Der erste Korintherbrief




In diesem Brief werden die Grundlagen wahrer Gemeinschaft auf universalem Boden unter Juden- und Heidenchristen aufgezeigt. Was Paulus Epheser 2,13ff. über den Abbruch einer Zwischenwand der Umzäunung und den neuen Menschen in einem Leibe näher ausführt, das klingt schon an im 1. Korintherbrief. Ohne diese Zusammenschau sind wir in der Gefahr, diesen kostbaren Brief gründlich miss zu verstehen und aus ihm eine Ethik zu machen mit lauter Vorschriften und Paragraphen.



Inhaltsverzeichnis

1

Einführung

7

2

Einleitung zum 1. Korintherbrief

17

3

Nicht menschliche Weisheit, sondern göttliche Kraft und göttliche Weisheit wird in der Berufung der Gemeinde of­fenbar

30

4

Gemeinschaft mit Christus bedingt auch Gemeinschaft mit den Führern der Gemeinde

64

5

Gemeinschaft mit Christus erfordert die rechte Gemein­dezucht und Heiligung des Leibeslebens

92

6

Die Gemeinschaft mit Christus reguliert das Ehe– und so­ziale Leben

114

7

Die Gemeinschaft mit Christus fordert Rücksicht auf den schwachen Bruder

136

8

Das persönliche Vorbild der Mitteilnehmer am Evangeli­um

143

9

Gemeinschaft mit Christus bedeutet im tiefsten Grund Gemeinschaft des Blutes und Leibes Christi

159

10

Einheit des Leibes Christi und Mannigfaltigkeit der Ga­ben und Dienste

195

11

Gemeinschaft mit dem Auferstandenen und die Todesüberwindung

243


11.1

Die heilsgeschichtliche Bedeutung des paulinischen Evangeliums

246


11.2

Gemeinschaft mit Christus bedeutet Totenauferstehung

254

12

Gemeinschaft mit dem Zeugnis der Gesamtgemeinde

292

13

Schluss

297

Bibelstellenverzeichnis

309


1 Einführung

Zum besseren Verständnis der beiden Briefe des Paulus an die Ko­rinther ist es wichtig, Zeit und Umstände kennen zu lernen, aus de­nen heraus diese apostolischen Gemeindebriefe gleichsam geboren sind. Wie jeder Brief des Apostels Paulus den Stempel einer gewis­sen Periode in der Entwicklung der Evangeliumsbewegung trägt, soweit diese in seiner Person und seinem besonderen Dienst ausgeprägt ist, so auch die beiden Korintherbriefe. Da wir aus 1. Kor. 16,8 und aus dem Zusammenhang den Schluss ziehen dürfen, dass diese Briefe gegen Ende der Wirksamkeit des Paulus in Ephesus ge­schrieben worden sind, so sind wir in der Lage, uns in den Ent­wicklungsstand der Bewegung, die einen gewissen Höhepunkt der Entscheidung erreicht hatte, hinein zu versetzen.

Gerade in jener Zeitwende war Paulus von einem großen, heils­geschichtlich äußerst wichtigen Gedanken erfüllt, wie wir aus dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte erfahren. Er gedachte seine universale Missionsarbeit dadurch zu einem krönenden Ziel zu führen, dass er die Einheit des Geistes für die Gesamtgemeinde prak­tisch und durch ein sichtbares Zeugnis zur Darstellung brachte. Zur Vollendung seines Sonderdienstes an der Gemeinde war ein solches Zeugnis des Paulus in Jerusalem noch notwendig. Darum betonte er wiederholt, dass er nach Jerusalem hinaufziehen müsse (vgl. Apg. 18,21–22; 19,21; 20,16.22; Röm. 15,25).

Die ganze Zeit hindurch nach der zweiten Missionsreise des Apostels mit der mehrjährigen Arbeit in Ephesus und der drit­ten Missionsreise nach Europa hatte er das hohe Ziel, in Jerusa­lem nicht nur die Einheit des Geistes darzustellen, sondern auch ein volleres Pfingstzeugnis aufzurichten, in das die Gemeinde aus den Nationen mit eingeschlossen sein sollte. Dadurch sollte der heilsgeschichtliche Offenbarungsfortschritt gegenüber Apg. 2 an­schaulich gemacht werden. In Apg. 2 haben wir die Erfüllung der Pfingstverheißung von Joel 3,1–5 auf rein israelitischem Boden. Nun fehlte noch die Pfingsternte aus den Nationen. Was der Prophet schon angedeutet („und unter den Entronnenen werden die sein, die Jehova ruft“ – Joel 3,5b) und was Petrus erklärend ver­kündet („denn euch ist die Verheißung und euren Kindern und allen, die in der Ferne sind, so viele der Herr, unser Gott, herzu­rufen sollte“ – Apg. 2,39), das musste sich noch erfüllen.

Die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Juden und Heiden in Bezug auf das Heil liegt ganz auf der Linie des Ideenfortschritts der Prophetie. Dem Paulus wurde es vom Herrn gegeben, hierbei die letzte Konsequenz zu ziehen. Die absolute Gnade drängte mit dem Zwange innerer Logik (= Gedankenfolge) zu diesem Schluss:

Denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche; denn einer und derselbe ist Herr von allen, reich sich erweisend über alle, die ihn anrufen. Denn jeder, der den Namen des Herrn an­ruft, wird gerettet werden“ (Röm. 10,12ff.).

Paulus setzt für Jehova in Joel 3,5 das Wort „Herr“ (Kyrios), womit Christus gemeint ist. Dadurch ist eine genaue Verbindung hergestellt zwischen Christus und Jehova. Nun hatte der Herr her­zugerufen aus den Nationen, und es war daher das heiße Seh­nen des Paulus, das Pfingstzeugnis in Jerusalem zu vervollständi­gen. Mit Vertretern aus den drei großen Wirkungskreisen des Apo­stels wollte er hinaufziehen nach Jerusalem (Apg. 20,4), versehen mit einer überreichen Kollekte der paulinischen Gemeinden für die verarmten Christen in Jerusalem (1. Kor. 16,1–3; 2. Kor. 8,19–20; Gal. 2,10; Röm. 15,25–27.29; Apg. 24,17), um so die wahre Bru­dergemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Die Begleiter des Paulus waren eine Vorausdarstellung der Fülle der Heiden, wo­durch Israel einst zur Eifersucht gereizt werden soll (Röm. 10,19; 11,13–14.25–26).

Auf dieses Vollpfingsten war die ganze letzte Missionstätig­keit des Apostels Paulus vom Ende seines Wirkens in Ephesus an ausgerichtet (Apg. 18,21; 19,21). Welchen Erfolg jedoch dieses Zeugnis in Jerusalem haben würde, konnte Paulus wohl ahnen (Apg. 20,22–23), aber in seinem ganzen Ausmaß noch nicht ermes­sen.

Die ganze Periode seiner Wirksamkeit könnte man überschrei­ben: Kampf um die Darstellung der Einheit des Geistes für die Gesamt­gemeinde. Dadurch erhalten wir auch neues Licht für die scharfe Auseinandersetzung zwischen Paulus und Petrus in Antiochien (Gal. 2,11–21) und für den auffallend ausführlichen Bericht des Lu­kas über den Eintritt des Apollos in den paulinischen Wirkungs­kreis (Apg. 18,24–28; 19,1; vgl. 1. Kor. 16,12), aber auch für den Charakter der beiden Korintherbriefe.

Diese sind geschrieben, als Paulus mitten im Kampf um die Einheit des Geistes für die Gesamtgemeinde stand. Sollte dieser Kampf zu einem siegreichen Ende durchgeführt werden, dann musste jede einzelne Ortsgemeinde auf dieses Ziel hin klar aus­gerichtet sein. Gerade die korinthische Gemeinde bot für die Dar­stellung dieses Kampfes den besten Anschauungsunterricht dar. Weiter ist zum besseren Verständnis der beiden Korintherbriefe wichtig, die Entstehung und Entwicklung der korinthischen Gemeinde kennenzulernen. Lukas gibt uns davon in Apg. 18,1–18 einen aus­führlichen Bericht. Korinth war danach die letzte der fünf Städte auf dem europäischen Festland, in denen Paulus auf seiner zwei­ten Missionsreise das Evangelium verkündet hat.

Dass er gerade hier sich außergewöhnlich lange (eineinhalb Jahre) aufgehalten hat, zeigt schon die größere Bedeutung dieses wichtigen Missionszentrums an. Korinth als Hauptstadt Griechen­lands, der römischen Provinz Achaja, war eine stark bevölkerte, reiche Handelsstadt, an der Landenge zwischen dem Ägäischen und Ionischen Meer gelegen. Die Stadt war verrufen wegen ihres liederlichen Lebens, wie es an solchen großen Hafenplätzen ge­wöhnlich zu finden ist. So bunt wie das Völkergemisch war hier auch das Durcheinander aller möglichen einheimischen und frem­den religiösen Kulte.

Der Anfang des Wirkens des Paulus in Korinth war so einfach wie möglich: Er suchte daselbst Arbeit für sein Handwerk und traf dabei zusammen mit Aquila und Priscilla, einem jüdischen Ehe­paar, aus Pontus gebürtig und kürzlich erst aus Rom vertrieben. Da sie mit Paulus gleichen Handwerks waren, entschlossen sie sich, zusammen zu arbeiten als Zeltmacher. So ging Paulus als Apo­stel den untersten Weg, indem er sich durch seiner Hände Arbeit ernährte (Apg. 20,34; 1. Thess. 2,9; 1. Kor. 9,14–15; 2. Kor. 11,9–10). Er sagt von dem unscheinbaren Anfang in Korinth, dass er sei­ne Arbeit mit Furcht und Zittern und in Schwachheit getan habe (1. Kor. 2,1–5). Er begann seine Mission durch persönliches Zeug­nis bei der täglichen Arbeit. So wurden Aquila und Priscilla durch ihn zu Christus geführt und gläubig.

Auch benutzte er gleich das Vorrecht der Redefreiheit in der Synagoge an den Sabbaten (Apg. 18,4). Als Rabbiner, der er war, durfte er überall lehrend auftreten und fand von vornherein einen Kreis von Zuhörern. Er scheint aber anfangs diese Arbeit unter ei­nem gewissen Gemütsdruck getan zu haben, solange er noch ohne seine Mitarbeiter im Werk des Herrn in Korinth war. Erst als Silas und Timotheus aus Mazedonien zu ihm kamen, wurde er innerlich vom Worte gedrängt, den Juden gründlich zu bezeugen, dass Jesus der Christus sei (Apg. 18,5). Die Drangsal und Not, unter der Paulus so schwer litt (1. Thess. 3,6–8), mussten seelischer Art sein, da von äußeren Schwierigkeiten bis zur Ankunft seiner Mitarbeiter nichts berichtet wird. Es war sicherlich der Kummer um Israel, das sich mehr und mehr dem Evangelium völlig verschloss.

Erst durch die Ankunft seiner Gefährten und ihre erfreulichen Berichte von dem frischen Glaubensleben in den jungen Gemein­den Mazedoniens ermutigt und angespornt, trat er mit größerer Kraft auf, um die Juden zur Entscheidung aufzufordern. Diese wurde auch erzielt, indem sich die Juden widersetzten und läs­terten (Apg. 18,6). Nach dem Bericht des Lukas müssen wir an­nehmen, dass der positive Erfolg dieser Missionsarbeit unter den Juden sehr gering war. Es kam auch bald zum Bruch mit der Synago­ge und in der Folge zur intensiven Heidenmission. Das Haus eines gottesfürchtigen Griechen namens Tertius Justus, unmittelbar ne­ben der Synagoge gelegen, wurde die Versammlungsstätte der ent­stehenden Christengemeinde. Dieser Schritt war von größter Bedeutung für die weitere Entwicklung der Evangeliumsbewegung, wie der Erfolg beweisen sollte: Krispus, der Synagogenvorsteher, wurde gläubig mit seinem ganzen Hause, und viele Korinther, da sie hörten, glaubten und wurden getauft (Apg. 18,8).

So wurde der große Gegensatz zwischen Synagoge und Ge­meinde offenbar. Die Versammlungsstätte der Juden wurde mehr und mehr zu einer Synagoge Satans, und das gläubige Haus als Keimzelle der Gemeinde wurde das innerste Heiligtum der Ge­meinde, des Tempels des lebendigen Gottes (2. Kor. 6,16). Das Tem­pelzeugnis, das bisher von Israel vertreten wurde, ging auf die Gemeinde über und läuft in ihr als Tempellinie weiter, um den Dienst der Gemeinde, den gegenwärtigen und zukünftigen im Kö­nigreich des Christus, zu symbolisieren. Neben Krispus werden noch zwei andere genannt, die Paulus selber in Korinth getauft hat (1. Kor. 1,14–16): Gajus, sein Gastfreund, der für die ganze Gemein­de sein Haus zur Verfügung stellte (Röm. 16,23), und Stephanas mit seinem Hause, das als eine Erstlingsgarbe Achajas bezeichnet wird (1. Kor. 16,15). Alle diese waren solche, um die sich hausgemä­ße Gemeinden sammelten.

Es ist charakteristisch für die Evangeliumsbewegung unter den Heiden, dass die gläubigen Häuser oder Familien einen so hervor­ragenden Platz einnehmen. Neben den Versammlungen der gan­zen Ortsgemeinde im Hause des Tertius Justus fanden hausgemä­ße Versammlungen statt in den gläubigen Familienkreisen (vgl. 2. Mo. 12,3–4).

Wichtig für den Fortschritt dieser ganzen neuen Bewegung war das nächtliche Gesicht, welches Paulus vom Herrn selber bekam (Apg. 18,9–10). Die Spannung zwischen der Synagoge und der sich dicht daneben versammelnden Gemeinde der Christen wuchs von Tag zu Tag. Furcht und Sorge wegen des Ausgangs dieser Krise legte sich aufs Gemüt des Apostels (1. Kor. 2,3). Deshalb wurde er vom Herrn ermutigt und sein Dienst in Korinth bestätigt. Durch das Nachtgesicht in Korinth wurde das Nachtgesicht von Troas (Apg. 16,9) vervollständigt. Nun wusste Paulus, dass erst in Korinth die ganze Erfüllung desselben gegeben werden sollte.

Für die Gemeinde gebraucht der Herr hier zum ersten Mal den Ausdruck Volk (nicht ethnos = Nation, sondern laos = Gottes­volk). Das ist bezeichnend für die Bedeutung dieses Wendepunk­tes in der heilsgeschichtlichen Entwicklung. Die Gemeinde wird das Volk Gottes, während Israel, das alte Bundesvolk, zeitweise beiseite gesetzt wird. Die Arbeit an der wachsenden Gemeinde in Korinth wird gekennzeichnet durch den Ausdruck: „Er lehrte unter ihnen das Wort Gottes“ (Apg. 18,11). Unter „Wort Gottes“ ist der ganze Heilsratschluss Gottes zu verstehen, das Wort in sei­nem großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang, in dessen Mit­telpunkt das Kreuz Jesu Christi steht (1. Kor. 2,2). Die jungen Chris­ten in Korinth wurden von Anfang an eingeführt in die großen Grundlinien der Schrift.

Paulus lehrte unter ihnen, d. h. er verkehrte als Lehrer so unter ihnen, dass er einer ihresgleichen wurde, mit ihnen alles erlebte, durchkämpfte und errang, was an wahrer Erkenntnis der Regie­rungswege Gottes der Gesamtheit geschenkt wurde.

Etwas Neues war der Schutz des römischen Rechtes für die Evan­geliumsbewegung gegen die Feindschaft der Juden. Besonderen Schutz hatte der Herr dem Paulus ja in jenem Nachtgesicht zuge­sagt. Jetzt tritt die heidnische Weltmacht als von Gott eingesetzte Ordnungsmacht (Röm. 13,1) auf den Plan, berufen, der ungestör­ten Entwicklung der Gemeinde den Weg offenzuhalten. Wie die beiden Briefe des Paulus an die Korinther beweisen, hatte diese Gemeinde nicht unter Verfolgungen zu leiden. Sie konnte sich im Frieden auferbauen. Diese Ruhe hatte aber auch ihre großen Ge­fahren (1. Kor. 4,8–10; 2. Kor. 4,11–12).

Aus 1. Kor. 1,26–29 erfahren wir, dass die Mehrzahl der Gemeinde­glieder aus den unteren Volksschichten stammte. Darin erkannte Pau­lus eine weise göttliche Absicht, dieselbe, die auch in seinem ei­genen Leben durchgeführt werden sollte, nämlich dass die Kraft Gottes in der Schwachheit des Fleisches zur Vollendung komme, damit sich vor Gott kein Fleisch rühme.

