimmter Werdeprozess, eine geschichtliche Entwicklung, die sich um das Volk Israel dreht. Israels Geschichte ist
die Zentralachse der Weltgeschichte, wie Israels Erhaltung als
Geschlecht das Zentralwunder der Weltgeschichte
ist. Solange die Gerichtszeit für Israel währt, steht der Feigenbaum wie tot da. Das Wiederbelebtwerden ist ebenfalls ein Wunder Gottes, etwas, was das
Volk von sich aus nicht zu bewirken vermag. „Wahrlich, sage ich euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass dies alles geschehen
wird“ (Vers 34). „Dieses Geschlecht“ ist dasselbe wie in Mt. 23,36,
also nicht die gerade lebende Generation,
sondern das Geschlecht der Juden überhaupt, an dem „dieses alles“ sich erfüllen soll. Das jüdische Geschlecht
ist geblieben, während alle anderen Nationen jener Zeit in ihrem besonderen nationalen Bestande untergegangen
sind, oder sich in anderen Völkern verloren haben. „Der Himmel und die Erde
werden vergehen, meine Worte aber
mögen nicht vergehen“ (Vers 35).
Von einem Untergang von Himmel und
Erde redet die Schrift nicht, wohl aber von einem Vergehen der alten Himmel und Erde und einem Entstehen
der neuen durch einen Umschmelzungsprozess,
vgl. Jes. 51,6; Ps. 102,26–27; 2.
Petr. 3,7.10.13; Offb. 20,11; 21,1. Das Wort des Herrn aber hat einen solchen Prozess nicht
nötig, da es fehlerlos und vollkommen
ist. Der feste Bestand des Wortes wird
feierlich verbürgt, vgl. Mt. 5,18; Lk. 16,17; Ps. 119,89; Jes. 40,8.
23.22.8 Ermahnungen im Blick auf die Endzeit (Mt.
24,36–44)
„Um jenen Tag aber und um die
Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel der Himmel (Mk. 13,32: auch nicht der Sohn), sondern nur mein Vater allein“ (Vers 36). Jener Tag ist hier der Tag der Parusie Christi
(vgl. Vers 30; Mt. 7,22). Wohl dürfen und sollen wir wissen, dass er nahe vor den
Türen ist, aber alles Ausrechnen des
kalendermäßigen Datums ist vergeblich und verwerflich. Auch nicht der Rat der heiligen Wächter vor Gottes
Thron weiß um den Tag und die Stunde. Vgl.
Apg. 1,6–7; 1. Thess. 5,1. Dieses Nichtwissen hat einen erzieherischen Zweck;
es soll ein Ansporn sein zu unausgesetzter Wachsamkeit und gottgewollter
Bereitschaft. Vergleich mit der Zeit Noahs (Mt. 24,37–39). In Lk. 17,28–29 wird der Vergleich auch auf die Tage Lots erweitert. Der
Vergleichspunkt ist die fehlende Bereitschaft der Menschen bei dem plötzlichen Hereinbrechen des Ereignisses. Das geschichtliche
Beispiel soll zur Warnung
dienen und das Sündhafte einer falschen Sorglosigkeit
veranschaulichen. Das Charakteristische für die Zeiten vor einem allgemeinen Gericht ist das völlige Aufgehen
der Menschheit im Irdischen bei scheinbarer Kulturhöhe und großer Wohlstandsblüte. Die Parusie des Menschensohnes wird
ein solch sicheres Menschengeschlecht
treffen. „Und sie merkten nichts.“ Vgl. 2. Petr. 3,5–6; 1. Thess.
