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Der Römerbrief

Unter Überwachung des Geistes Gottes ist durch die Sammlung und Zusammenstellung der dreizehn paulinischen Briefe ein gewisser Kanon geworden, der für die heilsgeschichtliche Entwicklung der Gemeinde grundlegend ist. In allen seinen Briefen hat Paulus sich bemüht, jede Einzelwahrheit vom Standort des Gesamtratschlusses Gottes aus darzustellen (vgl. Apg. 20,27). Der Römerbrief ist für die tiefere Erkenntnis der Heils- und Regierungswege Gottes mit der herausgerufenen Gemeinde und durch sie mit Israel und der Völkerwelt von fundamentaler Bedeutung.

Broschüre 434 Seiten, EUR 24,00
Bestellnummer: 1075

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Ausschnitte zum Probelesen

1 Einführung 9
1.1 Vorwort 9
1.2 Zurück zu den Urquellen des Wortes! 12
2 Der Brief des Paulus an die Römer 14
2.1 Die Einleitung 15
2.2 Der Schluss des Briefes 21
2.3 Die römische Gemeinde 26
2.4 Anknüpfung 27
2.5 Das Thema des Briefes 41
3 Die Hauptteile des Römerbriefes 43
3.1 Das Evangelium macht Heiden und Juden zu schuldigen Sündern 43
3.1.1 Die Entwicklungsgeschichte der allgemeinen Menschheitssünde 43
3.1.2 Die Geschichte der gesteigerten Sündenschuld 53
3.1.3 Der heilsgeschichtliche Erziehungszweck des Gesetzes 72
3.2 Auf dem Weg des Glaubens wird Juden und Heiden das Heil in Christo angeboten als Geschenk der bedingungs- und schrankenlosen Gnade 87
3.2.1 Das Offenbarwerden der Gerechtigkeit Gottes durch Glauben Jesu Christi 87
3.2.2 Die Rechtfertigung aufgrund des Glaubens Jesu Christi 93
3.2.3 Der Schriftbeweis für die Glaubensgerechtigkeit 98
3.2.4 Der volle Heilsbesitz als Frucht der Rechtfertigung 122
3.2.5 Das Heil als Geschenk der bedingungs- und schrankenlosen Gnade 135
3.3 Das Heil wird persönlich erfahren auf dem Todeswege zum Leben für alle, ob ohne Gesetz oder unter Gesetz 148
3.3.1 Der Gläubige ist mit Christo gestorben, um mit ihm in Neuheit des Lebens zu wandeln 148
3.3.2 Der Wandel in Neuheit des Lebens 156
3.3.3 Der Dienst in Neuheit des Geistes 167
3.3.4 Die Heilsmission des Gesetzes im persönlichen Leben 175
3.3.5 Übergang zur wahren Befreiung 190
3.3.6 Die Freiheit der Gotteskinder oder die Erziehung zur Sohnschaft 194
3.3.7 Die Offenbarung der Söhne Gottes in ihrer Bedeutung für die gesamte Schöpfung 210
3.3.8 Die positive Einstellung der unter Geistesleitung stehenden Söhne Gottes zu allem 222
3.3.9 Triumph auf der ganzen Linie, triumphierende Heilsfreude 226
3.4 Gottes Vorsatz und der heilsgeschichtliche Beruf Israels 232
3.4.1 Gottes Absolutheit und das heilsgeschichtliche Rätsel 233
3.4.2 Israels Verantwortlichkeit und Schuld, die andere Seite des heilsgeschichtlichen Rätsels Israels 260
3.4.3 Die Lösung des heilsgeschichtlichen Rätsels Israel 274
3.4.4 Das Geheimnis der Gerichtswege Gottes 297
3.5 Wie die durch das Evangelium Gottes erfahrene Erbarmung Gottes als Heiligungskraft wirkt, um die universale Gemeinde für ihren heilsgeschichtlichen Beruf tüchtig zu machen 306
3.5.1 Die Heiligung der Gemeinde für ihren universalen Beruf 307
3.5.2 Das christliche Gemeindeleben 316
3.5.3 Paulus als Amtsträger Christi Jesu in die Nationen hinein 375
3.6 Das Bild der römischen Gemeinde 390
Bibelstellenverzeichnis 411

Hinweis zum Gottesnamen "Jehova"