Wichtig zum Verständnis der Korintherbriefe ist ferner eine klare Erkenntnis der Besonderheit des Missionsdienstes des Paulus in Europa. Wenn wir den Bericht des Lukas über die zweite Missi­onsreise des Apostels genau studieren, so fällt uns Verschiedenes besonders auf. Die ganze europäische Arbeit musste der Apostel tun gegen seinen natürlichen inneren Missionsdrang. Wie aus der Einrahmung dieses ganzen Abschnittes (Apg. 16,6–18,8) hervor­geht, war sein Streben auf Asien gerichtet mit Ephesus als Zen­trale (Apg. 16,6; 18,19). Er unterwarf sich aber rückhaltlos der Füh­rung des Geistes. Hiermit muss sein Gelübde im Zusammenhang stehen. Es war ihm heiligster Ernst, restlos dem Herrn unterwor­fen zu sein. Das war seine hohe Schule des Glaubens, die mit viel Leiden und Zerbruch verbunden war.

Das Nasiräatsgelübde des Paulus (Nasiräer, vgl. 4. Mo. 6,1–21), das in dem lukanischen Bericht nur so nebenbei erwähnt wird (Apg. 18,18), ist von großer Bedeutung für das richtige Verständ­nis seines Dienstes in Europa. Genau beim Verlassen des euro­päischen Kontinents wurde dasselbe als erfüllt erklärt, was durch das Abscheren des langen Haupthaares seinen Ausdruck fand. Dass es sich dabei nicht um ein jüdisch–gesetzliches, sondern um ein durchaus evangelisches Gelübde handelte, geht daraus hervor, dass Paulus sein abgeschorenes Haupthaar nicht von einem Pries­ter im Tempel von Jerusalem verbrennen ließ (4. Mo. 6,18), sondern die Lösung des Gelübdes eigenhändig vornahm.

Über die Symbolik des langen Haupthaares spricht Paulus sich nun gerade im 1. Korintherbrief (Kapitel 11,13–16) gründlich aus. Dem Manne ist es nach der allgemeinen Schöpfungsordnung ei­ne Unehre, langes Haar zu haben, während es für die Frau eine Ehre ist. Des Mannes Ehre ist die Herrscherwürde, der Frau Ehre ist das Untertansein. Wenn der Nasiräer diese Schöpfungsordnung scheinbar aufhebt, so bedeutet das nun nicht, dass er sich damit zur Frau macht, sondern Verzicht auf seine Selbstständigkeit als Herrscher, um Gott absolut unterworfen zu sein. Das ist es, was Paulus für sich persönlich während dieser zweiten Missionsreise lernen musste unter totaler Geistesführung, nämlich dass das Geheimnis wahrer Kraft im Zerbruch der eigenen Kraft liegt (2. Kor. 12,9; vgl. Simson). Dies verkündigte er auch. Er konnte mit gutem Recht sagen: „Werdet meine Nachahmer, so wie auch ich Christi“ (1. Kor. 11,1).

Die einzigartige hohe Würde der Frau liegt in ihrer freudigen Unterwerfung unter den Mann als ihr Haupt. Nur auf diesem We­ge kann die Frau ihre hohe Mission erfüllen. Nicht der Mann, son­dern die Frau empfing die Urverheißung. Der Erretter sollte aus der Frau kommen, der Same der Frau sein. Gerade diese ideale Sei­te der Frau soll in der Gemeinde Jesu Christi zur Darstellung kom­men, die Reinheit und Unterwürfigkeit in der Glaubenshaltung. Es ist zu beachten, dass Paulus den Korinthern schreibt: „Ich eifere um euch mit einem Eifer Gottes. Ich habe euch mit einem Man­ne zusammengefügt (in Harmonie gebracht), eine lautere Jung­frau dem Christus darzustellen“ (2. Kor. 11,2).

Die Gemeinde wird nie die Braut, die Frau des Lammes. Dies ist Israels Berufung (Offb. 21,9). Die Gemeinde dagegen wird mit einer lauteren Jungfrau verglichen in ihrer heilsgeschichtlichen Mission, die Glaubenshaltung als freudige Unterwerfung zur Dar­stellung zu bringen. Paulus stellt deshalb das Bild der lauteren Jung­frau dem Bilde Evas gegenüber (2. Kor. 11,3); denn Eva hat in die­ser Mission vollständig versagt. Paulus hat nun durch sein Nasirä-atsgelübde, d.h. durch seine Glaubenshaltung auf dem Zerbruchswege, diese große Wahrheit den Korinthern anschaulich vorgelebt. Er trug das lange Haar der Nasiräer unter ihnen als äußeres Zei­chen der wahren Kraft in der Schwachheit des Menschen. Daher war die korinthische Gemeinde vor allen anderen das Siegel seines Apostelamtes (1. Kor. 9,2).

Paulus scheint den 1. Korintherbrief nach 1. Kor. 16,8 nicht ganz ein Jahr vor Abschluss seiner mehrjährigen Mission in Ephe-sus geschrieben zu haben. Er hatte vorher den Timotheus beauf­tragt, nach Mazedonien zu reisen und auch die korinthische Ge­meinde aufzusuchen (1. Kor. 4,17; 16,10; Apg. 19,22), um sie zu er­innern an seine Wege in Christus Jesus, so wie er überall lehrte in jeder Gemeinde. Timotheus war wie kaum ein anderer geeig­net, des Paulus Wege in Christus Jesus zu bezeugen; denn er wirkte das Werk des Herrn im selben Geist wie Paulus. Es kam darauf an, diesem Geist zur allgemeinen Anerkennung zu verhelfen ge­gen die Aufgeblasenen in der Gemeinde, die einem anderen Geist huldigten.

Noch ehe Timotheus nach Ephesus zurückkehrte, schrieb Paulus den ersten Korintherbrief und gab ihn einer aus Ko-rinth gekommenen Abordnung (Stephanas, Fortunatus, Achaikus (1. Kor. 16,17)) mit. Dieser Brief, dem wohl ein früherer, für uns verlorener, vorausging (1. Kor. 5,9.11), muss in der Gemein­de einen tiefen Eindruck gemacht haben; denn des Paulus Briefe waren wuchtig und kraftvoll (2. Kor. 10,10). Die apostolische Re­gel für das sittliche Leben und für den Gemeindegottesdienst kam wieder mehr zur Geltung. Aber das Parteiwesen nahm eher zu als ab. Auch wuchs die Gegenarbeit fremder Lehrer gegen Paulus, welche Misstrauen gegen ihn in die Herzen der Gläubigen säten.

Da rief Paulus den Timotheus rasch nach Ephesus zurück (1. Kor. 16,11), um ausführliche Auskunft über die Zustände in Korinth zu erhalten. Darauf entschloss sich Paulus, selber nach Korinth zu gehen. Diesen Besuch führte er auch aus, fand aber in Korinth viel Demütigendes und konnte dort nur mit Betrübnis wirken (2. Kor. 2,1). Von Korinth kehrte Paulus nach Ephesus zurück, um hier seine Arbeit zu beendigen. Der kurze Besuch in Korinth hatte nicht das Ergebnis gezeitigt, welches er erhofft hatte. Die Gegen­arbeit gegen Paulus wurde daselbst fortgesetzt. Er fasste deshalb den Plan, abermals nach Korinth zu reisen (2. Kor. 1,15–17), aber dieses Vorhaben führte er mit Rücksicht auf die Korinther vorläu­fig noch nicht aus (2. Kor. 1,23–24). Darum sandte er an die korin­thische Gemeinde unseren zweiten Brief, wahrscheinlich von Tro-as aus (2. Kor. 2,12–13; Apg. 20,5). Der Überbringer desselben war Titus (2. Kor. 12,18), während Timotheus bei Paulus blieb. Für die schwierige Arbeit in Korinth war Titus vielleicht geeigneter als Timotheus.

Beide Briefe sind Zeugnisse vom Kampf zwischen Geist und Fleisch, jedoch mit dem Unterschied, dass der Kampf gegen das fromme Fleisch bedeutend schwerer ist als der Kampf gegen das weltliche Fleisch. Das fromme Ich in seinem Wahn, die „Wahrheit“ zu be­sitzen, ist fast unangreifbar und daher der gefährlichste Feind des Geistes Christi. Das persönliche Zeugnis des Apostels mit seiner selbstlosen, sich aufopfernden Liebe im Dienst war die beste Ver­teidigung seiner apostolischen Autorität und die wirkungsvollste Waffe gegen die betrügerischen Arbeiter, so dass die Gemeinde im Großen und Ganzen tief davon beeindruckt wurde.

Nach Apg. 20,2 kam Paulus noch einmal nach Korinth. Bei die­sem letzten Besuch kam es dann endgültig zur Beilegung aller Konflikte. Die betrügerischen Arbeiter scheinen das Feld geräumt zu haben. Wahrscheinlich hatte der zweite Brief schon reinigend gewirkt, und Paulus konnte nun mit Liebe und Energie durchgrei­fen (2. Kor. 12,20–13,2). Als äußeres Zeichen des wiederhergestell­ten Zeugnisses für die Einheit des Geistes haben wir die freiwil­lige Kollekte für die verarmten Heiligen in Jerusalem anzusehen, die nicht recht vorangehen wollte, solange in der Gemeinde Uneinig­keit herrschte, jetzt aber zu einem guten Abschluss gebracht wer­den konnte (1. Kor. 16,1–3; 2. Kor. 8–9).

Suchen wir nach diesen einleitenden Betrachtungen einen all­gemeinen Überblick über den Inhalt des 1. Korintherbriefes zu gewin­nen, so fällt uns zunächst auf, dass Paulus eine ganze Reihe von Missständen in der Gemeinde rügt, die alle zusammenhängen mit dem Kampf der jungen Christengemeinde in der heidenweltlichen Umgebung, dem Kampf zwischen Geist und Fleisch. Gerade in der korinthischen Gemeinde, die eine so große geistige Höhe von Er­kenntnissen und Gnadengaben erreicht hatte (1. Kor. 1,5–7), trat auch der ganze Widerstand des Fleischeswesens in die Erschei­nung: Das Parteigetriebe, das Pochen auf Menschenweisheit, die Hemmungslosigkeit im Geschlechtsleben, der Mammonismus, die Unklarheit im gesellschaftlichen Verkehr mit der heidnischen Um­welt, ja selbst die Unordnung in den gottesdienstlichen Versammlungen usw.

Es wäre aber verkehrt, daraus den Schluss ziehen zu wollen, dass der 1. Korintherbrief sich nur mit der Bekämpfung von Miss­ständen im Glaubensleben der Gemeinde befasse, also nicht di­rekt eine heilsgeschichtliche Bedeutung habe. Es sind nicht lose aneinander gereihte Belehrungen über das häusliche, bürgerliche und religiöse Gemeinschaftsleben mit reicher christlicher Kasuis­tik, sondern wie alle paulinischen Briefe trägt auch der 1. Korintherbrief einen ganz bestimmten heilsgeschichtlichen Charakter. Es ist nun unsere Aufgabe, diesen zu erkennen und danach das große Thema aus dem Brief selber herauszufinden, aus der eigenartigen Struktur des Briefes und den Andeutungen in der Einleitung und dem Schluss des Briefes.

Wir werden entdecken, dass eine einheitliche große Linie sich lückenlos durch den ganzen Brief hindurchzieht und dass gerade dieser Brief ein Zeugnis ist für eine gewisse wichtige Station im Fortschritt der Evangeliumsbewegung. Die große Linie, die sich durch alle 13 Briefe des Apostels Paulus hindurchzieht, ist ja die Darstellung der heilsgeschichtlichen Entfaltung des Evangeliums, wie Paulus es zu verkündigen hatte. Dieses große Werden fällt ge­nau zusammen mit dem Werden des apostolischen Dienstes über­haupt. Deshalb finden wir soviel ganz Persönliches in den Briefen. Die Gemeinde ist geworden mit Paulus, und Paulus ist geworden mit der Gemeinde. Beider Werdegeschichte läuft auf derselben Li­nie, und jeder Brief des Apostels ist ein Zeugnis für eine bestimmte Station auf dem Wege dieser Entwicklung.


11 Gemeinschaft mit dem Auferstandenen und die Todes­überwindung

Beim oberflächlichen Lesen scheint dieser neue Abschnitt in kei­nerlei innerem Zusammenhang zu stehen mit dem vorherigen, und doch muss ein solcher zu finden sein, einmal weil es die Partikel „aber“ (Kapitel 15,1) anzeigt, und zum anderen, weil es die logi­sche Struktur des Briefes erfordert. Man hat wohl, um aus der Ver­legenheit herauszukommen, angenommen, dass Paulus einfach der Reihe nach verschiedene Fragen aus einem ihm von der korin­thischen Gemeinde zugesandten Brief beantwortet habe. Zwischen diesen einzelnen Fragen bestehe jedoch kein innerer Zusammen­hang. Abgesehen davon, dass diese Annahme nur eine Hypothese ist, widerspricht es auch der bekannten paulinischen Art des Brief­schreibens. In allen seinen Briefen finden wir ein großes Hauptthe­ma, um welches alle einzelnen Abschnitte sich in logischer Ord­nung gruppieren. Und der 1. Korintherbrief macht davon keine Ausnahme.

Das große Thema, welches Paulus in demselben abhandelt, Got­tes Berufung der Gemeinde in die Gemeinschaft seines Sohnes Je­su Christi, unseres Herrn (Kapitel 1,9), ist aus der ganzen Struktur des Briefes ersichtlich. In den zehn einzelnen Hauptteilen führt der Apostel aus, wie von dieser Gemeinschaft aus das Glaubensleben der Gemeindeglieder bestimmt wird. Er beleuchtet das Thema von allen Seiten und führt es durch für die Beziehungen des Gemein­schaftslebens in seinem engsten und weitesten Sinne.

In dem allen zeigt er die große heilsgeschichtliche Mission der Gemeinde in ihrer Bedeutung für die Weltvollendung. Nur eine durch den Geist regierte und für ihren geistigen Beruf erzogene und durchgebildete Gemeinde kann diesen ihren heilsgeschichtli­chen Weltvollendungsberuf erfüllen. Ist die Gemeinde berufen in die totale Gemeinschaft Jesu Christi, ihres Herrn, so hat sie nicht nur Anteil an der Todesgemeinschaft mit Christus, sondern auch an der Überwindung des Todes durch Lebensgemeinschaft. Das 15. Kapitel ist kein loser Anhang an eine Reihe von Fragen betreffs Gemeindeordnung, sondern die Durchführung der großen Linie bis zu ihren äußersten Konsequenzen.

„Ich tue euch aber kund, Brüder, das Evangelium, das ich euch verkündige, welches ihr auch annahmt, in welchem ihr auch steht, durch welches ihr auch das Heil erlangt, in welcher Gestalt ich es euch verkündige, wenn ihr festhaltet, außer wenn ihr umsonst glaubtet.“ (15,1–2)

Das Verständnis dieser Verse ist abhängig von der Deutung des Ausdrucks „in welcher Gestalt“ (tini logo). Wir finden den­selben Ausdruck auch in Apg. 10,29. Dieser eigenartige Ausdruck, welcher buchstäblich übersetzt lautet: „aufgrund welchen Wortes“, weist hin auf die besondere göttliche Offenbarung, die in dem Evangelium des Paulus zur Darstellung kommt.

Die besondere Offenbarungsform des paulinischen Evangeliums stellt den erhöhten Christus in den Mittelpunkt. Wenn Paulus über die Berufung der Gemeinde in die Gemeinschaft Jesu Christi, ih­res Herrn, spricht, dann darf er diese Zentralwahrheit nicht un­erwähnt lassen, dass dies die Gemeinschaft mit dem erhöhten Chris­tus, dem Auferstandenen, dem Lebendigen, bedeutet. In Kapitel 10 und 11 hat Paulus von der Todesgemeinschaft mit Christus gespro­chen. Es würde nun die Durchführung des großen Themas sehr un­vollkommen sein und die Hauptsache dabei fehlen, wenn er nun nicht auch über die Auferstehungsgemeinschaft sprechen würde. Die Anrede „Brüder“ erinnert wieder an Gemeinschaft unter­einander. Mit dieser Anrede schließt er Kapitel 14 und beginnt er Kapitel 15. Die Bruderschaft darf unter keinen Umständen Schiff­bruch leiden, mögen die Anschauungen in Lehrfragen auch noch so weit auseinandergehen, wie z.B. in der Fundamentallehre von der Auferstehung.