5,3. Für die auf ihren Herrn harrende Gemeinde kommt der Tag
des Herrn nicht wie ein Dieb in der
Nacht, sondern nur für diejenigen, die in Finsternis sind (1. Thess. 5,4). Nach 21,34–36 ist
diese Mahnung an die Jünger gerichtet, dass ihre Herzen nicht
beschwert werden mit Fressen und
Saufen und Nahrungssorgen. Die große Scheidung bei der Parusie Christi
(Verse 40–41). Die Frage ist hier, um was es
sich bei dieser Scheidung handelt. Handelt es sich um die Sammlung Israels durch die Engel (Vers 31), wobei der eine mitgenommen, der andere zurückgelassen wird, oder um die Scheidung beim Völkergericht, wobei der
eine hinweggenommen, der andere verschont
wird, oder um die Entrückung der Gemeinde. ·
Bei der Sammlung
Israels durch die Engel handelt es sich ohne
Zweifel um eine totale Sammlung, wobei kein Einzelner übergangen oder
vergessen werden soll (vgl. Jes. 27,12–13;
Dan. 12,1). ·
Gegen die Deutung auf die Scheidung beim Völkergericht spricht der Sinn
des Ausdrucks „angenommen
werden“. das Wort PARALAMBANEIN
kann nicht mit „hinwegnehmen“ übersetzt
werden, sondern bedeutet „annehmen,
zu sich nehmen“. Es bleibt also nur
die Möglichkeit übrig, diesen Ausspruch Jesu auf die Gemeinde zu deuten. Dafür
ist auch geltend zu machen, dass Jesus daran für seine Jünger die Mahnung zum Wachen knüpft, und die Parallele in Lk. 21,34–36. Wie in
letzterer Stelle vor Verstrickung in die irdischen Dinge des täglichen
Lebens gewarnt wird, so auch hier. Die
allgemeine Sicherheit in der Menschenwelt der Endzeit steckt allzu
leicht auch die Glieder der Gemeinde an.
Erwähnt werden die gewöhnlichen Beschäftigungen der Menschen: ackern, mahlen (in Lk. 17,34 noch hinzugefügt: schlafen). Die
Parusie Christi bricht mitten in die Arbeit des täglichen Lebens hinein
und scheidet diejenigen, die bisher in engster Gemeinschaft miteinander waren im Geschäftsleben (ackern) und
in der Häuslichkeit (mahlen). Der Maßstab der
Scheidung ist, wie aus den folgenden Versen hervorgeht, Wachen und Bereitschaft. Der Gedanke,
dass auch durch die Gemeinde eine Scheidung geht bis zur Parusie
Christi, „So wachet nun, denn ihr wisset nicht, welchen
Tag euer Herr kommt“
(Vers 42). Für
die Wachenden kommt Christus als der Herr,
für die nicht Wachenden als ein Dieb in der Nacht (Offb. 3,3; 16,15;
1. Thess. 5,2–4). Das Nichtwissen des Tages ist ein ständiger Ansporn
zur totalen Wachsamkeit. „Jenes aber erkennt ihr: Wenn der Hausherr wüsste, in welcher Nachtwache der Dieb
käme, so würde er wohl wachen und nicht einbrechen lassen in sein Haus“ (Vers
43). Wachen ist die ständige Gebetshaltung des Gläubigen wie ein vor dem Feinde auf Wache
stehender Krieger (vgl. Lk. 21,36). „Deshalb auch ihr, werdet bereit, denn zu der Stunde, die euch nicht dünkt, kommt der Sohn
des Menschen“ (Vers
44). Was zur rechten Bereitschaft gehört,
finden wir in Lk. 12,35: „Lasset eure Lenden umgürtet sein und eure
Leuchten brennend“. Die umgürteten Lenden deuten auf Dienst und die
brennenden Leuchten auf das Ausleben des prophetischen
Wortes. Die beiden Gleichnisse von den zehn Jungfrauen und den anvertrauten
Talenten (Mt. 25,1–30) geben uns eine
ausführliche Belehrung über die rechte
Bereitschaft nach diesen beiden Seiten.
23.23 Der treue,
verständige und der schlechte Knecht (Mt. 24,45–51)
„Welcher ist nun
der treue und verständige Knecht, den der Herr einsetzt über sein Hausgesinde,
ihnen die Nahrung zu geben zu rechter Zeit?“ Dieses Wort gilt für alle Zeiten
und jeden Einzelnen (vgl. Mk. 13,37). Hier
stellt der Herr seelsorgerlich eine Frage an seine Jünger, damit jeder für sich darauf antworten möge. Bin ich es? Hier bin
ich! Es ist nicht die Rede von einem besonderen kirchlichen Amt, sondern von der Verantwortung jedes Gläubigen, ein Dienst-
knecht zu sein (vgl. Mk. 13,34). Aus dem Wachen und der rechten Bereitschaft erwächst der totale Dienst. Der Knecht ist vom Herrn
gesetzt über dessen Hausgesinde. Das Hausgesinde ist die Gesamtheit derer, die zum Hause Gottes gehören. Somit
ist jeder Gläubige sowohl ein Glied dieses Hausgesindes, als auch ein Dienstknecht mit Verantwortung für die Gesamtheit. Wie das Gesamtvermögen des Herrn
der Verwaltung der Knechte anvertraut wird (Mt. 25,14), so wird auch jedem
Einzelnen die volle Verantwortung für
das gesamte Hausgesinde gegeben. Hierbei kommt es auf zweierlei an: dass der
Knecht treu, d. h. zuverlässig ist,
und dass er verständig ist, d. h. urteilsfähig und einsichtsvoll. Der verantwortliche
Dienst besteht im Nahrunggeben.