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1 Einführung

1.1 Vorwort

Es ist für das Verständnis der paulinischen Briefe von entscheidender Wichtigkeit, einmal die große heilsgeschichtliche Linie durch alle uns überlieferten Briefe des Apostels Paulus zu ziehen. Einzelne Bibelstellen werden oft erst dann recht klar, wenn der große Zusammenhang, in welchem sie vorkommen, richtig erfasst worden ist. Und weil die paulinischen Briefe nicht etwa eine lose Sammlung von Sprüchen oder Predigttexten sind, sondern große Linien göttlicher Heilswahrheiten darbieten, so ist es geradezu unerlässlich, nach diesen Linien gewissenhaft zu forschen. Die Mühe des Suchens und Grabens wird durch Entdeckerfreude überreich belohnt.

Wohl sind Paulus’ Briefe alle mehr oder weniger Gelegenheitsschriften, nicht von vornherein mit der Absicht geschrieben, ein großes, einheitlich und allseitig geordnetes theologisches Sammelwerk zu verfassen. Dennoch dürfen wir erkennen, dass unter Überwachung des Geistes Gottes durch die Sammlung und Zusammenstellung dieser Briefe tatsächlich ein abgerundetes Ganzes geschichtlich geworden ist. Dieses Werden ist nur heilsgeschichtlich zu verstehen. Nirgends finden wir eine Darstellung der Dogmatik oder Ethik nach theologischen Regeln, sondern stets nur eine wachstümliche Belehrung, wie es die gerade vorliegenden Umstände in der heilsgeschichtlichen Entwicklung der Gemeinde erforderlich machten. Diese Entwicklung ist offenbarungsmäßig im Apostolischen Zeitalter in ihren Grundzügen zu einem vorläufigen Abschluss gekommen, so dass Paulus sagen konnte, er habe den ganzen Ratschluss Gottes verkündigt (Apg. 20,27).

Er hat sich bemüht, in allen seinen Briefen jede Einzelwahrheit vom Standort des Gesamtratschlusses Gottes aus darzustellen. Er ist Schauer der göttlichen Regierungswege, der auch im Kleinsten das große Ganze zu erkennen vermag. Gerade weil seine Briefe gleichsam herausgeboren sind aus dem heilsgeschichtlichen Werden der Gemeinde und Paulus dieses Werden in seiner Person, seinem Dienst und seinem Kampf verkörpert, bieten uns seine Briefe ein umfassendes, allseitiges Bild des Gesamtratschlusses Gottes. Die Gemeinde ist das Zentralorgan der göttlichen Weltregierung und Weltvollendung. Irgendwie steht deshalb die Gemeinde in Beziehung zu allem heilsgeschichtlichen Geschehen im gesamten Universum.

Es entsteht nun die Frage, welchen Weg wir einzuschlagen haben, um die große Linie zu finden, die durch alle 13 Briefe des Apostels hindurchgeht. Wir gehen dabei den sichersten Weg, wenn wir den Spuren zu folgen suchen, die Paulus selber seinen Briefen aufgeprägt hat, indem er jedes Mal im Eingang eines Briefes nicht nur das große Thema desselben wie in einer Ouvertüre anklingen lässt, sondern auch durch die Eigenart seiner Adressierung und Selbstvorstellung den besonderen Charakter des betreffenden Schreibens herausstellt.

Der Absender des Briefes nennt sich nicht erst in der Unterschrift am Ende desselben, sondern präsentiert sich gleich im Eingang in einer Form, die zu dem besonderen Inhalt des Briefes in enger innerer Beziehung steht. Es fällt schon beim oberflächlichen Überblicken der 13 Briefe auf, dass Paulus bei jedem Brief sich selbst in einer einmaligen Form vorstellt. Wir finden in keinen zwei Briefen dieselbe Form. Das tut er nicht aus Vorliebe für Abwechslung im Briefstil, sondern aus einem tieferen Grund, um von vornherein dem Leser oder Hörer die richtige Einstellung zum Inhalt des Briefes zu erleichtern. Das kann Paulus aber nur deshalb ohne Überheblichkeit tun, weil er in seiner eigenen Person das heilsgeschichtliche Werden der Gemeinde plastisch veranschaulicht.