Ich tue euch aber kund das Evangelium, das ich euch verkündige“. Es ist dies keine bloße Erinnerung an etwas Bekanntes, aber Vergessenes oder Vernachlässigtes, sondern ein Bekanntma­chen mit etwas Neuem oder bisher noch nicht genügend Begrif­fenem. Die ganze Tiefe des paulinischen Evangeliums ist ja auch heute vielen Gläubigen eine unbekannte Sache. Welche Folgen für unser Glaubensleben müsste es haben, wenn wir das Evangelium vom erhöhten Christus, dem Auferstandenen, Lebendigen, rich­tig erfassen würden. Es ist dies kein andersartiges Evangelium (Gal. 1,7–8). Die Korinther haben dasselbe auch angenommen, ja sie stehen in demselben, obwohl sie noch so mangelhaft sind in ihrem Glaubensleben und in ihrer Erkenntnis. Nun geht es darum, dass sie auch das Evangelium in der besonderen Gestalt festhalten, in der Paulus es verkündigt. Nur so kommen sie wirklich zur Er­langung des Heils, nämlich der Teilnahme am Auferstehungssieg des Christus. Ohne Erreichung dieses Ziels ist ihr Glaube vergeblich. Dies führt Paulus nun im Folgenden weiter aus.


11.1 Die heilsgeschichtliche Bedeutung des paulinischen Evangeliums

„Denn ich überliefere euch vor allem, was ich auch empfing, dass Christus starb für unsere Sünden gemäß den Schriften, und dass er begraben wurde, und dass er erweckt wurde am dritten Tage gemäß den Schriften.“ (15, 3–4)

Dass es sich hier um eine heilsgeschichtliche Darstellung des paulinischen Evangeliums handelt, geht nicht nur aus der aus­drücklichen Erklärung des Apostels hervor, sondern auch aus der Betonung des besonderen Charakters dieses Evangeliums. Mit „denn“ knüpft Paulus an das Vorige an. Was er den Korinthern überliefert, hat er auch vom Herrn empfangen (Kapitel 11,2.23). Das gehört also zu seinem besonderen Auftrag.

Die Bedeutung der Überlieferung liegt nicht in der starren menschlichen Tradition, nicht in dem, was Menschen sich erdacht und zur Tradition oder Gewohnheit haben werden lassen, son­dern in dem lebendigen Geisteszeugnis, welches direkt vom Herrn stammt und durch den menschlichen Kanal des Lebenszeugnisses weitergeleitet wird. Hierbei ist jede Willkür und Entstellung der Originalkunde ausgeschlossen, weil diese lebendige Überlieferung stets in voller Übereinstimmung bleiben muss mit der Schrift.

Deshalb betont Paulus hier wiederholt das „gemäß den Schriften“. Das ist die besondere Gestalt (Vers 2), in der Paulus das ihm aufgetragene Evangelium verkündigte. Das Wort stammt aus den Schriften und zugleich unmittelbar vom Herrn. Dies ist nun wohl nicht so zu verstehen, dass Paulus die geschichtlichen Heilstatsa­chen durch besondere Offenbarung vom Herrn erfahren hat, son­dern er hat diese Kunde ebenso wie die anderen von denen be­kommen, die vor ihm Jünger gewesen sind. Aber, und das ist das Entscheidende, durch die persönliche Selbstoffenbarung des Herrn im Leben des Paulus wurde diese Überlieferung zu einem direkten Erleben, wodurch er auch das „gemäß den Schriften“ neu erfasste (Apg. 9,22). Dieses lebendige, glaubensvolle Erfassen gibt Paulus weiter. Das ist die Gestalt seiner Überlieferung.

Was nun den Inhalt dieses paulinischen Evangeliums betrifft, so fällt uns hier auf, dass hier nur einige Hauptstücke aufgezählt wer­den (Tod, Begräbnis, Auferweckung Christi) und andere wichtige Wahrheiten unerwähnt bleiben, dafür aber auf die verschiedenen Erscheinungen des Herrn großes Gewicht gelegt wird. Das erklärt sich dadurch, dass Paulus nicht beabsichtigt, hier eine vollständi­ge Inhaltsangabe seiner Verkündigung zu geben, sondern nur den spezifischen Charakter seines Evangeliums hervorzuheben. So ist auch wohl das „vor allem“ zu verstehen (wörtlich: „unter den ersten“, d. h. wichtigsten Stücken). Es sind nun vier Hauptstücke, die Paulus hier aufzählt. Diese vier Teile bilden zwei Gruppen, die durch das „gemäß den Schriften“ geteilt werden: Christi Tod und Begräbnis einerseits und Christi Auferweckung und Erscheinung andererseits.

Es sind also im Grunde nur zwei Seiten, durch welche die paulinische Verkündigung charakterisiert wird: Tod und Leben des Christus in ihrer Bedeutung für die Gemeinde. Beides wird als Wirk­lichkeit besonders betont, durch die Verdoppelung der Aussagen: Der Tod als Gestorben– und Begrabensein, das Leben durch Auferweckung und Erscheinung.

Zu beachten ist, dass es hier nicht heißt, dass Jesus, sondern „dass Christus starb für unsere Sünden“. Paulus erwähnt dieses also nicht als bloße Begebenheit aus der Geschichte Jesu, sondern als heilsgeschichtliche Tatsache gemäß den Schriften, die von dem Christus (Messias) zeugen (Lk. 24,26.46). Das Tatsächliche, Wirkli­che wird noch durch die Aoristform bekräftigt. Christus starb „für unsere Sünden“.

Und dass er auferweckt wurde am dritten Tage ge­mäß den Schriften“. Auch dies wird von Christus ausgesagt (Verse 12–17.20). Paulus spricht hier nicht von der Auferstehung, sondern von der Auferweckung Christi, wohl aber von der Aufer­stehung der Toten (Verse 12–13.21.42), zu welchem Zweck sie aufgeweckt werden (Verse 15–16.29.32.35.42–44.52).

Die Auferweckung ist allein das Werk des Vaters und hängt mit Lebendigmachung zusammen, wovon in diesem Kapitel noch die Rede sein wird. Es ist das Evangelium Gottes über seinen Sohn (Röm. 1,1.3), welches Paulus verkündigt, indem er die Christusli­nie durch die Schriften hindurch aufzeigt.

Auferweckt“ steht in der Perfektform, wodurch angedeutet wird, dass die Auferweckung Christi nicht nur eine heilsgeschicht­liche Tatsache ist wie sein Sterben, sondern ein Vollendungszu­stand (Röm. 6,9). Er ist der Auferweckte, der Lebendige. Paulus will uns zeigen, dass wir berufen sind in die Gemeinschaft des le­bendigen Christus, und was das bedeutet.

Die Hinzufügung „am dritten Tage“, die außer in Apg. 10,40 sonst nur noch in den Evangelien zu finden ist (Mt. 16,21; 17,23; 27,63; Lk. 9,22; 18,33; Joh. 2,19) weist hin auf die Zuverlässigkeit des Auferstehungszeugnisses. Christus ist wirklich gestorben, was bestätigt wird durch sein Begrabenwerden. Christus ist wirklich auferweckt worden am dritten Tag und nun der Lebendige, vom Thron aus Wirkende.

„Und dass er erschienen ist.“ (15,5)

Paulus führt diese Tatsache an als viertes Hauptstück seiner Überlieferung, weil es ihm darauf ankommt, den lebenden Chris­tus als den vom Thron aus fort und fort wirkenden und sei­ner Gemeinde sich offenbarenden Christus vorzustellen. Die Er­scheinungen Christi haben nicht nur den Zweck, die Tatsache sei­ner Auferstehung zu beglaubigen, sondern die fortlaufende Offen­barung Christi zu markieren. Paulus übergeht deshalb bei der fol­genden Aufzählung der verschiedenen Erscheinungen Christi die­jenigen, die ihm hier nicht von Belang sind (z. B. Maria Magdale­na, Joh. 20,14ff.; die Emmausjünger, Lk. 24,13ff.; die elf Jünger mit Thomas, Joh. 20,26ff.; die Jünger am See, Joh. 21,1ff.).

„Und dass er erschienen ist dem Kephas, danach den Zwölfen. Darauf ist er erschienen über 500 Brüdern auf einmal, aus welchen die meisten bis jetzt bleiben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er erschienen dem Jakobus, danach den Aposteln allen. Zuletzt aber von allen ist er, gleichsam der Frühgeburt, auch mir erschienen.“ (15,5–8)

Die Tendenz dieser Aufzählung ist wohl nicht die Häufung von Zeugen der Auferstehungstatsache, sondern der Nachweis der fortschreitenden Enthüllung Christi, die in der dem Paulus gewor­denen Erscheinung einen vorläufigen Abschluss gefunden hat.

Die Reihe fängt bei Kephas an und hört bei Paulus auf. Die dem Jo­hannes auf Patmos gewordene Offenbarung Jesu Christi kommt hier nicht in Betracht. Paulus vergleicht öfter seinen Dienst mit dem des Kephas und weist dabei gern auf die Zusammenhänge hin. Auch hier zeigt die ununterbrochene Kette Zusammenhang und Fortschritt.

Es ist auch nicht gesagt, dass es sich um eine Erscheinung Christi handelt, die allen zu gleicher Zeit zuteil geworden ist. Es kann sich ebenso gut um Einzelerscheinungen handeln, die alle ohne Ausnahme, jeder für sich, empfangen haben.

Nach Apg. 1,3 waren ja auch die Erscheinungen des Herrn in den 40 Tagen bis zur Himmelfahrt viel zahlreicher, als man gewöhnlich annimmt.

Die Gegenüberstellung dieser Erscheinung Christi für alle Apostel mit der dem Apostel Paulus gewordenen weist uns die Richtung, in der wir die heilsgeschichtliche Bedeutung derselben zu suchen haben. Sie muss zusammenhängen mit der Verstockung Israels durch die Ablehnung des prophetischen Pfingstzeugnisses. Während Jakobus allein in Jerusalem blieb, sind die übrigen Apostel nach Apg. 15 in der Zerstreuung.

Dass Paulus hier den Ausdruck „allen Aposteln“ betont, legt die Annahme nahe, dass es sich bei der Erscheinung Chris­ti für sie um neue Orientierung über ihren apostolischen Beruf handelt, während Israel als Volk dem Verstockungsgericht anheimfiel. Wir dürfen gern glauben, dass Christus sie in solchen Fällen einer besonderen Erscheinung gewürdigt hat, wie wir es auch im Leben des Paulus finden.

Dieser Abschluss weist aber bereits über sich hinaus zu ei­ner volleren Erfüllung. Paulus nennt die ihm zuteil geworde­ne Erscheinung eine solche, die ihm, gleichsam der Frühgeburt, geschenkt wurde. Die Frühgeburt ist nicht eine Fehlgeburt, sondern eine Geburt, die nach menschlicher Berechnung zu früh gekommen ist, also noch nicht die volle Ausreifung er­langt hat.

Auffallend ist der Artikel bei Frühgeburt. Paulus ist nicht irgendeine, sondern „die“ Frühgeburt, die eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung hat. Was an ihm geoffenbart worden ist, das wird einmal an Ganz–Israel in die Erschei­nung treten bei der Vollgeburt des Volkes, der glorreiche Sieg der bedingungslosen Gnade durch das übermächtige Ein­greifen des Herrn in ein völlig verfehltes Leben. Die Bekeh­rung des Paulus wurde vermittelt durch das den Herrn Se­hen. So wird einst ganz Israel ihn sehen, den sie durchsto­chen haben, und wehklagen werden alle die Stämme des Landes um ihn (Offb. 1,7); und danach werden sie sich be­kehren, indem Gott auf sie den Geist der Gnade und des Flehens ausgießt (Sach. 12,10). Diese Seite der Offenbarung in der Erscheinung Christi führt Paulus im Folgenden noch weiter aus.

„Denn ich bin der geringste der Apostel, der ich nicht genug bin, ein Apostel zu heißen, dieweil ich die Ge­meinde Gottes verfolgte. Aber durch Gnade Gottes bin ich, was ich bin, und seine Gnade, die in mich hinein, ist nicht vergeblich geworden, sondern über­aus viel mehr als sie alle mühe ich mich ab, nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes mit mir.“ (15,9–10)

Das ich (ego) steht betont voran. Das fällt um so mehr auf, da Paulus etwas aussagen will, das die eigene Ichhaftigkeit völlig ver­nichtet. Er sagt von sich: „Der geringste der Apostel“. Das ist nicht falsche Demut, sondern sachliche Selbsteinschätzung. Das Ich wird nicht beseitigt, wohl aber die Ichhaftigkeit. Die rechte Selbstein­schätzung begründet Paulus durch sein Vorleben. Er ist nicht ge­nug, ein Apostel zu heißen, weil er die Gemeinde Gottes verfolgt hat. Wohl ist ihm alles vergeben, aber es bleibt aus dem Vorleben eine gewisse Belastung, die der Herr nicht wegnimmt, sondern in Segen verwandelt (Apg. 9,21.26).

Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“. Hier folgt das wunderbare „aber“ im Leben eines Begnadigten. In diesem Satz sehen wir das Ich (ego) nicht mehr, es ist verborgen im „bin“. Es hört nicht auf zu existieren, aber es tritt zurück und geht ganz auf in dem, was die Gnade wirkt (1. Tim. 1,13–14; Gal. 1,13–14). Die falsche Demut geht in ihren Äußerungen weit übers Ziel hinaus. Paulus aber sagt nicht: Ich bin nichts, sondern: Ich bin, was ich bin.

Seine Gnade, nämlich die in mich hinein, ist nicht vergeb­lich geworden“. Die falsche Demut rühmt nur zum Schein die Gnade, macht sie aber in Wirklichkeit inhaltslos. Das tut Paulus nicht. Indem er sich als Beispiel hinstellt, zeigt er, was die Gnade, die in ihn hinein wirkt, aus ihm gemacht hat. Ohne Überheblich­keit kann er deshalb sagen, dass er überaus viel mehr als sie alle sich abmühe. Er war der eifrigste Arbeiter auf dem Missionsfeld. Hier haben wir die Einstellung, die die Gnade rühmt, die nicht ver­geblich gewesen ist.

Nicht aber ich (ego), sondern die Gnade Gottes mit mir“.Um durchaus kein Missverständnis aufkommen zu lassen, fügt Paulus noch diesen Nachsatz hinzu, indem er besonders hervorhebt, dass nicht das Ich das wirkende Prinzip ist, sondern die Gnade, die mit ihm wirkt. Warum gibt Paulus hier diese ausführliche Darstellung seiner persönlichen Einstellung? Doch nicht bloß, um bei dieser Gelegenheit nebenbei etwas über sein Apostolat zu sagen, sondern weil der besondere Charakter seines Dienstes die ihm gewordene Erscheinung Christi ins Licht stellt. Das Ziel der Erziehungswege Gottes mit der Gemeinde und mit dem Volk Israel ist der totale Zerbruch aller menschlichen Möglichkeiten und der Sieg der abso­luten Gnade auf der ganzen Linie. Dieses Ziel wurde im Dienste des Paulus bereits sichtbar. Wir begreifen nun, weshalb Paulus die ihm gewordene Erscheinung Christi ans Ende der Reihe setzt.

„Sei es nun ich, seien es jene, also verkündigen wir, und also glaubet ihr.“ (15,11)

Hat Paulus in den vorigen Ausführungen den Fortschritt der Offenbarung gezeigt, so betont er hier jetzt den Zusammenhang des apostolischen Dienstes. Mit „jenen“ meint er die anderen Apo­stel. Es war nicht eine Gleichheit der Erscheinungen Christi, sondern eine Übereinstimmung im Wirken, eine wunderbare Harmo­nie und Geisteseinheit. Alle verkündigen den auferstandenen Christus, und aufgrund dieser Tatsache glauben die Korinther. Was das zu bedeuten hat, führt Paulus im Folgenden aus nach dem General­thema, dass wir berufen sind in die Gemeinschaft Jesu Christi, un­seres Herrn.


11.2 Gemeinschaft mit Christus bedeutet Totenauferstehung

Ehe Paulus die positive Seite dieser Verkündigung ausführt (Verse 20–58), zeigt er die Konsequenzen einer Leugnung der Totenauferstehung (Verse 12–19).