Es ist wohl zu beachten, dass
das 24. Kapitel mit einer solchen
Nutzanwendung abschließt. Nicht die Befriedigung unseres Erkenntnisverlangens, nicht die eigene Erbauung ist
die Hauptsache, sondern das
Fruchtbarmachen der erkannten Wahrheit im Dienst für die Gesamtheit. Was ich an Erkenntnis für mich behalten will, verliere ich; was ich weitergebe, gewinne ich. Zur rechten Zeit, oder, wie es genau übersetzt heißt: „in einer Entscheidungszeit“
soll die angemessene Nahrung
(vgl. Lk. 12,42: SITOMETRION) gegeben werden. Dazu gehört nicht nur Treue, sondern auch Einsicht, besonders für die Zeit
des Endes, vor der Parusie Christi. „Glückselig jener Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, also tun findet“. Nicht
untätiges Warten auf den Herrn ist die
rechte Einstellung, sondern zweckmäßiges Tun (1. Tim. 3,13). „Wahrlich,
ich sage euch, über all seinen Besitz wird er ihn einsetzen.“ Es handelt sich um das Gesamtvermögen des Herrn, welches in der Verwaltung der Gemeinde sich
befindet (Mt. 25,14), alles, was dem Herrn
zur Verfügung steht (HYPARCHONTA). Das Verhältnis ist nicht so gedacht, dass nur ein
Einziger über alles gesetzt werden kann, das
wäre der hochkirchliche Amtsbegriff, sondern dass jeder ein Haushälter
über alles werden kann. Über diese Haushälterschaft
bringt das Gleichnis von den anvertrauten Talenten Näheres (Mt. 25,14–30).
Hier wird uns nur gezeigt, wie der einzelne Gläubige durch Treue und Einsicht
fähig wird zum totalen Dienst. Wer ist nun jener schlechte Knecht
(Verse 48–51)? Der Herr setzt
voraus, dass man ihn gleich erkennt. Er nennt Christus seinen Herrn; er ist innerlich
eingestellt auf ein langes Zögern der Wiederkunft des Herrn, und er spricht es
nur in seinem Herzen. Er ist also nach dem
äußeren Schein recht fromm. Sein Handeln aber entspricht seiner falschen Herzenseinstellung. Er
fängt an zu schlagen seine
Mitknechte, nicht grob brachial, sondern mit Worten. Bei ihm ist Streit– und Disputiersucht, Rechthaberei,
Parteisucht, Kämpfen für „Wahrheiten“
zu finden. Er isset und trinket mit den Trunkenen (Berauschten), ist also dem Rauschgeist der
Welt ergeben. Das plötzliche Kommen des Herrn ist ihm ganz unerwartet
und unerwünscht. Es bereitet ihm Furcht und Unbehagen (vgl. Lk. 21,26). Auffallend ist die harte Strafe für diesen schlechten (KAKOS = untauglich) Knecht. „Und er wird ihn zerhauen“ (wörtlich:
zerteilen), also vernichtend bestrafen. Die
Strafe entspricht ganz dem Charakter
des Bösen, des geteilten Herzens. „Und
wird ihm sein Teil setzen mit den
Heuchlern“. Er kommt dahin, wohin
er seinem inneren Wesen nach gehört. „Dort wird sein das Heulen und das Zähneknirschen“.Es istnicht die ewige Höllenpein, sondern das Dasein in der
Finsternis draußen gemeint, wie aus den Vergleichsstellen hervorgeht (vgl. Mt. 8,12; 22,13; 25,30). Es ist das Ausgeschlossensein
von dem erwarteten Herrlichkeitsstande.