Auch in der Eigenart der Charakterisierung der Briefempfänger entdecken wir leicht die innere Beziehung zum Briefinhalt. Gerade diese Einleitungen der paulinischen Briefe werden vielfach beim Bibelstudium arg vernachlässigt, weil sie so wenig Stoff zur Erbauung darzureichen scheinen. Diese Vernachlässigung ist mit schuld daran, dass man so sehr in Einzelheiten hängen bleibt und so wenig Überblick über die großen Linien gewinnt. Letzterer aber ist nicht nur notwendig zur Vervollständigung unserer biblischen Erkenntnis, sondern auch zum gesunden Wachstum des Glaubenslebens, um bewahrt zu bleiben vor Einseitigkeiten und gefährlichen Entgleisungen. Mit der Einleitung korrespondiert auch der Schluss eines jeden Briefes. Einleitung und Schluss bilden die Umrahmung und lassen die Struktur des Briefes hervortreten.

Zu einem gesegneten Studium dieses für das Werden der Gemeinde Gottes und das gesunde Wachstum des persönlichen Glaubenslebens geradezu grundlegenden Briefes seien noch einige Winke gegeben. Es lohnt sich, die angeführten Bibelstellen nachzuschlagen, möglichst in einer Übersetzung, die dem Grundtext gerecht wird. Für die einzelnen Begriffe sind alle dafür in Frage kommenden Bibelstellen gewissenhaft zusammengestellt worden, so dass dem gläubig Forschenden die Möglichkeit gegeben wird, ein klares und vollständiges Begriffsbild vom Grundtext her zu gewinnen. Von hier aus findet er dann einen Weg zur praktischen, logisch geordneten Erfassung des Wortes zu seiner persönlichen Auferbauung und auch zur Darbietung im Vortrag oder in einer Bibelstunde.

Ganz besonders sei die gemeinsame Besprechung in Hausbibelkreisen empfohlen. Bei einem so wohldisziplinierten Schriftstudium werden wir die beglückende Entdeckung machen, dass gerade der Römerbrief für die tiefere Erkenntnis der Heils- und Regierungswege Gottes mit der herausgerufenen Gemeinde und durch sie mit Israel und der Völkerwelt, ja mit dem ganzen Universum von fundamentaler Bedeutung ist. Solches Studium sollte stets mit Gebet um Weisheits- und Offenbarungsgeist in seiner Erkenntnis und erleuchtete Augen des Herzens verbunden sein, damit kein bloßes Kopfwissen, keine bloß verstandesmäßige Erkenntnis gewonnen wird, die nur aufbläht, sondern ein inneres, lebensmäßiges Erfassen der göttlichen Wahrheit. Das Wort muss für uns lebendig werden und uns persönlich unmittelbar anreden. Nur so kommen wir hinein in den Lebensstrom der Kraft Gottes zum Heil jedem, indem er glaubt.

1.2 Zurück zu den Urquellen des Wortes!

Wir leben in einer Zeit der Überschwemmung mit christlicher, erbaulicher Literatur und erleben dabei, dass wir uns immer weiter auseinanderleben. Es ist ein geradezu verwirrendes Vielerlei und Durcheinander der Meinungen, Organisationen, Parteien und Gemeinschaftsbildungen, so dass die Aussicht auf eine zu erreichende Einheit des Glaubens und der Erkenntnis immer mehr schwindet. Es ist durchaus nicht unsere Absicht, dieses Vielerlei noch zu vermehren, sondern im Gegenteil, aus der sich steigernden Turbulenz menschlicher Meinungen herauszukommen zu der ursprünglichen Schlichtheit der ersten Christen, die das Wort aufnahmen nicht als Menschenwort, sondern, wie es wahrhaftig ist, als Wort Gottes (1. Thess. 2,13). Das Wort selber muss lebendig, redend werden als eine Kraft Gottes. Unsere Aufgabe besteht nun darin, dem Liebhaber der Heiligen Schrift Handreichungen zu geben, um ihm zum selbständigen Forschen den Weg frei zu machen zu den Urquellen des Wortes. Wie kann und soll das erreicht werden? Dieser Weg ist vielfach verschüttet worden durch ungenügende Übersetzungen aus dem Grundtext und Infiltrierung menschlicher Meinungen.