„Wenn aber Christus verkündigt wird, dass er aus Toten auferweckt sei, wie sagen denn etliche unter euch, dass eine Totenauferstehung nicht sei?“ (15,12)

Paulus setzt die Auferweckung Christi aus Toten als indiskuta­ble Tatsache voraus. An ihr kann nicht gerüttelt werden aufgrund der einwandfreien, zwingenden Zeugnisse. Der Welt kann man die Auferweckung Christi nicht beweisen, wohl aber bezeugen. Den Gläubigen brauchen wir sie nicht zu beweisen, sondern dürfen die­se Tatsache als entscheidend für ihr Gläubiggewordensein voraus­setzen.

Diese Tatsache wurde von den Korinthern auch nicht bestrit­ten, wohl aber gab es etliche unter ihnen, welche an eine Toten­auferstehung nicht glaubten. Näheres über diese „Etlichen“ erfah­ren wir nicht, können aber aus der Art der Beweisführung des Apostels einige Schlüsse über ihre Anschauung ziehen. Es müs­sen philosophisch beeinflusste Menschen gewesen sein, denen ei­ne Wiederbelebung der Materie nicht einleuchten wollte, wie aus Vers 35ff. zu vermuten ist. Sie leugneten zwar nicht ein Fortleben nach dem Tode, meinten aber wohl, der menschliche Geist gehe dann ganz in der Gottheit auf. Demgegenüber betont Paulus, dass ein solches unpersönliches, leibloses Fortbestehen kein wahres Le­ben sei, kein wahrer Sieg des Lebens über die Todesmächte in der Materie (Vers 52ff.).

Vielleicht gehörten diese Leute zu der gewissen Richtung, wel­che lehrte, die Auferstehung sei schon geschehen (2. Tim. 2,18), nämlich im Sinne einer geistlichen Auferstehung zu einer höhe­ren Gnosis (Kenntnis), indem sie die Auferweckung und das Sit­zen mit Christus inmitten der Himmlischen (Eph. 2,6) als Inbe­griff der Totenauferstehung deuteten. Diesen falschen Spiritualis­mus bekämpft Paulus in Kapitel 15, indem er die Verklärung der Leiblichkeit betont. Es hatte für philosophisch geschulte Griechen etwas sehr Verführerisches, wenn die Vernichtung der Materie als Voraussetzung für die wahre Befreiung des Geistes gelehrt wur­de. Wenn Paulus nun von Totenauferstehung redet, so meint er unmissverständlich die leibliche Auferstehung, und er weist nach, dass ohne dieselbe unser Glaube nichtig sei.

„Wenn aber Totenauferstehung nicht ist, so ist auch Christus nicht auferweckt. Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist also leer unsere Verkündigung, leer auch euer Glaube.“ (15,13–14)

Paulus geht in seiner Beweisführung aus von geschichtlicher Tat­sache und Erlebnis. Dies ist fundamental und indiskutabel, wenn beides vereint ist. Geschichtliche Tatsache ohne Erlebnis ist wert­los für uns, Erlebnis ohne geschichtliche Tatsache ist Täuschung. Beides in unlöslicher Vereinigung dagegen ist die Grundlage unseres Glaubenslebens. Paulus ist ein Durchdenker, der jeder Sache bis auf den Grund geht und vor keiner Konsequenz zurückscheut. Es ist der Fehler der meisten Menschen, dass sie nicht bis zum Schluss durchdenken, sondern mitten auf dem Weg des Denkprozesses ir­gendwie sich aufhalten lassen und steckenbleiben. Daher die vie­len Fehlschlüsse und Irrtümer. Das war auch der Fehler dieser „Etlichen“ in Korinth.

Paulus zwingt sie mit sanfter, aber unausweichbarer Logik zum Durchdenken. Aus der Leugnung der Totenauferstehung im All­gemeinen folgert er die Leugnung der Auferweckung Christi im Besonderen. Wieso? Gibt es hier kein Ausweichen? Der Christus­begriff ruht auf der Solidarität mit der Menschheit. Die Leugner der Totenauferstehung wären also gezwungen, das Gesetz der Solida­rität zu ignorieren, und das ist logischerweise nicht möglich, oh­ne die Fundamentalwahrheit über die Person Christi zu untergra­ben. Ein Ausweichen vor dieser Konsequenz, ohne in Unglauben zu verfallen, ist unmöglich; und der Unglaube selbst ist, soweit er nicht mehr durch Unwissenheit entschuldigt werden kann, gleich­bedeutend mit Unvernunft; denn geschichtliche Tatsachen und Er­lebnis leugnen ist soviel, wie das Licht der Sonne und seine Wir­kung leugnen zu wollen.

Auf Diskussion mit der Unvernunft geht Paulus niemals ein. Die Auferweckung Christi ist geschichtliche Tatsache, durch Zeug­nis erhärtet, und der aus dieser Tatsache gezeugte Glaube beruht auf Erlebnis, das nicht bestritten werden kann. Die Etlichen such­ten aber trotzdem ein Ausweichen, indem sie die leibliche Auferweckung Christi zwar festhielten, aber eine leibliche Totenauf­erstehung leugneten. Das ist unlogisch und daher verkehrt. Sie konnten mit ihrer Behauptung nicht an der Person Christi vorbei­kommen, ohne diese ihrer Wesenheit zu berauben.

Diese christologische Beweisführung ist charakteristisch für Pau­lus. Er verzichtet auf philosophische Methoden, da mit diesen nie das letzte Rätsel gelöst werden kann. Alle philosophischen Syste­me müssen stehenbleiben vor einer Grenze, die nur Offenbarung durchbricht. Und diese ist gegeben in Christus.

Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, ist also leer unse­re Verkündigung, leer auch euer Glaube“. Das ist die Folgerung (ara) aus dem Vordersatz. Die Auferweckung Christi ist so sehr das Fundament des göttlichen Heils, dass ohne dieselbe alles leer wäre, Botschaft und Glaube, also das Evangelium, welches die Korinther angenommen, in dem sie stehen und durch das sie des Heils teilhaftig werden (Vers 1). Leer (kenos) bedeutet soviel wie grundlos, inhaltlos, kraftlos, ohne Wirklichkeit.

„Wir werden aber auch als falsche Zeugen Gottes er­funden, dass wir gezeugt haben wider Gott, dass er den Christus auferweckt habe, welchen er nicht auf­erweckt hat, wenn nämlich demnach Tote nicht auf­erweckt werden. Denn wenn Tote nicht auferwecktwerden, so ist auch Christus nicht auferweckt worden.“ (15,15–16)

Paulus weist den Korinthern eine weitere Inkonsequenz nach. Diese ist rein persönlicher Natur. Die Leugnung der Totenauf­erstehung ist nicht nur unlogisch für Gläubige, wie er im Vori­gen ausgeführt hat, sondern auch unvereinbar mit dem brüderlichen Vertrauensverhältnis zu den Gemeindeführern, da diese dadurch des falschen Zeugnisses beschuldigt werden. Ist Ersteres eine Unmög­lichkeit für die Vernunft, so ist Letzteres gegen alles bessere Ge­fühl. Ein falsches Zeugnis wider Gott trauten die Korinther selbst­verständlich dem Apostel Paulus und all den übrigen Zeugen der Auferstehung Christi nicht zu. Bis zu dieser äußersten Konsequenz hatten sie die Sache sicherlich auch noch nie durchdacht, sonst wä­ren sie wohl zurückgeschreckt. Hier haben wir wieder ein Beispiel dafür, wie falsche Lehrmeinungen entstehen, weil man nicht den Mut oder die Fähigkeit hat, eine Sache wirklich durchzudenken.

„Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, so ist eitel euer Glaube, so seid ihr noch in euren Sünden.“ (15,17)

Dies ist ein ganz neuer Gesichtspunkt, und zwar der soteriolo-gische. Ohne die Tatsache der Auferweckung Christi ist der Glaube nicht nur leer (Vers 14), sondern auch fruchtlos, erfolglos (mataios). Auch bis zu dieser Konsequenz waren die Korinther noch nicht vorgedrungen. Sie leugneten ja nicht die Auferweckung Christi, sondern nur die Totenauferstehung. Aber eins ist nicht ohne das andere. Man kann das Gesetz der Solidarität nicht zerreißen, oh­ne das Fundament des Heilsglaubens zu zerstören. Es gibt keine Befreiung von den Sünden ohne den entscheidenden Sieg über die Welt der Sünde durch die Auferweckung Christi. Es ist der Sieg des Lebens über den Tod, wie Paulus im Folgenden weiter ausführt.

Christus ist gestorben für unsere Sünden (Vers 3), aber aufer­weckt um unserer Rechtfertigung willen (Röm. 4,25). Rechtferti­gung ist nicht nur Gerechtsprechung, also Aufhebung des Schuld­zustandes, sondern Gerechtmachung, d.h. Befreiung von der Sün­denherrschaft. Deshalb kann Paulus folgern: Wenn Christus nicht auferweckt worden ist, so seid ihr noch in euren Sünden; also ist eitel, erfolglos euer Glaube.

„Demnach sind auch die Entschlafenen in Christus verloren.“ (15,18)

Eine weitere Konsequenz. Die christliche Hoffnung wäre zer­stört. Ein Hoffnungsleben ohne das Ziel der leiblichen Auferste­hung wäre nichts. „Die Entschlafenen in Christus“, dieser Aus­druck kommt nur hier vor. Sonst sagt Paulus wohl: „die durch Je­sus Entschlafenen“ (1. Thess. 4,14), oder „die Toten in Christus“ (1. Thess. 4,16). Dass Paulus das „in Christus“ hier betont, hängt zusammen mit dem Hauptthema der Berufung der Gemeinde in die Gemeinschaft Jesu Christi, ihres Herrn, in seine Wesens– und Lebensgemeinschaft.

Und dass er in diesem Kapitel das Sterben ein Entschlafen nennt, hängt zusammen mit der lebendigen Hoffnung einer wirk­lichen Todesüberwindung. Das wesenhafte Sein in Christus nach dem Tode vor der Leibesauferstehung wird passend bezeichnet als Schlummer, Entschlafensein. Diese ganze lebendige Christenhoff­nung bricht zusammen, wenn Tote nicht auferstehen.

„Wenn wir allein in diesem Leben in Christus Hoffnung gehabt Habende sind, sind wir elender als alle Menschen.“ (15,19)

Dies ist die letzte Konsequenz, zu der Paulus in seiner Beweis­führung fortschreitet. Diese ist rein praktischer Natur. Was hilft es, allein in diesem Leben in Christus Hoffende zu sein, wenn der Tod diesem allen ein Ende setzt? Die Spiritualisten in Korinth, die da meinten, der Menschengeist gehe beim Sterben ganz auf in der Gottheit, müssten beim Sterben eine große Enttäuschung erfahren. Dann wären sie Hoffnung gehabt Habende gewesen. Denn ein kör­perloses, unpersönliches Sein in Gott ist für uns keine Hoffnung, sondern eine Täuschung.

In Christus“ muss zu „hoffen“ gezogen werden (vgl. Eph. 1,12). Dieses Hoffen in Christus, d.h. in wesenhafter Gemein­schaft mit ihm, würde mit dem Tode ja aufhören, wenn es keine Totenauferstehung gäbe.

Elender als alle Menschen“. Warum? Weil dann selbst dieses Leben der Hoffnung in Christus eine Täuschung wäre. Denn wenn Christus nicht auferweckt ist, gibt es ja in Wirklichkeit kein wesen­haftes Sein in Christus, dann ist der Ausdruck „in Christus“ ein leerer Begriff. Dann haben die Ungläubigen praktisch mehr von diesem Leben als die Christen, die um ihres Glaubens willen auf vieles verzichten müssen, was doch für Weltmenschen eine gewis­se Befriedigung bietet (Vers 32).

Nachdem Paulus die Konsequenzen einer Leugnung der Toten­auferstehung gezeigt hat, geht er dazu über, die positive Seite seiner Verkündigung des auferweckten Christus auszuführen (Verse 20–28).

„Nun aber ist Christus aus Toten auferweckt worden als Erstling der Entschlafenen.“ (15,20)

Paulus kehrt zu der geschichtlichen Tatsache der Auferweckung Christi zurück. Diese ist die granitene Grundlage unse­res sieghaften Glaubens. Nicht irgendeine menschliche Meinung, ein Weltanschauungssystem, auch nicht ein persönliches Erlebnis kann eine solche Grundlage sein. So wichtig letzteres auch ist, es steht aber an zweiter Stelle hinter der objektiven geschichtlichen Wahrheit (Verse 13–14).

Christus ist auferweckt aus Toten“, das ist das Fundament unserer lebendigen Hoffnung für die Ewigkeit. Paulus sagt nicht „auferstanden“ sondern „auferweckt“, weil er auf die Quelle alles Lebens, auf Gott, zurückgeht in seiner Verkündigung. Gott hat in der Auferweckung Christi aus Toten einen ganz neuen Anfang ge­setzt, eine neue Schöpfung, die bestimmt ist, den völligen Sieg über alle Todesmächte davonzutragen.

Darum nennt Paulus Christus den Erstling der Entschlafenen, gleichsam die Erstlingsfrucht einer ganz neuen Lebensoffenba­rung Gottes. In Christus wird eine neue Reihe begonnen von lau­ter Lebenssiegen über die Todesmächte. In dieser Reihe folgen ihm die Entschlafenen in Christus. Am Tag nach dem Passahsab­bat, also am Ostersonntag, am Tag der Auferstehung, wurde nach 3. Mo. 23,10–11 die Erstlingsgarbe gewoben als Weihe des folgen­den Erntesegens. In Christus hat auch dieser Typus seine Erfüllung gefunden. Die Erstlingsgarbe weist hin auf eine neue Lebensreihe, die mit ihr ihren Anfang nimmt.

Die im Alten und Neuen Testament berichteten Totenerweckungen vor der Auferweckung Christi kommen hier deshalb nicht in Betracht, weil es keine Erweckungen zum unauflöslichen Leben, sondern nur zur Fortsetzung des irdischen Lebens waren.

„Denn weil ja doch durch einen Menschen Tod, so auch durch einen Menschen Totenauferstehung.“ (15,21)

Hier betont Paulus besonders, dass durch einen Menschen bei­de Linien beherrscht werden, sowohl die Todes– als auch die Le­benslinie. Was durch einen Menschen verlorengegangen ist, muss auch durch einen Menschen wiederhergestellt werden. So fordert es die göttliche Gerechtigkeit. Und dass es möglich geworden ist, obwohl das ganze Menschengeschlecht unter die Herrschaft der Sünde und des Todes geraten ist, das ist die göttliche Weisheit, die den Erlösungsplan erfunden hat, welcher durchgeführt wird, ohne dass die göttliche Gerechtigkeit und Heiligkeit durchbrochen wird.

Das Geheimnis liegt in Christus, in welchem Gott sich solidarisch einsgemacht hat mit der Menschheit. Die mit Christi Auferweckung begonnene neue Lebenslinie hebt die Todeslinie auf, und zwar mit fortschreitender Wirkung. Mit dem Haupt der Menschheit sind alle einzelnen Menschen zusammengefasst als eine unlösbare solidari­sche Einheit.

„Denn ebenso wie in dem Adam alle sterben, also auch werden in dem Christus alle lebendig gemacht werden.“ (15,22)

Dem Haupt der alten Menschheit, Adam, wird das Haupt der neuen Menschheit, Christus, gegenübergestellt. Es ist dieselbe Gat­tung Mensch, aber zwei verschiedene Menschheiten in Bezug auf ihre Stellung zu Tod und Leben. Das Geheimnis besteht darin, dass Christus gleichsam die ganze Menschheit in sich aufgenommen hat. Sie ist in ihm, dem Haupt derselben. Sie erlebt nun beides nach ihrer doppelten Zugehörigkeit. In dem Adam sterben alle, in dem Christus werden alle lebendig gemacht.

Der Heilsuniversalismus ist nicht geringer als der Sünden– und Todes–Universalismus (Röm. 5,12.15). Er umfasst ausnahmslos al­le. Nur heilsgeschichtliche Unterscheidungen finden statt. Durch einen Menschen ist der Tod, und in Adam sterben alle. Anderer­seits durch einen Menschen ist Totenauferstehung, und in Christus werden alle lebendig gemacht. Wie auf der einen Seite Tod die Fol­ge von Sterben ist, so ist auf der anderen Seite Totenauferstehung die Folge von Lebendiggemachtwerden.