Die erschütternde Tatsache wird dadurch uns vor Augen gestellt, dass
die Scheidelinie mitten durch die Gemeinde geht und dass bei der Parusie
Christi erst ganz offenbar wird, wer tatsächlich zur Gemeinde Christi gehört
und wer nicht.
23.24 Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt. 25,1–13)
Hier fragt es sich, in welche Zeit dieses Gleichnis hineinweist,
wenn es heißt: „Dann wird das Königreich der Himmel gleich geworden sein“. Es ist nicht die Zeit, die auf die Ereignisse in Kap. 24 folgt, sondern die ganze Dauer, die in Kapitel 24
geschildert wird, besonders die Endzeit. Vom
Standpunkt der damaligen Hörer also die Zukunft. Die Ölbergsgleichnisse
sind nur für den engeren Jüngerkreis bestimmt
und nicht wie die Tempelgleichnisse (Mt. 21 und 22: böse Weingärtner,
königliche Hochzeit) für das Volk. Ihrem Charakter nach geben sie
eine Illustration zu der doppelten Mahnung: Wachet und seid bereit! (Mt.
24,42.44). Die Tatsache, dass sowohl
diese Mahnung als auch diese Gleichnisse zu den Jüngern gesprochen wurden,
also zu der werdenden Gemeinde, legt die Vermutung nahe, dass sie auch die
spezielle Aufgabe der Gemeinde veranschaulichen
sollen. Es ist auch zu beachten, dass die-se Gleichnisse nur im Matthäus–Evangelium
vorkommen, also in demjenigen Evangelium, in
dessen Mitte die Offenbarung über die Gemeinde
steht, und zu dessen besonderer Aufgabe es gehört, das Werden der
Gemeinde in ihren Anfängen und in ihrer Scheidung im Volke darzustellen. Die
Unterscheidung der Gemeinde vom Volksganzen ist wichtig, um klare Linien
zu erhalten für die Auslegung der Gleichnisse in Mt. 25. Das Volk Israel als Ganzes ist
die Frau, welches je nach seiner Stellung
zum Herrn als Braut, Frau oder Ehebrecherin und Hure dargestellt wird. Dieses Bild ist den Jüngern aus den prophetischen
Schrif ten bekannt. In allen Gleichnissen im
Matthäus–Evangelium, die von Hochzeit
handeln, sehen wir niemals die Braut, wohl aber andere Gruppen, die irgendwie
an der Hochzeit Anteil haben, z. B. Söhne
des Brautgemachs (Mt. 9,15); Hochzeitsgäste (Mt. 22,3);
Hochzeitsjungfrauen (Mt. 25). Alle diese sind klar unterschieden von der Braut.
Die Frage taucht nun auf, ob die Gemeinde irgendwie Anteil hat an der Hochzeit
des Lammes. Es ist in manchen Kreisen die
Meinung stark vertreten, dass sowohl zwischen
Gemeinde und Königreich als auch zwischen Gemeinde
und Hochzeit so entschieden zu trennen sei, dass sie nichts miteinander zu tun hätten. Es ist aber nicht
abzusehen, wie bei einer solchen absoluten Scheidung das Matthäus–Evangelium
richtig verstanden werden kann. Es ist doch nicht so, dass etwa zwei Linien nebeneinander herlaufen, ohne sich zu berühren,
die Gemeindelinie und die Königreichslinie. Es läuft nur eine Linie, die Königreichslinie.