Bei der Übersetzung aus den biblischen Ursprachen musste Bedacht genommen werden auf möglichst genaue, wortgetreue Wiedergabe und Aufschlüsselung biblischer Grundbegriffe und die Kontinuität der geraden Linien, die wie Nervenstränge den wunderbaren lebendigen Organismus des Wortes Gottes durchziehen (vgl. 2. Tim. 2,15). Es muss vor allem die große Christuslinie, die die ganze Heilige Schrift von Anfang bis Ende durchzieht, aufgezeigt werden. Da wir nicht vorhaben, ein umfassendes Bibelwerk herauszugeben, sondern nur in den wichtigsten heilsgeschichtlichen Fragen Wegweiserdienste zu leisten und den gesamten Heilsplan Gottes in prophetischer Totalschau darzustellen, haben wir es uns zur Aufgabe gestellt, neben den bisher erschienenen Schriften noch weitere herauszugeben in einer Aufteilung und Form, die es jedem, auch dem, der wenig Zeit und Mittel zur Verfügung hat, möglich macht, sich an den Bibelkursen und Lesungen zu beteiligen.

2 Der Brief des Apostels Paulus an die Römer

Der heilsgeschichtliche Missionsberuf der Gemeinde und der paulinische Lehrtypus

Im neutestamentlichen Kanon schließt sich der Römerbrief unmittelbar an den Schluss der Apostelgeschichte an. Dieser Schluss, der uns von dem Beginn der Wirksamkeit Paulus’ in Rom berichtet, lässt allerlei Fragen für den aufmerksamen Leser offen, deren Beantwortung äußerst wichtig ist, nicht nur, um ein abgeschlossenes Lebensbild des Apostels zu gewinnen, sondern auch vor allem, um den Fortgang der in der Apostelgeschichte klar ausgeführten großen heilsgeschichtlichen Linie im Werden der Gemeinde Gottes und im Werden des Apostels Paulus in gegenseitiger Beziehung weiter zu verfolgen. Diese Fragen werden erst nach und nach in den 13 paulinischen Briefen voll beantwortet. Der Römerbrief jedoch, als der erste in der Reihenfolge des Kanons, zeigt uns die Bedeutung der römischen Gemeinde für die Vollendung der paulinischen Universalmission in der Völkerwelt.

Dafür nun, dass der Bericht des Lukas uns bei der Frage nach der Wirksamkeit des großen Völkerapostels in der römischen Gemeinde völlig im Stich lässt, haben wir in diesem Brief reichen Ersatz. Allerdings erhalten wir durch denselben auch noch keine Kunde von dem Wirken Paulus’ in Rom; denn der Brief ist geschrieben worden, ehe Paulus Rom überhaupt gesehen hat, wohl aber desto mehr eine klare Erkenntnis von dem heilsgeschichtlichen Missionsberuf der römischen Gemeinde.

Das Wort Gottes hat durchaus kein biographisches Interesse. Wir finden in der ganzen Bibel kein einziges abgeschlossenes Lebensbild. Die heiligen Männer der Schrift verschwinden hinter ihrer Aufgabe. So auch der Apostel Paulus. Jedoch sein Sonderauftrag, seine Mission wird uns vollständig dargestellt, und in dieser Beziehung bringt der Römerbrief die Fortsetzung des so plötzlich abgebrochenen Berichts der Apostelgeschichte.

2.1 Die Einleitung

des Briefes lautet:

„Paulus, Knecht Christi Jesu, berufener Apostel, abgesondert für das Evangelium Gottes (das er vorher verheißen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften) über seinen Sohn (der geworden ist aus Samen Davids gemäß Fleisch, der festgestellt ist als Sohn Gottes in Kraft gemäß Geist der Heiligkeit aus Totenauferstehung heraus) Jesus Christus, unseren Herrn, durch welchen wir Gnade und Apostelberuf empfingen hinein in Glaubensgehorsam unter allen Nationen für seinen Namen, unter welchen auch ihr seid als Berufene Jesu Christi.“