Sterben und Tod liegt wohl auf derselben Linie, ist aber doch nicht zu verwechseln; ebenso Auferstehung und Lebendigge­machtwerden. Letzteres ist Ursache, und ersteres ist Folge. Das Lebendigmachen entspricht der neuen Schöpfung Gottes, die in der Auferweckung unseres Herrn Jesu aus Toten ihre Grundlage hat. In Christus findet diese neue Schöpfung oder das Lebendig­gemachtwerden seine Fortsetzung und Vollendung. Wenn jemand hier schon in Christus ist, so hat er es bereits mit dieser Neuschöp­fung zu tun (2. Kor. 5,17).

An unserer Stelle erfahren wir nun, dass der Totenauferstehung noch eine Lebendigmachung der Entschlafenen vorausgeht. Die­se wird gewirkt durch Christus als den lebendigmachenden Geist (Vers 45). Dieses ist die Einführung in das wahre, selige Leben, wel­ches dann in der Lebendigmachung des sterblichen Leibes seine Vollendung findet.

„Ein jeglicher aber in seiner eigenen Ordnung: Als Erstling Christus, sodann die des Christus vermittels seiner Herrlichkeitsgegenwart (parusia), sodann die Vollendung, wenn er übergibt das Königreich Gott und dem Vater, wenn er abschafft jede Herrschaft und jede Vollmacht und Kraft.“ (15,23–24)

Mit Ordnung ist hier nicht die zeitliche Reihenfolge gemeint, wiewohl diese auch zutrifft, sondern Abteilung, Gruppe. Paulus unterscheidet drei Gruppen:

  1. Christus als Erstling, der das Leben schon hat.

  2. Die Christen, die es vermittels seiner Herrlichkeitsgegenwart erhalten.

  3. Der ganze Rest der Menschheit, die es erhält, wenn der letz­te Feind, der Tod, vernichtet ist. Dies ist das Ziel (telos), auf welches hin alles angelegt ist.

In dieser Darstellung erhalten wir einige neue Gesichtspunkte, die besonders beachtet werden müssen:

  1. Dem Erstling (aparchä) Christus entsprechen die Auto­ritäten (archä),

  2. denen, die des Christus sind, entspricht jede Vollmacht (exusia), und

  3. dem Ziel oder Ende, der Vernichtung des Todes, ent­spricht jede Kraft (dynamis).

Die Todeslinie mit ihren gottfeindlichen Mächten verläuft parallel der Lebenslinie mit ihren Überwindern.

Das muss zeitlich durchaus nicht zusammenfallen mit seiner Parusie bei seiner Wiederkunft, sondern findet fortwährend statt bei den in Christus Entschlafenen, und zwar bereits vor ihrer leiblichen Auferstehung. Sie haben ihre besondere ei­gene Ordnung. Da wirkt der verherrlichte Christus, den sie schauen werden, als lebendigmachender Geist (Vers 45). Sie sind noch Tote in Christus dem Leibe nach (1. Thess. 4,16), obgleich der Geist bereits das volle Leben empfangen hat; denn sie sind in Christus wesenhaft eins mit ihm, keine kraft­losen Schatten im Totenreich. Paulus nennt diesen Zustand nach dem Tode und vor der leiblichen Auferstehung ein Sein mit (syn) Christus, welches um vieles besser ist als das Blei­ben im Fleisch (Phil. 1,23).

„Denn er muss königlich herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod abgetan.“ (15,25–26)

Die Übergabe der Königsherrschaft Christi an Gott, den Vater, kann erst dann erfolgen, wenn alle Feinde bedingungslos kapitu­liert haben. Sie werden unter die Füße Gottes gelegt. Dieses Bild be­zeichnet die völlige Unterwerfung und Entmachtung (Röm. 16,20), keine restlose Vernichtung. Vernichtet, d.h. restlos beseitigt wird jede gottfeindliche Herrschaft, jede Vollmacht, jede Kraft und zu­letzt der Tod als letzter Feind. Der Tod wird nicht mehr sein (Offb. 21,4). Im Feuersee, dem zweiten Tod, wird der Tod getötet, also aufgehoben (Offb. 20,14–15).

„Denn alles unterordnet er unter seine Füße. Wenn er aber sagt, dass alles sich untergeordnet hat, ist es offenbar, dass es außer dem ist, der ihm das All unterordnet. Wenn aber ihm das All untergeordnet ist, dann wird auch der Sohn selber untergeordnet sein dem, der ihm das All untergeordnet hat, damit Gott sei alles in allem.“ (15,26–28)

Das Ziel der Königsherrschaft Christi ist, das All, welches durch gottfeindliche Mächte in Aufruhr geraten ist und welches Gott seinem Sohn untergeordnet hat, als Sieger dem Vater unter seine Füße unterzuordnen, damit Gott sei alles in allem.

Schwierigkeiten macht der Satz: „Es ist offenbar, dass es außer dem ist, der ihm das All unterordnet“. Wer ist hier gemeint, der Vater oder der Sohn? Wenn Gott der Vater gemeint wäre, so wäre nicht zu begreifen, weshalb Paulus eine solche Selbstverständlich­keit hier überhaupt erwähnt. Ist aber Christus gemeint, so gibt es einen guten Sinn; denn von seiner Königsherrschaft ist ja die Rede, die das Ziel hat, dem Vater das All unter seine Füße zu legen. Das kann er aber nur, wenn er selber nicht mit zu denen gehört, die untergeordnet sind. Christus ist Herr des Alls (Ps. 8,7). Wenn er nun seine Herrschaft über das All zur Vollendung durchgeführt hat, so dass alles dem Vater unter seine Füße gelegt ist, dann wird auch der Sohn selber untergeordnet sein dem, der ihm das All unterordnet.

Warum führt Paulus uns hier in diese unergründlichen Gottes­tiefen? Nur noch einmal spricht Paulus in diesem Brief vom Vater–Sohn–Verhältnis, nämlich bei der Nennung des großen Themas in Kapitel 1,9: „Berufen in die Gemeinschaft seines Sohnes, Jesu Christi, unseres Herrn“. Ist die Gemeinde berufen in die Gemeinschaft des Sohnes, so deckt er hier die ganze Tiefe dieser hohen Berufung auf, mit Christus königlich zu herrschen bis zur Weltvollendung und bis zur Übergabe dieser Königsherrschaft an den Vater, damit Gott sei alles in allem. Auf dem Höhepunkt seiner Herrlichkeit über­gibt der Sohn mit dem von ihm unterworfenen All sich seinem Va­ter, um als Herr des Alls ganz und gar nur von ihm abhängig zu sein.

Das ist die Krönung des Vater–Sohn–Verhältnisses, und daran hat die Gemeinde Anteil, weil sie berufen ist in die Gemeinschaft des Sohnes, ihres Herrn. Zu diesem Zweck muss sie mit verherr­licht werden durch Lebendigmachung und Totenauferstehung. Wie wäre nun die hohe Berufung der Gemeinde denkbar ohne ver­klärte Leiblichkeit?

Mit Erreichung des Zieles der Königsherrschaft Christi hört der zeitliche Dualismus auf, nämlich das, was das Wesen der Geschichte überhaupt kennzeichnet, der Kampf zwischen Gut und Böse, der Gegensatz zwischen Licht und Finsternis, die Unterscheidung von Seligkeit und Verdammnis. Eine endlose Verdammnis ist schlech­terdings unvereinbar mit der Absolutheit Gottes, der alles in al­len (oder: in allem) ist. Der zeitliche Dualismus bekommt aber von diesem Endsieg aus gesehen das rechte Licht. Es ist keine verzweif­lungsvolle Zerrissenheit der Welt, sondern zweckmäßige Polarität im geschichtlichen Werden, welches ein bestimmtes, positives Ziel hat: Alles wird Gott untertänig.

So haben wir in den Versen 24–28 die dritte Gruppe der Leben-digmachung in Christus, das Ende oder Ziel derselben. Die Königsherr­schaft des Christus zur Unterwerfung des Alls und die Überga­be an den Vater ist also eine Lebendigmachung, eine Folge der durch ihn begonnenen Reihe der Totenauferstehung. So ist der große Zusammenhang in des Paulus Ausführungen über Toten­auferstehung, in deren Bereich wir durch unsere Berufung hinein­gekommen sind.

Wir sehen, mit welcher äußersten Konsequenz Paulus den Ge­danken bis zu Ende durchführt, um die ganze Wucht seiner auf der göttlichen Heilsoffenbarung beruhenden Beweisführung zur Wir­kung kommen zu lassen. Es ist ihm nicht in erster Linie darum zu tun, die Leugner der Totenauferstehung abzufertigen, sondern die ganze Tiefe der herrlichen Lebenshoffnung aufzudecken. Erst so gewinnt der Glaube die rechte Siegeskraft.

Ehe Paulus dazu übergeht, die Art und Weise der leiblichen Auferstehung weiter darzulegen, zeigt er die Notwendigkeit des Glaubens an Totenauferstehung für den künftigen Königreichsberuf der Gemeinde (Verse 29–34). Denn so scharf in seinen Ausführungen als Dialektiker Paulus auch ist, so sehr ist er davon entfernt, bloße theologische Lehrsätze zu formulieren. Ihm liegt die Auswirkung der Erkenntnis auf das praktische Glaubensleben und den höheren Beruf der Gemeinde am Herzen. So ist der eingeschobene Absatz der Verse 29–34 zu verstehen.

„Denn was werden sonst die tun, die sich taufen lassen für die Toten, wenn überhaupt Tote nicht auferweckt werden? Was lassen sie sich auch taufen für sie?“ (15,29)

Ohne den siegreichen Glauben an Totenauferstehung wäre das Glaubensleben der Christen in dieser Welt ein großes Fiasko. Schon der Beginn desselben mit seinem offenen Bekenntnis in der Taufe wäre ganz sinnlos und verfehlt. Durch das „was werden die tun“ wird das Unmögliche des Christenberufes ausgedrückt. Was wer­den die, die sich taufen lassen, tun oder ausrichten? Wie wird sich ihr Tun in Einklang bringen lassen mit ihrem Bekenntnis in der Taufe, wenn Tote überhaupt nicht auferweckt werden?

Sich taufen lassen für die Toten“ ist ein nur an dieser Stel­le vorkommender Ausdruck, der zahlreiche sich widersprechen­de Deutungen erfahren hat. Es heißt nicht „anstatt der Toten“, als eine Art stellvertretender Taufe für Verstorbene, auch nicht „über den Toten“, indem dabei an einen Vollzug der Taufhandlung über den Gräbern gedacht wird, sondern „für (hyper) die Toten“. Wenn es sich um eine Irrlehre oder einen Missbrauch gehandelt hätte, dann hätte Paulus eine solche Taufpraxis nicht als Beweismaterial gegen die Auferstehungsleugner gebraucht. Nur aus dem Zusam­menhang kann der richtige Sinn gefunden werden.

Die Taufe als symbolische Darstellung der Todes– und Lebens­gemeinschaft mit Christus (Röm. 6,3–5) geschah geradezu im In­teresse oder zum Besten (hyper) der Toten im Allgemeinen, d. h. im Blick auf die Todesüberwindung. Wenn Paulus in Röm. 6,3 von einer Taufe in den Tod Christi Jesu spricht, so ist dies ein sinnverwandter Ausdruck. Der Unterschied besteht darin, dass in Röm. 6 die Todes– und Lebensgemeinschaft mit Christus betont wird, während hier die Rede ist von dem künftigen Beruf der Ge­meinde im Königreich des Christus.

Nur in Verbindung mit diesem leitenden Thema ist die dunkle Stelle ganz verständlich. So allein erklärt sich auch der auffallen­de Ausdruck: „Was werden die tun, die sich taufen lassen für die Toten?“ Es handelt sich also um eine künftige Tätigkeit der Ge­meinde im Interesse der Toten, zu welchem Beruf die Taufe die feierliche Proklamation ist. Nur wer in die Todes– und Lebensge­meinschaft mit Christus eingegangen ist, ist fähig zu diesem Beruf. Dieser bestand darin, mit Christus in seiner Königsherrschaft den Tod völlig zu besiegen (Vers 25). Sie bilden ja die Gruppe derer des Christus, die lebendig gemacht werden vermittels seiner Herrlich­keitsgegenwart im Blick auf das Ende oder das Ziel, nämlich die Vernichtung aller gottfeindlichen Todesmächte.

„Was laufen auch wir jede Stunde Gefahr? Täglich sterbe ich, wahrhaftig bei eurem Rühmen, Brüder, das ich habe in Christus Jesus, unserem Herrn.“ (15,30–31)

Die Leugnung der Totenauferstehung entzieht dem schweren Lebenskampf des Christen den tieferen Sinn.

Das „wir“ wird betont. Es umfasst alle Mitarbeiter des Paulus. Gerade ihr Dienst war ein besonders gefährdeter durch die Hei­den und die feindseligen Juden. Ohne lebendige Hoffnung wäre ein solches Leben nicht zu ertragen. Gerade in ihrem hohen Beruf, die gottfeindlichen Todesmächte zu überwinden, standen die Boten des Evangeliums stündlich in Gefahr, weil die dämonischen Mächte mobil gemacht wurden gegen sie.

Täglich sterbe ich“. Damit meint Paulus nicht das mit Chris­tus Gestorbensein für die Sünde (Röm. 6,2.8) oder das Gesetz (Gal. 2,19), sondern die tägliche Todesgefahr (Röm. 8,36; 2. Kor. 1,10; 4,10–11) um des Dienstes am Evangelium willen. Zu beachten ist der Wechsel vom „wir“ zum „ich“.

Wahrhaftig bei eurem Rühmen“, d.h. so wahr ich mich eu­rer rühmen darf, natürlich in Christus Jesus, unserem Herrn. Die Korinther waren selber der beste Anschauungsunterricht für den besonderen Dienst des Apostels Paulus, der ein täglicher Kampf mit Todesgewalten war. Wie Paulus in diesem Dienst beständig sein Leben auf’s Spiel setzte, das war nur möglich, wenn er den schließlichen totalen Sieg in der Totenauferstehung stets vor Au­gen hatte.

Hier gebraucht Paulus wieder die Anrede „Brüder“, um die Gemeinschaft der Korinther mit seinem Dienst zu betonen. Er war auf dem Weg nach Jerusalem, um daselbst ein volleres Pfingstzeug-nis aufzurichten. Er ahnte, dass dieser Dienst ihn das Leben kos­ten würde, und er war bereit zu sterben (Apg. 19,21; 20,23; 21,13). Gerade in diesem Dienst war ihm die Brudergemeinschaft der korin­thischen Gemeinde besonders wichtig und ein Gegenstand seines Rühmens in Christus Jesus, unserem Herrn. Was wäre diese gan­ze Mission des Paulus ohne den siegreichen Glauben an Totenauf­erstehung. Sein tägliches Sterben war bereits ein Überwinden der gottfeindlichen Todesgewalten. Deshalb fährt Paulus fort:

„Wenn ich gemäß Mensch mit wilden Tieren kämpfe in Ephesus, was ist mir der Nutzen?“ (15,32)

Was für ein Ereignis der Apostel hierbei im Auge hatte, lässt sich nicht feststellen, ob er wirklich zu einem Tierkampf im Zirkus verurteilt war, oder ob er seine Feinde mit wilden Tieren vergleicht. Tatsache bleibt es, dass er in Ephesus einen sehr schweren Kampf hat bestehen müssen, bei welchem sein Leben in äußerster Gefahr war.

Wenn er sagt „gemäß Mensch“ oder nach Menschenweise, so meint er, dass er diesen Kampf nicht so führt, wie die Menschen im Allgemeinen, aus Ruhmsucht oder um irdischen Gewinns willen, sondern aus höheren Beweggründen.

Was ist mir der Nutzen?“ Der Nutzen oder der Zweck des Lebens ist der, dass er seinen höheren Beruf erfüllt, der in der tota­len Todesüberwindung durch Leibesauferstehung seine Krönung erhält. Wer so eingestellt ist, der kann sein Leibesleben bei diesem Kampf getrost einsetzen.

„Wenn Tote nicht auferweckt werden. Lasset uns essen und trinken, denn morgen sterben wir?“ (15,32)

Das ist die Einstellung der Epikureer, der ausgesprochenen Diesseitsmenschen, das Leben zu genießen. Es ist nicht anzuneh­men, dass Paulus selber diesen Grundsatz gutgeheißen hat, selbst für den angenommenen Fall, dass Tote nicht auferweckt werden. Er will auch nicht durch solche Konsequenz die Leugner der Toten­auferstehung von ihrer verkehrten Einstellung überführen. Es ist nicht seine Gewohnheit, solche Art Beweise zu führen.