Auch die Gemeinde gehört auf diese Linie. Sie hat ihre bestimmte Mission
für das Königreich (vgl. Seite 154: die Gemeinde
und das Königreich der Himmel in ihrem gegenseitigen Verhältnis). Ja, sie hat sogar die Schlüsselverwaltung für das Königreich. So hat auch die Gemeinde einen bestimmten
Anteil an der Hochzeit des Lammes. Es ist unmöglich, die Gemeinde zu denken ohne in engster
Verbindung mit ihrem
Herrn. Da, wo Christus ist, das Haupt der Gemeinde, ist auch die Gemeinde. Und so muss notwendigerweise die Gemeinde auch mit dabei sein, wenn
Christus als Bräutigam zu dem bekehrten Israel, der Braut, kommt. Die
Gemeinde ist nicht die Braut, diese ist Israel, aber sie hat das
innigste Interesse an der Hochzeit. Wenn
Paulus die Gemeinde mit einer reinen Jungfrau vergleicht (2. Kor. 11,2), so liegt gewiss keine Schwierigkeit vor, bei den zehn Jungfrauen ebenfalls an die
Gemeinde zu denken. Die-se Deutung ist im Zusammenhang des
Matthäus–Evangeliums die einfachste
und nächstliegende, während die Deutung auf eine besondere israelitische, christusgläubige Gruppe in der Endzeit erzwungen und durch nichts in der Schrift zu
belegen ist. Jesus sagt zu seinen
Jüngern, der werdenden Gemeinde: „Wachet, seid bereit!“ und gibt ihnen in dem Gleichnis dazu einen besonderen
Anschauungsunterricht. Wenn der Apostel
Paulus von der Begegnung der Gemeinde mit dem wiederkommenden Herrn ein
anderes Bild entwirft (1. Thess. 4,17) als
Matthäus, so ist das kein Widerspruch, sondern nur eine andere Darstellung
von einer anderen Seite und Voraussetzung aus. Paulus zeigt die himmlische
Berufung der Gemeinde „nach oben“ und
führt diese Linie durch bis zur Ausauferstehung
aus Toten (Phil. 3,11) und zur Entrückung zur Begegnung des Herrn in der
Luft. Matthäus zeigt die Königreichslinie
der Gemeinde, die notwendigerweise
die Begleitung des wiederkommenden Herrn, des Bräutigams, zur Errettung Israels
einschließt. Die Unterscheidung zwischen Gemeinde und Braut bleibt auch bei Matthäus
sauber bewahrt und wird klar durchgeführt. Die Entscheidung und Scheidung innerhalb der Gemeinde geht bis zu dem Augenblick, in
welchen der Ruf um Mitternacht erschallt: „Siehe, der Bräutigam, kommt heraus, ihm entgegen!“
Hier ha-ben wir
denselben Ausdruck (APANTÄSIS
= Begegnung) wie in
1. Thess. 4,17 (sonst nur noch in Apg. 28,15). Das Königreich der Himmel wird gleich geworden sein
zehn Jungfrauen. Es
findet eine gewisse Entwicklung statt ins Weltweite hinein. Zehn ist die
Füllezahl der weltlichen Masse. Die Gemeinde wird zu einem großen Hause (vgl.
2. Tim. 2,20). Sie wird dargestellt als
eine Gruppe von zehn Jungfrauen, welche die Festfreude mit der Braut teilen. Diese geht selber dem Bräutigam nicht entgegen, sondern erwartet ihn, dass er zu ihr
komme. Die Jungfrauen haben den Ehrendienst,
den Bräutigam zur Braut zu geleiten. Die
Entrückung der Gemeinde zur Begegnung des Herrn in der Luft ist gleichzeitig
ein Abholen des Bräutigams für die Braut Israel. Die alte Sitte war, dass am
Vorabend der Trauung der Bräutigam sein Haus verließ und bei irgend einem Verwandten
blieb. In dieser Zeit führten Brautjungfrauen die Braut in sein Haus und holten dann in feierlichem Zuge mit Fackellicht den
Bräutigam ab und geleiteten ihn in
sein Haus, wo er mit der Braut zusammentraf. Das erste Ausgehen dem Bräutigam
entgegen (Vers 1) unterscheidet sich vom
zweiten Ausgehen um die Mitternacht (Vers 6).
Das erste Mal ist es eine Begegnung,
die zunächst nach unten führt (HYPANTÄSIS, Vers 1), wohl um zunächst sich um die Braut zu kümmern und sie für den
Bräutigam zu schmücken. Das zweite Mal ist es eine Begegnung zur Abholung (apantäsis,
Vers 6), um mit dem Bräutigam selber zusammenzutreffen und ihn zur Braut zu
geleiten. Diese Szene der Begegnung wird im Gleichnis nicht beschrieben,
wohl weil es sich in diesem Punkt noch um eine verhüllte Wahrheit handelt, die
wir erst in 1. Thess. 4,17 klar erkennen. „Die gingen aus zur Begegnung des
Bräutigams.“ Alle,
die ganze Gemeinde. Hier haben wir das Bild der Gemeinde der letzten Zeit. Sie ist aufgewacht zu
ihrem Ehrendienst. Sie nehmen ihre
Lampen, und zwar ihre eigenen Lampen, jeder für sich, unabhängig vom anderen. Die Lampe ist
ein bekanntes Symbol vom prophetischen Wort (vgl. 2. Petr. 1,19). Es
muss ein allgemeines Aufwachen sein für ein neues Interesse am prophetischen
Wort und für ein neues Verständnis desselben.