(1,1–6) Alle 13 Briefe beginnen mit dem Namen „Paulus“. Dies ist wichtig zu beachten; denn der Name steht hier nicht nur, um den Autor zu bezeichnen, sondern um von vornherein allen diesen Briefen einen gewissen Charakter aufzuprägen. Paulus ist nämlich der lateinische oder römische Name, den der Apostel neben seinem hebräischen Namen Saul von Geburt an getragen hat. Wie wir aber aus dem Bericht des Lukas schließen dürfen, führte Paulus seinen römischen Namen als alleinigen von dem Augenblick an, als ihm seine Berufung zum Apostel der Nationen bestätigt wurde (Apg. 13,9). Die betonte Voranstellung dieses Namens zeigt an, dass Paulus alle seine Briefe in der Eigenschaft seiner Sonderberufung geschrieben hat, also auch den Römerbrief. Hier führt er dies jedoch noch spezieller aus. Doch, und das ist wohl zu beachten, bevor er von seinem Apostelberuf spricht, nennt er sich mit Nachdruck „Knecht Christi Jesu.“ Für Knecht oder Diener hat das Neue Testament folgende Ausdrücke:

dulos = Knecht, Sklave, der im Gegensatz zum Freien seinem Herrn mit Leib und Seele zugehört und seinem Willen unterworfen ist;

diakonos = Diener, der mit dem inneren Aufbau der Gemeinde beschäftigt ist;

hyperetäs = Schwerstarbeiter, der für seinen Herrn Fronarbeit leistet;

therapon = freiwilliger Arbeiter oder Diener;

leiturgos = der im öffentlichen oder Tempeldienst stehende Amtsträger.

Von diesen verschiedenen Bezeichnungen gebraucht Paulus für sich mit Vorliebe den Ausdruck dulos, wie hier, und zwar in Verbindung mit Christus oder Christus Jesus (Röm. 1,1; Phil. 1,1; Gal. 1,10; Eph. 6,6; 1. Kor. 7,22; Tit. 1,1) und nur einmal in Verbindung mit der Gemeinde um Jesu willen (2. Kor. 4,5). Hier im Römerbrief steht: „Knecht Christi Jesu“. Einige Handschriften haben: Knecht Jesu Christi, aber die meisten und besten lesen „Christi Jesu“. In dieser Ordnung kommt der Ausdruck auch in 1. Kor. 1,1; Phil. 1,1 und Kol. 4,12 vor. Wenn Christus vor Jesus steht, dann ist der Amtsname des Herrn besonders betont. In unserer Stelle wohl deshalb, weil es sich bei Paulus’ Dienst um die Durchführung des himmlischen Christuswirkens vom Thron aus handelt. Zu diesem wichtigen Dienst kann der Herr als Werkzeug nur einen Menschen gebrauchen, der voll begriffen hat, was dulos Christi Jesu bedeutet.

„Berufener Apostel,“ das ist die nähere Dienstbezeichnung, die Paulus jedes Mal nur dann in seinen Briefen betont, wenn sein Dienst dabei eine Rolle spielt. In den beiden Thessalonicherbriefen, dem Philipperbrief und dem an Philemon war das nicht nötig. Ein Apostel ist ein von Christus mit großer Vollmacht ausgerüsteter Sonderbeauftragter und Gesandter. „Berufener“ Apostel findet sich außer in Röm. 1,1 nur noch in 1. Kor. 1,1. Während nun in der letzteren Stelle „berufener Apostel“ verbunden ist mit „durch Willen Gottes“, steht dieser Ausdruck hier im Zusammenhang mit der Bestimmung zum Dienst am Evangelium. Paulus deutet damit Kapitel 1,1–2 hin auf sein apostolisches Werden, wie er unter klarer Geistesführung seinen apostolischen Beruf Schritt für Schritt gleichzeitig mit dem Fortschreiten der Evangeliumsbewegung erkannt hat.

Er wurde für diesen Beruf herausgenommen aus allen vorherigen Bindungen,

„herausbestimmt in das Evangelium Gottes hinein.“(1,1)

Der Ausdruck „Evangelium Gottes“ kommt bei Paulus außer in Röm. 1,1 nur noch in Kapitel 15,16; 2. Kor. 11,7; 1. Thess. 2,2.8–9 vor, aber nur in unserer Stelle so explizit als „Evangelium Gottes über seinen Sohn.“ Das muss seinen besonderen Grund haben. Evangelium Gottes ist nicht zu trennen von Evangelium Christi, aber doch zu unterscheiden. Es ist der Ausdruck für Gottes das ganze All umfassende Heilsbotschaft. Schon dadurch weist Paulus hin auf die universelle Darstellung des Evangeliums im Römerbrief „über seinen Sohn“. Das Evangelium Gottes dreht sich nicht um den Menschen als Mittelpunkt, sondern um Christus, den Sohn Gottes. Hier belauschen wir den tief inneren Herzschlag des Evangeliums Gottes. Dieser Ausdruck kommt sonst nirgends im Neuen Testament in solcher Form vor. Die christozentrische Darstellung des Evangeliums Gottes charakterisiert den ganzen Römerbrief.