Wir können aber diesen ganzen Abschnitt durch eine andere Satzteilung in ein klareres Licht stellen. „Wenn Tote nicht auf­erweckt werden“, müssen wir zum Vorigen ziehen. Der nächste Satz ist als Frage aufzufassen und mit der darauf folgenden Mah­nung zu verbinden, so dass es also lautet: „Lasset uns essen und trinken, denn morgen sterben wir? Lasst euch nicht irreführen!“

So gibt Paulus also durchaus nicht den Rat, ruhig nach epikurei­schem Grundsatz zu leben, sondern im Gegenteil: Er warnt vor die­ser falschen Konsequenz. Das Diesseitsleben der Gläubigen ist auch ohne Auferstehung an sich schon so wertvoll und reich, dass das epikureische Lebensideal dadurch für Christen hinfällig ist.

Es ist undenkbar, dass Paulus auch nur indirekt das Genießer-tum gebilligt haben sollte. Die Frage ist auch nicht die nach dem Lohn, dem Vorteil oder eigenen Nutzen, sondern nach dem Zweck des Lebens. Das für Nutzen gebrauchte Wort (ophelos) hat den Sinn von »Schuldigkeit, Sollen« und kommt nur noch in Jak. 2,14 und 16 vor. So bekommt der ganze Abschnitt der Verse 29–32 eine einheit­liche Linie, und Paulus schweift nicht vom Thema ab mit seinen Zwischenfragen. Das ganze 15. Kapitel steht unter dem Hauptthe­ma vom Beruf der Gemeinde. Damit verträgt sich die Frage nach dem Zweck des Lebens sehr gut.

„Lasst euch nicht irreführen: Schlechte Reden verderben gute Sitten.“ (15,33)

Paulus nennt epikureische Grundsätze geradezu schlechte Re­den (homiliai = Predigten), wodurch gute, brauchbare Sitten oder Gewohnheiten verdorben werden. Das geflügelte Wort „schlechte Reden verderben gute Sitten“ stammt von dem griechischen Dich­ter Menander.

„Werdet nüchtern auf gerechte Weise und sündiget ja nicht; denn Unkenntnis Gottes haben etliche. Zur Beschämung rede ich euch.“ (15,33–34)

Ein Hauptgrund alles Unglaubens und Irrtums ist Unnüchtern­heit. Die meisten Menschen sind beständig in einer gewissen Be­täubung und Umnebelung und ahnen gar nicht, was Nüchtern­heit oder Klarheit des Geistes ist, und wie frei und glücklich der Mensch ist, der klar und unbeschwert denken kann. Unnüchtern war auch der Zustand derjenigen Korinther, welche die Totenauf­erstehung leugneten. Deshalb ließen sie sich von schlechten Reden irreführen.

Paulus deckt hier den tiefsten sittlichen Grund religiösen Irr­tums auf. Nüchternsein wird öfter neben Wachsein genannt (1. Thess. 5,6.8; 1. Petr. 5,8). Hier stellt Paulus es neben nicht sün­digen. Die verkehrte Einstellung zur Sünde, diesem Fallstrick des Teufels für die Unnüchternen (2. Tim. 2,26), ist der eigentliche Grund der Auferstehungsleugnung.

Nehmen wir „sündigen“ in der Grundbedeutung als Zielver­fehlung, so passt es sehr gut in den Zusammenhang. Der Unnüch­terne verfehlt das Ziel, d.h. er sündigt, weil er kein klares sittliches Empfinden und Urteil hat und daher sein Wille unklar ist. Der Un­nüchterne fragt immer: »Was ist Sünde, und was kann ich mir ru­hig erlauben?«, verliert aber das klare Ziel aus den Augen. Paulus ermahnt deshalb, aus der Umnebelung heraus auf gerechte Weise nüchtern zu werden. Alles, was nicht zielklar ist, d. h. auf das Ziel unserer Berufung ausgerichtet, ist Sünde.

Dies zu erkennen und zu erfassen ist Ernüchterung auf gerech­te Weise. Die Grundbedeutung für gerecht (dikaios) ist: der gött­lichen Norm entsprechend, die vorgezeichnete Linie einhaltend. Nüchtern werden ist also, in die göttliche Norm oder vorgezeich­nete Linie gelangen.

Denn Unkenntnis Gottes haben etliche“. Die „Etlichen“ sind dieselben wie in Vers 12, die da sagen, Totenauferstehung sei nicht. Diese sind die Verführer mit ihrer aufgeklärten Rederei. Ihr ver­meintlich besseres Wissen war im Grunde Unkenntnis Gottes: Un­kenntnis (agnosia) ist etwas anderes als Unwissenheit (agnoia). Es bezeichnet den Mangel an tieferem Eindringen in das Wesen und Heilswirken Gottes (Mt. 22,29).

Einen solchen Vorwurf hatten jene „Etlichen“ gewiss am aller­wenigsten erwartet, da sie sich ja gerade ihrer besseren Erkenntnis rühmten. Daher sagt Paulus: „Zur Beschämung rede ich euch.“ Beschämung (entropä), wörtlich = Nachinnenkehrung, ist nicht so­viel wie Blamage, sondern der Versuch, einen Irrenden zur inneren Einkehr zu bewegen (Kapitel 6,5; 2. Thess. 3,14).

Nachdem Paulus die Tatsache der Totenauferstehung als Fun­dament unseres Glaubens dargestellt hat, geht er noch ausführlich ein auf die Frage nach dem „Wie“ der Auferstehung oder den Auf­erstehungsleib (Verse 35–38). Er knüpft dabei an eine Frage der Auf­erstehungsleugner an.

„Aber es wird jemand sagen: Wie werden die Toten auferweckt? Mit welcherlei Leib aber kommen sie?“ (15,35)

Paulus geht auf alle ehrlichen Zweifelsgründe bereitwillig ein, die von der anderen Seite gegen die Leibesauferstehung vorge­bracht werden können. In diesen beiden Fragen offenbart sich die ganze Not jener Spiritualisten, denen die Auferstehung des Leibes so anstößig und unvorstellbar war. Das Weiterleben des Geistes, befreit von dem Leibe, schien ihnen das einzig Wünschenswerte zu sein.

„Unverständiger, was du säst, wird nicht lebendig gemacht, wenn es nicht stirbt.“ (15,36)

Mit diesem Gleichnis aus der Natur spricht Paulus eine Zen­tralwahrheit aus, die den tiefen Sinn alles körperlichen Seins ans Licht stellt. Das Samenkorn ruft es jedem zu, der nicht durch eige­ne Schuld unverständig ist, dass alles auf das Lebendiggemachtwerden angelegt ist. Zu diesem Zweck ist der Durchgang durch den Sterbe­prozess notwendig.

Beachten wir hier den Ausdruck „Lebendigmachen“, der, wie wir in Vers 22 gesehen haben, zu unterscheiden ist von „auferwecken“ oder „auferstehen“. Lebendigmachen hängt mit Neu­schöpfung zusammen, und Auferstehung, d.h. Bekleidung mit ei­nem neuen Leib, ist die Folge des Lebendiggemachtwerdens. Je­sus weist in Joh. 12,24 auf dieselbe Zentralwahrheit des Lebens hin, wenn er sagt: „Wenn nicht das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, bleibt dasselbe allein. So es aber stirbt, bringt es viel Frucht“. Jesus erklärt dies sofort mit einem Fundamentallehrsatz: „Wer da seine Seele liebt, verliert sie, und wer da hasset seine Seele in dieser Welt, wird sie bewahren ins äonische Leben hin-ein“.

Es handelt sich also um das Seelenleben in dieser Weltordnung. Dieses muss durch den Tod zur wahren Entfaltung gelangen. Dies zeigt uns das Gleichnis vom Weizenkorn. Letzteres hat auch Leben in sich, aber nur schlummernd, unentfaltet. Wenn es nicht ausgesät wird und den Todesprozess durchmacht, bleibt es allein und geht schließlich zugrunde. Aber durch das Sterben kommt es zur Erfül­lung seiner Bestimmung, viel Frucht zu tragen. Derselbe Grund­satz gilt auch für den Menschen. Durch den Tod gelangt er zum Lebendiggemachtwerden.

Dies ist des Paulus Antwort auf die erste Frage, die aus dem Zweifel an der Möglichkeit der Totenauferstehung stammt: „Wie werden die Toten auferweckt?“ Die Totenauferweckung ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig als Naturgesetz. Dies nicht er­kennen wollen oder können, ist Unverstand. Die ganze Schöpfung predigt die Tatsache der Auferstehung. Hier haben wir ein Muster­beispiel echt biblischer Apologetik.

Meisterhaft ist auch im Folgenden die Antwort auf die zweite Frage: „Mit welcherlei Leib aber kommen sie?“ Den Spiritualisten war der Gedanke besonders abstoßend, dass dieser sterbliche Leib wieder erstehen soll.

„Und was du säst – nicht den Leib, der werden soll, säst du, sondern ein nacktes Korn, etwa (wenn es sich trifft) von Weizen oder der übrigen eines. Gott aber gibt ihm einen Leib, so wie er will, und einem jeglichen der Samen einen eigenen Leib.“ (15,37–38)

Das nackte Korn erhält erst seinen ihm eigentümlichen Pflan­zenleib durch den Tod und die Lebendigmachung. Dieses Lebens­wunder sehen wir andauernd ringsumher, und wie wenig wird es wirklich verstanden. Der vollständige Pflanzenleib besteht aus der Wurzel, die entstanden ist aus dem alten ausgesäten Korn durch Hervortreiben des Keimes, dem ausgewachsenen Halm und der vollen, reifen Ähre mit vielen Körnern. So ist auch das Verhältnis des irdischen Leibes zu dem, der werden soll. Der irdische Leib enthält bereits die volle Entfaltung im Keim, aber dieser kann nicht lebendig gemacht werden, es sei denn, dass der alte Leib stirbt. Erst der vollständige Pflanzenleib zeigt die ganze Eigentümlichkeit der Pflanze und die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Pflanzen, während die nackten Saatkörner der verschiedenen Arten einan­der sehr ähnlich sehen.

Paulus schreibt die Verschiedenheit der Pflanzenleiber nicht einem starren Naturgesetz zu, sondern dem Willen Gottes. Noch keine Wissenschaft hat dieses Geheimnis enträtseln können, wie sich die verschiedenen Arten aus so ganz ähnlichen Samenkörnern entwi­ckeln nach Form, Farbe und Frucht. Dieser göttliche Wille ist nicht Willkür, sondern höchste Gesetzmäßigkeit, so dass in der Natur alles sich nach seiner besonderen Art (1. Mo. 1,11) gestaltet. Die Natur ist nicht selbstständig, sondern ein Ausdruck des göttlichen Willens. Die Artverschiedenheit und Schönheit ist Ausdruck gött­licher Weisheit und Liebe. Gott gibt der Pflanze ihren bestimmten eigenen Leib nach seinem Willen, den er damit zur Ausführung bringt, und zwar entsprechend der verschiedenen Art des Samens, es sei nun Weizen oder der übrigen eines. Unser Auferstehungsleib wird also in einem gewissen Verhältnis zu dem stehen, was wir im Leibesleben gewesen sind.

Nach dem von Paulus gewählten Gleichnis vom nackten Korn und dem entwickelten Pflanzenleib gibt es keinen totalen Tod, son­dern aus dem sterbenden Samenkorn wird der schlummernde Keim frei zu einer neuen Lebensform. Diesem Keim entspricht beim Menschen die Persönlichkeit, die Seele, das Person–Ich. Was da stirbt und der Verwesung Raub wird, ist der Leib. Der Geist, das bewegende Prinzip, verlässt beim Sterben den Leib, aber nicht, um die Seele, die Persönlichkeit, nunmehr in ein Nichts aufzulösen, so dass Gott bei der Auferweckung des Leibes ganz neue Seelen oder Persönlichkeiten schaffen müsste, sondern die Seele existiert nach dem Leibestode bis zur Leibesauferstehung entweder in ei­nem Zustand der Nacktheit oder der Überkleidung (2. Kor. 5,2–4). Über diesen Zwischenzustand spricht Paulus an unserer Stelle nicht weiter, sondern nur über den Auferstehungsleib, welchen Gott gibt je nach der Eigenart der betreffenden Persönlichkeit.

„Nicht alles Fleisch ist dasselbe Fleisch, sondern ein anderes zwar der Menschen, ein anderes Fleisch aber der Haustiere, ein anderes Fleisch aber der Vögel, ein anderes aber der Fische.“ (15,39)

In den folgenden Versen beschreibt Paulus die Mannigfaltigkeit der Organismen, denen die Mannigfaltigkeit der Auferstehungsleiber entspricht. Er unterscheidet dabei verschiedene Arten von Fleisch, verschiedene Arten von Leibern und verschiedene Arten von Herr­lichkeiten.

Zunächst spricht er von den verschiedenen Arten des Fleisches. Bei Menschen, Haustieren, Vögeln und Fischen ist die gemeinsa­me Naturbasis das Fleisch (sarx), der Teil, welcher verwest und an der Auferstehung keinen Anteil hat. In dieser Beziehung steht das Fleisch der Menschen in derselben Reihe wie das Fleisch der an­deren beseelten Lebewesen wohl obenan, aber doch auf derselben Stufe der Vergänglichkeit. Die Schrift lehrt nirgends die Auferste­hung des Fleisches, sondern die Auferstehung des Leibes.

Durch die Vierzahl soll die Allseitigkeit der Fleischeswesen zum Ausdruck gebracht werden. Vier ist die symbolische Zahl der Welt. Wie die jetzige Gestalt der Welt vergeht, so auch das mit derselben verbundene Fleischeswesen. Der Mannigfaltigkeit des vergängli­chen Fleisches steht gegenüber die Mannigfaltigkeit von Leibern, die eine ewige, bleibende Bestimmung haben. Gott, der so verschie­dene Fleischleiber schaffen kann, ist auch imstande, die verschie­densten Auferstehungsleiber zu geben.

„Und himmlische Leiber und irdische Leiber, jedoch eine andersartige Herrlichkeit zwar der himmlischen, eine andersartige aber der irdischen. Eine andere Herrlichkeit der Sonne, und eine andere Herrlich­keit des Mondes, und eine andere Herrlichkeit der Sterne: Denn Stern übertrifft Stern an Herrlichkeit.“ (15,40–41)

Bei den Leibern, die Ewigkeitsbestand haben, unterscheidet Paulus himmlische und irdische.

Die Himmlischen (epurania) sind die der Engelwelt, die, wie die Gemeinde jetzt, ihren Platz hat in den Himmlischen (Eph. 2,6; 3,10; 6,12).

Die Irdischen sind die der Menschenwelt. Die Leiber der Engel werden in Lk. 20,35–36 verglichen mit den Auferstehungsleibern der Menschen. Aber hier wird nicht ihre Ähnlichkeit, sondern ih­re Verschiedenheit betont. Das Gleichartige liegt in dem Ausdruck „Leiber“ gegenüber dem in Vers 39 betonten Ausdruck „Fleisch“.

Im Zusammenhang mit dem im vorhergehenden Gleichnis an­geführten Pflanzenleib bezeichnet Leib das Ziel der schöpferischen Lebensentfaltung, ein zur Einheit des Wesens verbundenes organi­sches Ganzes, also das Bleibende. Der Mensch bleibt ein leibliches Wesen auch in der Auferstehung.

Diese Leiber haben alle ihre eigene Herrlichkeit, die sich unter­scheidet von der Herrlichkeit anderer. Herrlichkeit ist eine Eigen­schaft, die auch körperlosen Gebilden, wie Sonne, Mond und Ster­nen anhaften kann. Paulus gebraucht diesen dritten Vergleich, um auf die Herrlichkeit des Auferstehungsleibes überzuleiten und zu zeigen, welch eine Mannigfaltigkeit in den Graden der Herrlich­keit stattfindet. Die Betonung der Gradunterschiede hat nur dann einen Sinn, wenn dadurch die Unterschiedlichkeit in der Herrlich­keit des Auferstehungsleibes angedeutet werden soll. Bei allem aber bleibt bestehen die Gleichgestaltung dem Leibe seiner Herr­lichkeit (Phil. 3,21).