Schon im Gleichnis vom Feigenbaum erkannten wir die Bedeutung des
wiederbelebten prophetischen Zeugnisses für Israels Vorbereitung auf das
messianische Heil. Hier ist es das prophetische Zeugnis für die Endzeitgemeinde,
die zu ihrem Ehrendienst erwacht. Das Ausgehen wird als Folge davon hingestellt, dass sie ihre Lampen nahmen. Sie
machen also Ernst mit dem Ausleben
des prophetischen Wortes, alle zehn Jungfrauen, die ganze Gemeinde. „Fünf aber von ihnen
waren töricht und fünf klug.“ Die
fünf Törichten werden mit Nachdruck zuerst genannt. Worin ihre Torheit bestand, erfahren wir aus dem Zusammenhang.
Torheit in diesem biblischen Sinne
(vgl. Mt. 5,22; 7,26; 23,17.19; 1. Kor. 4,10; 1,27) ist nicht gleichbedeutend
mit Unwissenheit, sondern die religiöse Torheit,
für die der Mensch sittlich verantwortlich ist. Es ist das Gegenteil von Klugheit = Urteilsfähigkeit, Einsicht.
Stand in Mt. 24,48 dem klugen Knecht der schlechte, untaugliche (zum
Dienst unbrauchbare) gegenüber, so hier den fünf klugen Jungfrauen die fünf
törichten, denen bei aller Erkenntnis des prophetischen Wortes die Hauptsache
fehlt, das, was das Öl andeutet. „Denn die Törichten, indem sie die Lampen nahmen, nahmen
nicht Öl mit sich.“ Bei ihnen ist das Nehmen der Lampen die Hauptsache. Da
alle Berechnungen von der Wiederkunft des Herrn und alle Orakel aus dem
Weltgeschehen versagen, schwindet das Interesse. Die Hauptsache fehlt, das
Öl. Öl ist das Symbol der Weihe, der Auslieferung, der Gotthörigkeit. „Die
Klugen (= Einsichtsvollen) jedoch nahmen
Ölin den Gefäßen mit ihren eigenen Lampen.“ Bei ihnen ist das Öl in den Gefäßen die Hauptsache, wie es auch hier betont voran steht. Sie sind
solche, die völlig Ernst machen mit dem Totalitätsgesetz. Zur Mitternacht, also zur unpassendsten Zeit für Halbherzige und Saumselige, wurde ein
Geschrei. Dieser Ausdruck ist zu
beach-ten. Es wird nicht gesagt, von woher das Geschrei kam. Von der
Gemeinde kann es nicht kommen, denn alle schlafen. Von aufgestellten Wachen wird nirgends geredet. Der
Türhüter in Mk. 13,34 passt nicht zu diesem Gleichnis. Dass das Geschrei
wurde, deutet an, dass dasselbe höheren
Ursprungs sein muss. Aus 1. Thess. 4,16 erfahren wir, dass der Herr
selbst mit einem Befehlsruf, mit der Stimme
eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herabsteigen wird vom Himmel.
Für die harrende, aber schlafende Gemeinde bedeutet
dieses Geschrei: „Siehe, der
Bräutigam! Kommt heraus zur
Begegnung!“ Das Erwachen. „Dann erwachten alle jene
Jungfrauen und schmückten ihre Lampen.“ Also
wieder ein allgemeines Erwachen der ganzen Gemeinde. Alle sind willig. Da ist
noch kein Unterschied zu sehen. Das Schmücken der Lampen ist etwas anderes als das Putzen der Dochte. Es ist wohl das festliche,
helle Entzünden gemeint zu
strahlendem Aufleuchten, ein Bild der Festes– und Siegesfreude
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