Auffallend ist ferner, wie ausführlich Paulus den inneren Zusammenhang dieses Evangeliums mit dem Alten Testament nachweist. Durch drei wuchtige Sätze führt er das aus.

„Das er vorher verheißen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften.“ (1,2)

Es gibt ein Geheimnis des Christus, das vorher nicht geoffenbart wurde (Eph. 3,5), aber das Evangelium Gottes über seinen Sohn ist vorher verheißen und zieht sich wie ein goldener Faden durch die Schriften der Propheten. Das erhärtet Paulus durch die 84 Zitate im Römerbrief. Sie zeigen die große messianische Linie an, die sich durch die prophetischen Schriften hindurchzieht. Das Evangelium Gottes ist als die alles umfassende Heilsbotschaft bereits durch die Propheten vorausverkündigt worden, aber erst durch die neutestamentliche Offenbarung ist das

„über seinen Sohn“ (1,3)

ins helle Licht gerückt worden. Im Alten Testament herrscht der Titel „Knecht Jehovas“ vor; Christus als Sohn Gottes aber ist der Grundton für das Evangelium Gottes, welches Paulus zu verkündigen berufen und ausgesondert ist.

Diesen Punkt führt Paulus noch genauer aus durch die folgenden zwei Nebensätze:

„der geworden ist aus Samen Davids gemäß Fleisch“ (1,3)

 und

„der festgestellt ist als Sohn Gottes in Kraft gemäß Geist der Heiligkeit aus Totenauferstehung heraus.“ (1,4)

Es sollen hier nicht nur die zwei Seiten der gottmenschlichen Natur Christi Jesu hervorgehoben, sondern die Erweisung, Festsetzung, Bestimmung derselben vor Augen gestellt werden. Das konnte nur heilsgeschichtlich geschehen durch ein bestimmtes Werden.

Diese Werdegeschichte hat zwei Seiten. Die dem Fleisch zugewandte Seite ist das geschichtliche Werden Jesu aus Samen Davids, und die dem Geist zugewandte Seite ist das Hervortreten als Sohn Gottes in Kraft, und zwar aus Totenauferstehung heraus, als siegreicher Durchbrecher aller Todes- und Finsternismächte.

Es ist also der himmlische Christus, der Auferstandene, den Paulus als Evangelium Gottes zu verkündigen berufen ist. Immer deutlicher tritt hier der besondere Apostelberuf Paulus’ ans Licht. Auffallend ist auch der Ausdruck „gemäß Geist der Heiligkeit.“ Hier ist Heiligkeit (nicht Heiligung) in der ureigenen Bedeutung als Ganzandersartigkeit zu fassen. Der Geist Gottes wird als Geist der Heiligkeit bezeichnet, weil die Einzigartigkeit im Heilshandeln Gottes durch seinen Sohn zum Ausdruck gebracht werden soll. Das Wort „Heiligkeit“ (hagiosynä) kommt nur bei Paulus vor, und zwar an folgenden drei Stellen: Röm. 1,4; 2. Kor. 7,1; 1. Thess. 3,13.

Der Weg des Heilssieges, den Christus erfüllte als wahrer Mensch gemäß Fleisch aus Samen Davids und als wahrer, ewiger Gottessohn in Kraft, der seine Bestimmung durch Totenauferstehung restlos durchführte, ist der Erweis der Heiligkeit Gottes. Dieses Heil war für den Menschen unerfindbar, aber es ist offenbar geworden als höchste Gottesweisheit. Von diesem hohen Standort aus hat Paulus die ganze Soteriologie (Heilslehre) des Römerbriefes dargestellt. Er verkündigt den himmlischen Christus, der von Totenauferstehung aus von Gott als Sohn Gottes in Machtvollkommenheit eingesetzt worden ist. Die Bestimmung, die der Sohn von Ewigkeit her hatte, ist mit seiner Auferstehung zur Einsetzung geworden.