„Also auch die Auferstehung der Toten.“ (15,42)

Das „also“ bezieht sich auf den ganzen vorhergehenden Ab­schnitt von Vers 35 an und fasst alles zusammen zur Schlussfolge­rung:

„Gesät wird in Vergänglichkeit, erweckt wird in Unvergänglichkeit; gesät wird in Unehre, erweckt wird in Herrlichkeit; gesät wird in Schwachheit, erweckt wird in Kraft; gesät wird ein seelischer Leib, erweckt wird ein geistlicher Leib.“ (15,42–44)

Paulus kehrt zum Bilde vom Pflanzenleib zurück, wenn er von Säen und Erwecken spricht. Es fragt sich nun, was Paulus mit dem Säen meint, das Begraben des gestorbenen Leibes oder die gan­ze Entwicklung des Leibeslebens auf dieser Erde. Das Letztere ist dem Zusammenhang nach vorzuziehen. Paulus bringt diese vier kurzen Sätze auch ohne Subjekt. Er sagt nicht, dass der tote Leib gesät wird, sondern einfach: „gesät wird“. Ein toter Leib kann auch nicht als seelischer, sondern nur als entseelter Leib bezeichnet wer­den.

Das ganze Leben hier ist Aussaatzeit für die Auferstehung. Das Säen ist das Dahingehen des Leibeslebens in den Tod. Der Art des Säens entspricht dann die Art des Erweckens, was Paulus in Vers 38 nennt: „Gott aber gibt ihm einen Leib, so wie er will, und einem jeglichen der Samen einen eigenen Leib“. Das „in“ bei „säen“ drückt den Zustand oder die wesentliche Eigentümlich­keit des Leibeslebens diesseits und jenseits des Todes aus. Vier Paar Gegensätze führt Paulus hier an:

  1. Vergänglichkeit (phthora) gegenüber Unvergänglichkeit (aphtharsia),

  2. Unehre (atimia) gegenüber Herrlichkeit (doxa),

  3. Schwachheit (astheneia) gegenüber Kraft (dynamis),

  4. seelischer Leib (soma psychikon) gegenüber geistlicher Leib (soma pneumatikon).

Was also in diesem Leben, das der Gläubige führt – denn nur von solchen ist hier die Rede – in den Tod gegeben werden soll, ist alles, was der Vergänglichkeit, der Unehre, der Schwachheit und dem Seelischen angehört. Das ist positive Sämannsarbeit, der die Ernte in der Auferstehung entspricht: Unvergänglichkeit, Herrlich­keit, Kraft, Geistleiblichkeit.

  1. Wer hier das Vergängliche in den Tod gegeben, erhält in der Auferstehung den unvergänglichen Leib.

  2. Wer hier das, was Unehre bereitet im Leibesleben, in den Tod gegeben, erhält den Leib der Herrlichkeit.

  3. Wer hier das, was schwach ist im Leibesleben, in den Tod gegeben, erhält den Auferstehungsleib der Kraftfülle.

  4. Und wer das Seelische hier in den Tod gegeben, erhält den vollendeten Geistleib.

So entspricht die Ernte genau der Aussaat. Nun heißt es aber nicht, dass Vergänglichkeit, Unehre, Schwachheit gesät wird, son­dern „in“ Vergänglichkeit, Unehre und Schwachheit; denn das Ver­gängliche erbt nicht das Unvergängliche. Das in den Tod Geben des seelischen Leibeslebens ist verbunden mit Vergänglichkeit, Un­ehre und Schwachheit.

Das Wesen des seelischen Leibes ist das Verbundensein mit Ver­gänglichkeit, Unehre und Schwachheit, was dadurch aufhört, dass es in den Tod überliefert wird. Das Wesen des geistlichen Leibes ist ein Organismus in Unvergänglichkeit, Herrlichkeit und Kraft.

„Gibt es einen seelischen Leib, so gibt es auch einen geistlichen.“ (15,44)

Dieser Satz kann erst in Verbindung mit den folgenden Aus­führungen recht verstanden werden. Der Nachdruck liegt auf dem Ausdruck „Leib“. Hat das jetzige Seelenleben seinen entsprechen­den Organismus in einem seelischen Leib, so wird auch das vom Seelischen befreite Geistesleben seinen entsprechenden Organis­mus in einem geistlichen Leib haben. Diese Tatsache führt Paulus im Folgenden weiter aus.

„Also ist auch geschrieben: Es wurde der erste Mensch, Adam, zu einer lebendigen Seele, der letzte Adam zu einem lebendigmachenden Geist.“ (15,45)

Es handelt sich also um zwei verschiedene Werdegeschichten. Die erste ist die Werdegeschichte des Menschen zu einer lebendigen Seele, die andere ist die Werdegeschichte des letzten Adam zu einem lebendigmachenden Geist. Die erste kennen wir aus dem biblischen Bericht. Darum führt Paulus dafür die Schriftstelle an (1. Mo. 2,7) und fügt hinzu „erster“ und „Adam“, um ganz ge­nau zu orientieren und anzudeuten, dass durch das erste Werden des Menschen zu einer lebendigen Seele nur erst ein Anfang ge­setzt worden ist und dass die Linie Adams erst in Christus als dem Menschensohn seine Vollendung gefunden hat. Der totale Triumph des Geistes über das Seelische findet in Christus als dem lebendigma­chenden Geist sein Ziel.

Zu beachten ist, dass es nicht heißt: „es wurde der Mensch eine lebendige Seele“, sondern „zu einer lebendigen Seele“. Durch die­ses kleine Wörtchen „zu“ oder „hinein in“ (eis) wird ausgedrückt, dass ein Werden, eine Entwicklung, ein Fortschreiten bezweckt ist. Aus dem genauen Wortlaut der Schrift zieht Paulus die logischen Folgerungen. Das ist keine rabbinische Buchstabenspielerei, son­dern geistliche Erfassung des geistlebendigen Offenbarungswor­tes.

Die durch den Sündenfall Adams eingetretene Störung hat den Zweck der schöpfungsmäßigen Werdegeschichte Adams keines­wegs aufgehoben, sondern in Christus ist derselbe völlig erreicht worden. Deshalb wird er hier der letzte Adam genannt. In ihm hat die Linie Adams ihr Ziel und ihren Abschluss gefunden. Was der erste Adam nicht erreicht hat, das hat der letzte Adam verwirk­licht. Der erste Adam ist im Seelischen steckengeblieben, der letzte Adam wurde zu einem lebendigmachenden Geist.

Das Ziel der Heilsgeschichte ist die Überwindung aller Todes­mächte (Vers 55) durch den lebendigmachenden Geist, der durch den Menschen wirksam ist. Christus ist dazu geworden, und die Verwandlung der Gemeinde (Vers 52) wird die endgeschichtliche Konsequenz sein. Der Triumph des Geistes besteht nicht nur dar­in, dass bei Christus das Seelenleben ganz durchdrungen war vom göttlichen Geistesleben, sondern vor allem darin, dass er fähig ge­macht wurde, göttliches Leben weiterhin zu erzeugen. Christus ist zum lebendigmachenden Geist geworden durch Vollendung sei­nes Menschseins in seiner Auferstehung in verklärter Leiblichkeit. Bis dahin war er in Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde (Röm. 8,3). Der Geist des Lebens in Christus Jesus ist nun für uns wirksam, nachdem alle Gewalt der Sünde und des Todes durch ihn besiegt und überwunden worden ist. Dies konnte nur geschehen, wenn der Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde diesen Sieg errang. Er wurde dadurch der Durchbrecher der Sünden– und To­desmacht und zum göttlichen Organ der Lebendigmachung. So werden auch unsere sterblichen Leiber lebendig gemacht durch seinen innewohnenden Geist, der in uns ist (Röm. 8,11).

So haben wir in diesem Satz (Vers 45) keinen absoluten Gegen­satz, sondern eine gerade Lebenslinie von der Schöpfung in Adam bis zur neuen Schöpfung in Christus, von dem Werden zur leben­digen Seele bis zum Werden zum lebendigmachenden Geist und schließlich zum Endsieg des Lebens über den Tod. Der göttliche Lebensgeist, der den Erdenkloß zu einer lebendigen Seele gemacht, erringt die absolute Herrschaft über den Menschen.

„Aber nicht zuerst der geistliche (Leib), sondern der seelische, danach der geistliche.“ (15,46)

Dies ist die bestimmte Reihenfolge in dieser Lebenslinie. Warum diese Reihenfolge nach einem göttlichen Gesetz so ist, das führt Paulus im Folgenden näher aus. Er tritt damit der Anschau­ung der Spiritualisten entgegen, welche die Leiblichkeit gering schätzen.

„Der erste Mensch aus Erde, irden, der zweite Mensch aus Himmel.“ (15,47)

Christus ist als letzter Adam der Vollender der bestimmten Adamslinie, aber als zweiter Mensch ist er der Anfänger einer neu­en Menschheitslinie. Die beiden verschiedenen Linien werden durch ihr entsprechendes Haupt bestimmt in ihrem unterschiedlichen Charakter. Die erste hat irdenen, die letzte himmlischen Charakter. Durch sein Leibesleben ist der Mensch als Adamskind an die Erde gebunden. Der andere Mensch, dessen ganzer Charakter himm­lisch ist, weil er aus Himmel stammt, ist nicht Jesus in seiner Nied­rigkeit, sondern der Christus in seiner Herrlichkeitsgegenwart, das Haupt der neuen Schöpfung. Weil der erste Mensch irden ist, aus Erdenstoff, muss sein Leib wieder zu Erde und in seine Bestand­teile aufgelöst werden. Der zweite Mensch dagegen ist nicht aus Erdenstaub, sondern aus Himmel gebildet. Dementsprechend ist auch seine Leiblichkeit.

„Welcherlei Art der Irdene, solche sind auch die Irdenen, und welcherlei Art der Himmlische, solche auch die Himmlischen. Und wie wir das Bild des Irdenen tragen, so sollten wir auch das Bild des Himmlischen tragen.“ (15,48–49)

Dem Charakter der betreffenden Menschheitslinie entspricht auch die Leiblichkeit oder das Bild. Ein Bild ist der sichtbare Aus­druck eines unsichtbaren Wesens. Christus ist das Bild des unsicht­baren Gottes. Und wir sollen gleichgestaltet werden dem Bild sei­nes Sohnes (Röm. 8,29), indem wir umgestaltet werden in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (2. Kor. 3,18). Obgleich der Mann Gottes Bild und Herrlichkeit ist (1. Kor. 11,7; 1. Mo. 1,26–27), so tragen wir doch tatsächlich alle, sofern wir noch Irdene sind, das Bild des Irdenen. Dies ist mehr als bloße Figur. Es ist alles, was mit dem irdenen Leibesleben zusammenhängt, und was der Apostel in Vers 50 mit „Fleisch und Blut“ bezeichnet.

Nun folgert Paulus aus der Tatsache, dass wir alle das Bild Adams, des Irdenen, tragen, dass wir auch das Bild des Himmlischen tragen sollten. Es ist nicht nur eine Verheißung: „Wir werden tragen“, sondern eine Verpflichtung: „Wir sollten tragen“. Betont ist der Begriff Bild, wie es dem ganzen Zusammenhang entspricht, in welchem von der Leiblichkeit die Rede ist. Wie wir das Leibesle­ben Adams tragen, den seelischen Leib, so sollten wir nicht nur gern wollen, das Bild Christi, den verklärten Geistleib zu tragen, sondern es auch als unseren Beruf betrachten, in diese Geistleib-lichkeit umgestaltet zu werden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, gleichsam wie vom Herrn, dem Geist. Auf diesen Beruf weist Pau­lus auch in Vers 58 noch hin, wenn er vom Zunehmen im Werk des Herrn spricht.

Paulus kommt nun zum Abschluss seiner Ausführungen über Totenauferstehung und bringt zusammenfassend das Resultat, indem er gleichzeitig die Bedenken der Auferstehungsleugner rest­los beseitigt.

„Dies aber behaupte ich, Brüder, dass Fleisch und Blut Gottes Königreich zu ererben nicht vermögen, noch erbt das Vergängliche die Unvergänglichkeit.“ (15,50)

Durch diesen negativen Satz erledigt er den Anstoß der Spiritualisten, die sich gegen die Vorstellung einer Totenauferstehung in demselben Leib wehrten. Darin hatten sie allerdings Recht; denn Fleisch und Blut sind nicht imstande, das Königreich Gottes zu er­erben. Aber darin irrten sie, dass sie den Glauben an eine leibliche Totenauferstehung überhaupt ablehnten.

Fleisch und Blut (Hebr. 2,14) ist dasselbe wie seelischer Leib, die materielle Naturbasis des Menschen. Der Doppelbegriff dient zur Verstärkung und soll den einfachen Begriff Fleisch in seiner Be­seeltheit betonen. Fleisch im engeren Sinn ist die irdene Substanz des Leibes, und Blut ist das seelische Element in ihm. Dieser seeli­sche Leib ist nicht imstande, das Königreich Gottes zu ererben.

Das Königreich Gottes ist sowohl Gebiet als auch Begriff des Le­bensstandes, in welchem Gottes Wesen und Wille allein herrscht. Königreich Gottes umfasst alles Unvergängliche, Ewige. Alles, was dem Seelischen angehört, ist der Vergänglichkeit, dem Verderben unterworfen.

Der Ausdruck „ererben“ bedeutet soviel wie das dem Lebens­stand entsprechende Losteil empfangen. Eine geradlinige Fortset­zung dieses Lebensstandes im seelischen Leib in das Königreich Gottes hinein ist unmöglich. Da bedarf es einer radikalen Umwand­lung. Von dieser spricht Paulus im Folgenden.

Durch die Anrede „Brüder“ deutet Paulus an, dass es sich bei dieser Belehrung um die Wahrung und Förderung der Gemein­schaft handelt. Zu beachten ist, dass es hier nicht heißt: „wird nicht ererben“, sondern: „erbt nicht“. Das Erben ist also nicht rein zu­künftig, sondern ein gegenwärtiges Geschehen, eine Entwicklung, die dem Säen (Vers 36) entspricht. In dem Maße, wie gesät, d.h. das Seelische in den Tod gegeben wird, wird auch das Königreich Got­tes ererbt, d.h. tatsächlich in Besitz genommen. Gott setzt uns in Christus Jesus zusammen in den Himmlischen (Eph. 2,6), und un­ser Bürgertum hat bereits seine Existenz in Himmeln (Phil. 3,20). Dass eine radikale Umwandlung stattfinden muss auch in der Leiblichkeit, um für das Unvergängliche passend gemacht zu wer­den, leuchtet ohne weiteres ein. Aber das Wie der Umwandlung ist ein göttliches Geheimnis.

„Siehe, ein Geheimnis sage ich euch. Alle werden wir nicht entschlafen, alle werden wir aber verwandelt werden.“ (15,51)

Das „siehe“ ist nicht nur eine Aufforderung zum Achtgeben, sondern auch eine Anregung zum inneren Sehen, handelt es sich doch um etwas, was über alle menschlichen Gedanken weit hin­ausgeht. Paulus nennt es in 1. Thess. 4,15 etwas in einem Wort des Herrn Geoffenbartes.

Eine Textschwierigkeit besteht darin, dass nicht „alle“ verneint wird und es nicht heißt: „Nicht alle werden wir entschlafen“, son­dern „entschlafen“ wird verneint. Wir lesen richtig: „Alle werden wir nicht entschlafen“. Paulus kann damit nicht die Gesamtheit aller Gemeindeglieder meinen; denn er spricht vorher doch schon von in Christus Entschlafenen (Verse 18.20), sondern gemeint ist die Gesamtheit derjenigen, die die Wiederkunft des Herrn erleben werden.

Dass Paulus sich selbst mit dazurechnet (1. Thess. 4,15) und al­le, die er hier anredet, dürfen wir ihm nicht als Irrtum vorwerfen. Nach Phil. 1,23 hat Paulus offenbar in Bezug auf seine persönliche Erwartung eine Wandlung durchgemacht. Die Wahrheit des Wor­tes, dass alle die Wiederkunft Christi erlebenden wahren Gläubi­gen nicht entschlafen, sondern verwandelt werden, bleibt unange­tastet bestehen. Die Wahrheit, die Paulus hier als ein Geheimnis verkündigt, ist die, dass die Erwartung der Gemeinde noch weit über die einfache Auferstehungshoffnung hinausgeht, nämlich die Verwandlung der Lebenden bei Christi Wiederkunft. Dadurch wird der Sieg des Lebens über den Tod noch überströmender als durch Totenerweckung.

Paulus geht auch auf dieser Linie bis zur äußersten Konse­quenz. Von der Verwandlung hatte er in 1. Thess. 4,15–17 noch nicht gesprochen. Welche Bedeutung er gerade dieser Tatsache bei­misst, geht aus der Ausführlichkeit hervor, mit welcher er bei die­sem Punkt verweilt.

„Vermittels eines Nu (Atoms), vermittels eines Augenblicks, vermittels der letzten Posaune. Denn er wird posaunen, und die Toten werden auferweckt werden unvergänglich, und wir werden verwandelt werden. Denn dieses Vergängliche muss anziehen Unvergänglichkeit, und dieses Sterbliche muss anziehen Unsterblichkeit.“ (15,52–53)

Es ist fraglich, ob die drei Ausdrücke: in einem Nu (Atom), in einem Augenblick, bei der letzten Posaune“ reine Zeitbegriffe sein sollen. Vergleichen wir diese Stelle mit 1. Thess. 4,16 (denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldherrnruf, mit der Stim­me eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederstei­gen vom Himmel“), so liegt die Annahme nahe, dass auch an un­serer Stelle das griechische en“ nicht mit „in“ zu übersetzen ist, sondern besser mit vermittels“. Es soll das Medium des Kommens Christi dadurch ausgedrückt werden. Die umwandelnde Kraftwir­kung geht von ihm aus vermittels eines Atoms und vermittels ei­nes Blickes mit seinen Augen und vermittels der letzten Posaune. Wie die Mauern Jerichos durch das letzte oder siebente Trompe­ten zum Einsturz gebracht wurden, so wird auch der große Kampf des Lebens gegen die Todesmächte zu einem siegreichen Abschluss ge­bracht durch die Auferstehung und Verwandlung. Wenn der Herr den Gesetzlosen umbringen wird durch den Hauch seines Mun­des, und ihn zunichte machen wird durch die Erscheinung seiner Herrlichkeitsgegenwart (2. Thess. 2,8), so wird er die Seinen zum vollen Lebenssieg führen vermittels eines Atoms und vermittels eines Blickes seines Auges und vermittels der letzten Posaune.

Der Ausdruck „Atom“, der nur an dieser Stelle vorkommt, bedeutet soviel wie das Unteilbare. Schwerlich denkt Paulus an die moderne Entdeckung der Atomenergie, aber es ist doch beachtens­wert, wie durch diese Entdeckung uns der Blick geöffnet worden ist in das Unerklärliche, wie durch das kleinste Unteilbare, was wir Atom nennen, durch Lösung aller Fesseln eine unvorstellbare Kraft entfaltet wird. Die Wissenschaft wird stets vor einem letzten Ge­heimnis respektvoll stehen bleiben müssen. Was wir aber ahnen dürfen, das wird einmal erstaunliche Wirklichkeit werden beim Kommen Christi, die Entfesselung der gebundenen Lebenskräfte. Die letzte, restlose Enthüllung des Atomgeheimnisses wird die Wissen­schaft von sich aus niemals gewinnen, sondern sie wird stattfinden bei der Verwandlung der Lebenden in der Wiederkunft Christi.

Und was der Blick seines Auges vermag, davon berichtet die Apokalypse in ergreifenden Bildern. Ein Blick seines Auges bannt alle Todesmächte und erweckt seliges Leben.

Die letzte Posaune in einer Reihe vorhergehender Posaunen gibt das Signal für die siegreiche Entscheidung im heiligen Krieg des Herrn. Sie ist nicht zu verwechseln mit der siebten Gerichtspo­saune in der Apokalypse. „Denn er wird posaunen“. Zur Samm­lung Israels wird der Herr seine Engel senden mit helltönenden Posaunen (Mt. 24,31), aber zur Verwandlung der lebenden Gläubi­gen wird der Herr selber posaunen.

Und die Toten werden auferweckt unvergänglich, und wir werden verwandelt werden“. Beide Ereignisse finden gleichzei­tig statt (1. Thess. 4,16–17) und haben die gleiche Bedeutung. Die Auferweckung der Toten in Christus ist nicht dasselbe wie ihre Le-bendigmachung (Vers 23), sondern ihre Bekleidung mit dem Geist­leib der Unvergänglichkeit (Verse 42–44). Dass diese erst jetzt statt­findet zugleich mit der Verwandlung der Lebenden, muss zusam­menhängen mit dem erst dann stattfindenden Endsieg über alle Todesmächte. Dann ist es nicht mehr nötig, erst zu entschlafen, sondern die Verwandlung kann ohne weiteres erfolgen. Das be­gründet Paulus im Folgenden.

Denn dieses Vergängliche muss anziehen Unvergänglich­keit, und dieses Sterbliche muss anziehen Unsterblichkeit“. Da ein Erben des Königreiches Gottes durch dieses Vergängliche und Sterbliche unmöglich ist (Vers 50), muss auf einem anderen Wege das Ziel erreicht werden. Paulus nennt dies ein Anziehen. Dieser Ausdruck bezeichnet den Gewinn einer neuen Leiblichkeit, ein Be­kleidetwerden mit etwas, was vorher nicht da war.

Wenn Paulus hier nun von einem „Muss“ spricht, so meint er damit das heilsgeschichtliche Muss. Er lebt völlig in der Vorstellungs­welt der Propheten, die sich intensiv mit dem Problem des Lebens aus Toten beschäftigt haben. Um die Erkenntnis dieses Geheim­nisses ringt der Geist der Prophetie. Die gläubige Hoffnung der Propheten klammert sich an den Sieg der Gnade im Gericht, und so wird die Prophetie mit innerer Notwendigkeit auf die Bahn der Messianischen Weissagung getrieben. So erfolgt die Entwicklung des Heilsgedankens in der Prophetie mit der Konsequenz der Glau­benslogik, die auch vor den Pforten der Hölle und des Todes nicht haltmacht.

Auf dieser Linie schreitet nun Paulus weiter bis zu den äußers­ten Endpunkten, bis zur Verwandlung der Lebenden. Die Todes­überwindung ist schon nach den Propheten das Ziel der hüllen­losen Offenbarung Jehovas an die Völker (Jes. 25,8; 1. Kor. 15,26). Auch die Totenauferstehung mit verklärten Lichtleibern war schon die Hoffnung der alten Propheten. So heißt es in Jes. 26,19: „Erwa­chet und jubelt, ihr Staubbewohner; denn ein Tau des Lichtes ist dein Tau, und die Erde wird die, welche Schatten waren, ans Licht bringen“. Zu diesen Stellen gehört auch Hes. 37. Dass Pau­lus aber nicht diese anführt, sondern Jes. 25,8 und Hos. 13,14, hat seinen Grund wohl darin, dass er den heilsgeschichtlichen Lebens­sieg über den Tod betonen will, das heilsgeschichtliche Muss auf dieser Linie.

Dieses Vergängliche muss anziehen Unvergänglichkeit, und dieses Sterbliche muss anziehen Unsterblichkeit“. Beides ist nicht dasselbe. Dieses Vergängliche ist das, was die Verwesung sieht, also auch den Tod schmecken muss, und dieses Sterbliche ist der Leib, der zwar den Todeskeim in sich trägt, aber nicht mehr zu sterben braucht. Unvergänglichkeit anziehen wäre demnach Aus­druck für die Auferstehung aus Toten und Unsterblichkeit anzie­hen Ausdruck für Verwandlung der Lebenden. Das Letztere wäre also noch eine Steigerung, der vollendete Lebenssieg über den Tod.

Wie Paulus diesen Lebenssieg auffasst, zeigt er in der Art und Weise seines Zitierens der beiden Prophetenstellen Jes. 25,8 und Hos. 13,14:

„Wenn aber dieses Vergängliche tatsächlich anzieht (Aorist) Unvergänglichkeit und dieses Sterbliche tatsächlich anzieht Unsterblichkeit, dann wird werden das Wort, das geschrieben: Verschlungen wurde der Tod in Sieg hinein. Wo ist, o Tod, dein Sieg? Wo ist, o Tod, dein Stachel?“ (15,54–55)

Auffallend ist der Ausdruck „dann wird werden das Wort“. Es heißt nicht „erfüllen“, sondern „werden“. Das Werden des Wor­tes setzt eine Entwicklung voraus. Auch das prophetische Wort hat seine Entwicklung bis zur Vollerfüllung. Es ist ein Werden und Ge­schehen, ein Wachsen bis zum Ausreifen.

Die Stelle Jes. 25,8, „Er wird verschlingen den Tod für immer“, gibt Paulus frei wieder: „Verschlungen wurde der Tod in Sieg hinein“. Was bei Jesaja noch als zukünftig hingestellt wird, stellt Paulus als etwas dar, was in der Zukunft schon vollendet sein wird. Dann wird das Wort geworden sein. Und für „für immer“ setzt Paulus „in Sieg hinein“. Das kann er tun, weil er die heils­geschichtliche Linie des Lebenssieges über den Tod zeichnen will. Diese Linie geht ja noch weiter bis zur Vernichtung des Todes im Feuersee (Offb. 20,14), aber der Sieg wird bereits erreicht durch die Verwandlung der Lebenden. Es ist ein Übergeschlucktwerden des Todes in Sieg hinein. Mit dem Sieg des Todes ist es dann vorbei, weil die Toten nicht im Tode geblieben sind, und mit dem Stachel ist es vorbei, weil die Lebenden nicht mehr von ihm verwundet werden können, sondern lebend verwandelt werden.

Für diese Schlussfolgerung bezieht Paulus sich auf die Stelle Hos. 13,14: Aus der Hölle Macht werde ich sie erlösen, vom To­de sie befreien. Wo sind deine Seuchen, o Tod? Wo ist dein Ver­derben, o Hölle?“ Paulus setzt für Seuchen des Todes“ „Stachel des Todes“ und für Verderben der Hölle“ „Sieg des Todes“. Pau­lus dreht die Reihenfolge um, weil er vom Stachel des Todes noch mehr sagen will.

„Der Stachel aber des Todes ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.“ (15,56)

Der Stachel des Todes ist die Waffe, die der Tod gebraucht, näm­lich die Sünde, die den Menschen tötet. Nach Röm. 7,11 tötet die Sünde durch das Gebot. Hier sagt Paulus, dass das Gesetz die Kraft der Sünde sei. Er wählt dieses Bild, weil er von dem großen Kampf des Lebens gegen die Macht des Todes spricht.

Es ist der Beruf der Gemeinde, den Tod als den großen Gegner zu besiegen. Zu diesem Zweck muss dem Tod seine Waffe, der Sta­chel, zerbrochen werden. Der Kampf gilt also der Sünde. In dem Maß, wie die Sünde überwunden wird, wird auch die Macht des Todes überwunden. Es liegt also der Schluss nahe, dass die Gläu­bigen nicht zu sterben brauchten, wenn es wirklich gelingen sollte, die Sünde restlos zu beseitigen, den Stachel des Todes völlig zu zer­brechen. Der Gedanke ist deshalb nicht abzuweisen, dass die Ver­wandlung der überlebenden Gemeinde bei der Ankunft des Herrn zusammenfallen muss mit Erreichung dieses Zieles. Ein solches Ziel gibt dem Kampf erst den rechten Antrieb.

Aber weshalb fügt Paulus hier hinzu: „Die Kraft aber der Sün­de ist das Gesetz“? Den Stachel des Todes, die Sünde, kann nur derjenige wirklich besiegen, der die Kraft dieses Stachels, die töten­de Wirkung kennt. Die Sünde tötet durch das Gesetz. Paulus sagt hier nicht „Gebot“, wie in Röm. 7,11, sondern „Gesetz“. Dieses ist die Offenbarung des Willens Gottes im weitesten Sinne, also nicht nur das Mosaische Gesetz vom Sinai. Nur wer den heiligen Willen Gottes kennt, ist imstande, den Kampf gegen die Sünde recht zu führen.

Es liegt nun nicht in der Absicht des Apostels, hier eingehen­der von diesem Kampf zu sprechen, weder von der Rechtfertigung aufgrund von Glauben ohne Gesetzeswerke (Röm. 3,28) noch von der Heiligung durch den Geist des Lebens in Christus Jesus, der uns wirklich frei macht von dem Gesetz der Sünde und des Todes (Röm. 8,2), sondern von dem Sieg über die Macht des Todes als Be­ruf der Gemeinde in Verbindung mit der Totenauferstehung. Und wer da nicht die furchtbar tötende Kraft des Stachels des Todes kennt, der kann die Größe des Sieges nicht recht schätzen.

Deshalb fährt Paulus fort, gleichsam tief aufatmend, wenn er dabei an seine eigenen Erfahrungen denkt:

„Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus.“ (15,57)

Es gibt Sieg, Sieg auf der ganzen Linie. Mit diesem Jubelton beschließt Paulus seine Ausführungen über die Frage der Toten­auferstehung. Diese lebendige Hoffnung geht weit über das Maß der gewöhnlichen Erwartung hinaus, die sich an die einstige Auf­erstehung aus dem Tode anklammert.

Es gibt sogar gegenwärtigen, zunehmenden Sieg über die Todes­mächte. Es heißt auch nicht: „der uns den Sieg gegeben hat“, son­dern: „der uns den Sieg gibt“. Das Geheimnis dieses Sieges ist die Gemeinschaft des Sohnes Gottes, Jesu Christi, unseres Herrn, in die hinein wir berufen worden sind (Kapitel 1,9).

Durch unsern Herrn Jesus Christus“ erhalten wir dauernd und zunehmend Sieg (Joh. 11,25). Dieses Siegesleben in der Ge­meinschaft mit unserem Herrn Jesus Christus wird gekrönt durch die tatsächliche und endgültige Todesüberwindung, durch die Ver­wandlung der überlebenden Gemeinde bei der Ankunft des Herrn. Es ist das nicht unser Verdienst oder Werk, sondern das Werk des Herrn durch die Wirkung der Gnade.

Für völlige Siegesgewissheit dankt Paulus Gott (Röm. 7,25). Das Wort für Dank (charis) ist dasselbe wie für Gnade. Darin liegt ein feiner Wink, dass nur der, der Gnade kennt, wirklich danken kann. Der gemeinsame Sinn für Dank und Gnade ist Wohlgefallen, Geneigtheit.

„Darum, meine geliebten Brüder, werdet fest, unbewegt, überströmend in dem Werk des Herrn immer dar, wissend, dass eure Mühe nicht vergeblich ist in (dem) Herrn.“ (15,58)

Von der Höhe der Siegeszuversicht schaut Paulus auf die Ge­meinde und ihren Beruf hienieden und fasst in einer Schlusser­mahnung alles zusammen, was er mit diesem Brief ihr ans Herz legen wollte. Durch die Anrede „meine geliebten Brüder“ bringt er in Erinnerung, dass es sich bei dieser Ermahnung um die Aufer­bauung der Gemeinschaft handelt. Worin diese besteht, das zeigt er hier.

Werdet fest“, d.h. werdet sesshaft, nehmet einen festen Standpunkt ein, nachdem ihr den rechten Grund gefunden habt (Kol. 1,23). Auf diesem Grunde steht „fest“ und „unbewegt“, d. h. lasst euch durch nichts von dieser Stellung wegbewegen.

In dem Zusammenhang dieser Schlussermahnung handelt es sich um das Zunehmen im Werk des Herrn. Unter Werk des Herrn ist hier nicht etwa unsere Missionsarbeit gemeint, unser Wirken für die Sache des Herrn, sondern das Werk, welches der Herr für und an uns tut. Aus dem engeren Zusammenhang geht hervor, dass es sich um die Überwindung des Todes durch das uns in Christus geschenkte Leben handelt. Dieses Werk des Herrn nimmt seinen Fortgang bis zur Verwandlung der Gemeinde. Darin soll die Ge­meinde fest, unbewegt werden und überströmend.

Das Überströmen bezeichnet die ganze überreiche Fülle im Wachsen oder Zunehmen. Dass dieses auch von uns aus mit Mühe verbunden ist, beweist, dass das Werk des Herrn uns nicht passiv sein lässt, sondern unseren totalen Einsatz verlangt. Aber bei dem, was wir zu tun haben, verweilt der Apostel nicht länger, sondern schließt mit der tröstlichen Zusicherung, dass die Mühe nicht ver­geblich ist in dem Herrn. Dieses dürfen wir nicht nur hoffen, son­dern sollen wir wissen. Was uns den festen Halt gibt, beruht aber nicht in dem, was wir beim besten Willen und Eifer leisten, son­dern einzig in der Treue Gottes, durch welchen wir berufen wor­den sind in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesu Christi, unseres Herrn (Kapitel 1,9).

Mit Kapitel 15,58 könnte nun Paulus seinen Brief beschließen, aber er fügt noch einen kurzen Abschnitt an, der durchaus nicht als Anhängsel zu betrachten ist, sondern seine Ausführungen über den Beruf der Gemeinde erst zu einem Ganzen abrundet.