Das Evangelium Gottes über seinen Sohn ist auch „das Evangelium Gottes über“

„Jesus Christus, unseren Herrn.“ (1,4)

Das ist die Seite des Evangeliums Gottes, die sich den Menschen zuwendet. Hier ist die Reihenfolge der Titel des Herrn umgekehrt. Hier heißt es nicht Christus Jesus, sondern Jesus Christus. Der Mensch Jesus, der auch der Christus ist, ist nun der auf dem Thron Gottes sitzende Herr, „unser Herr.“ Das ist die Beziehung des Christus zur Gemeinde. Durch den Ton, den Paulus auf das „unser“ legt, kennzeichnet er den gemeinsamen Glaubensboden, auf welchem er mit der römischen Gemeinde steht. Sein Herr ist auch ihr Herr. Und so hat sein vom Herrn empfangenes Apostelamt auch ihnen etwas zu bedeuten.

„Durch welchen wir Gnade und Apostelberuf empfingen.“ (1,5)

Paulus kommt jetzt dem eigentlichen Thema des Römerbriefs und der Beziehung seines Apostelberufs zu der besonderen Mission der römischen Gemeinde näher. Voran stellt er die Gnade, die nicht nur er, sondern auch die Gemeinde empfangen hat. Das „wir“ ist kein Majestätsplural, sondern so zu nehmen, wie es dasteht. Auch am Apostelberuf Paulus’ haben die römischen Christen aktiven Anteil, insofern sie berufen sind, sein apostolisches Missionswerk fortzusetzen. Dass Paulus so die Gnade in den Vordergrund stellt, entspricht ganz dem Charakter des Römerbriefes, und dass er das „wir“ auch auf den Apostelberuf bezieht, wird durch die Ausführungen im Brief bestätigt. Paulus für seine Person ist „berufener Apostel“, er und die Gemeinde in Rom aber empfingen eine gemeinsame apostolische Aufgabe. Dies der römischen Gemeinde zu erklären und ans Herz zu legen, ist der eigentliche letzte Zweck des Briefes. Man hat diesen vielfach darin gesehen, eine Belehrung über die Rechtfertigung des Glaubens zu geben. Durch diese Annahme wird aber nur ein Teil des Briefes berührt, jedoch nicht der Kern desselben in Kapitel 9–11 und der wichtige Schlussteil Kapitel 15 und 16.

Der gemeinsame Dienst hat als Ziel:

„den Glaubensgehorsam unter allen Nationen für seinen Namen“, (1,5)

also die Königsherrschaft des Christus über die ganze Menschheit. Hier wird nicht unterschieden zwischen Juden und Heiden. Hier ist auch der Glaube nicht als Doktrin zu fassen, sondern als Tat, als Unterwerfung unter Christus. Diese ganze Darstellung ist durchaus heilsgeschichtlich zu verstehen. „Für seinen Namen“ oder zugunsten seines Namens bedeutet soviel wie für seinen Weltherrschafts- und Weltvollendungsberuf. Name ist symbolische Bezeichnung für Beruf, Aufgabe, Charakter.

„Unter welchen auch ihr seid als Berufene Jesu Christi.“ (1,6)

Dadurch will Paulus nicht nur sagen, dass die Gläubigen in Rom sich mitten unter den Nationen befinden und dass sie dazu gehören, sondern dass sie ihre Aufgabe, ihren Beruf mitten unter den Nationen haben. Darum bezeichnet er sie als „Berufene Jesu Christi.“ Sie haben gemeinsam mit Paulus, dem berufenen Apostel, die große apostolische Völkermission. Der Ausdruck „Berufene Jesu Christi“ ist einmalig, und da Paulus sonst von Berufung nur in Verbindung mit Gott spricht, der da beruft (Röm. 8,30; 9,24; 1. Kor. 1,9; 7,15–17; 1. Thess. 2,12; 2. Thess. 2,14), so muss es sich bei der Berufung durch Jesus Christus um etwas Besonderes handeln. Hier ist Jesus Christus als Haupt der Gemeinde der Berufende, der seine Gemeinde zu ihrem speziellen heilsgeschichtlichen Beruf zubereitet. Der ganze Römerbrief hat dieses Ziel und ist in seinen einzelnen Teilen auf dieses Ziel hin ausgerichtet. Dies kann durch den Aufbau der inneren Struktur nachgewiesen werden. Doch zuvor sehen wir uns den Schluss des Briefes an, um uns zu vergewissern, ob wir auf dem rechten Weg sind mit der heilsgeschichtlichen Deutung dieses Briefes.


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