Das Johannes-Evangelium
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Das Johannes-Evangelium steht keineswegs im
Widerspruch zu den synoptischen Evangelien. Es
ist, wie Heinrich Langenberg betont, "die Ergänzung",
durch die das Christusbild in einzigartiger
prophetischer Schau abgerundet wird. Wir dürfen
annehmen, dass auch Johannes ähnlich wie Lukas
die drei Grundsätze einer ehrlichen und zuverlässigen
Berichterstattung gewissenhaft befolgte: "Von
Anfang an oder von oben her" (anothen), "mit
heiliger Genauigkeit" (akribos) und in "geordneter
Reihenfolge" (katexäs, vgl. Luk. 1,1-4).
Der Bericht über das Leben Jesu besteht aus zwei
Teilen: Im ersten Teil wird uns gezeigt, dass der
Herr, der in sein Eigentum (das Volk Israel) kam,
nicht aufgenommen wurde. Im zweiten Teil macht
Johannes deutlich, wie Gott denen, die Christus aufnehmen,
Vollmacht gibt, nämlich denen, die an
(hinein in) seinen Namen glauben.
Brosch., 384 Seiten, 22,50 €
ISBN-13: 978-3-00-030495-8
Bestellnummer: 1060
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Ausschnitte zum Probelesen
Inhaltsverzeichnis
Das Johannes-Evangelium beginnt genau so wie die Bibel überhaupt.
Es heißt in 1. Mo. 1,1: „Im Anfang“ und in Joh. 1,1 ebenso:
„Im Anfang“ (en archä). Während in der Genesis (erstes Buch
Mose) es nun weiter heißt: „schuf Gott (die) Himmel und die Erde“,
zeigt uns Johannes, was im Anfang als das wesenhaft Seiende
schon da war, nämlich das Schöpferwort, der Logos.
Johannes geht also viel weiter zurück an den wahren Ursprung
alles Seins als der mosaische Schöpfungsbericht. Er zeigt uns nicht
nur den, der die Äonen (Weltzeiten) macht, Gott als den Schöpfer,
der durch sein Sprechen, also durch den Logos (Christus) wirksam
wird, sondern bei ihm zentralisiert sich und kulminiert auch alles
in dem Christus, dem anschaulich gewordenen Gottessohn.
Und wie Johannes rückwärts bis zu dem wahren Ursprung
geht, so zeigt er auch vorwärts das wahre Ziel, d. h. ein Ende ohne
Ende, die Vollendung in dem wahren (ewigen) Leben. „Wer nun
an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“ (Kapitel 3,36; 5,24;
6,40.47).
Johannes zeigt in seinem Prolog die ewige Präexistenz (vorgeschichtliches
Dasein) Jesu, des göttlichen, persönlichen Logos, wie
auch schon der Prophet Micha getan hat, wenn er schreibt: „Du
aber, Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Gaustädten
von Juda, aus dir soll mir ausgehen, der ein Herrscher sei in Israel,
und dessen Ausgänge von der Vorzeit (qädäm), von Tagen
der Urzeit (olam) her sind“ (Mi. 5,1).
Der Messias hat demnach mehrere Ausgänge. Nach Am. 9,11
liegt der Anfang des davidischen Hauses auch schon in den Tagen
der Urzeit (olam). Der Prophet greift aber noch weiter zurück zu
den älteren Verheißungen für Abraham, Jakob und Juda, die alle
schon auf den kommenden Messias hinweisen. Derselbe war seit
unvordenklichen Zeiten bereits im Kommen begriffen. In Jes. 48,16
heißt es: „Ich habe von Anfang an nicht im Verborgenen geredet;
von der Zeit an, da es ward, bin ich da. Und nun hat der Herr, Jehova,
mich gesandt und sein Geist“. Diese Linie rückwärts wird
in der Schrift endlos verlängert. Es ist deshalb beachtenswert, dass
Jesus seine ewige Präexistenz und Gottheit nicht von diesen Stellen
ableitet, sondern einen anderen Schriftbeweis dafür erbringt.
So lesen wir in Mt. 22,41–46: „Was dünkt euch von dem Christus?
Wessen Sohn ist er? Sie sagen zu ihm: »Davids«. Er spricht zu ihnen:
»Wie nennt David ihn denn im Geiste Herr, indem er sagt:
Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten,
bis ich deine Feinde lege unter deine Füße? (Ps. 110,1). Wenn
nun David ihn Herr nennt, wie ist er sein Sohn?« Und niemand
konnte ihm ein Wort antworten, noch wagte jemand von dem Tage
an, ihn ferner zu befragen“.
Der Begriff der Ewigkeit des Messias wird im Prophetismus
wachstümlich gebildet. In Verbindung mit Jesaja, dem Zeitgenossen
Michas, muss Mi. 5,1 als prophetisches Zeugnis für die ewige
Präexistenz des Messias angesprochen werden, so dass dem zeitlichen
Ausgang aus Bethlehem der Ausgang aus der Ewigkeit gegenübersteht;
Jes. 9,6: „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn
ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter, und
man nennt seinen Namen: »Wunderrat, starker Gott (el), Vater
der Ewigkeit (abi ad)«“.
Die Beweise für die ewige Gottheit Christi aus dem Alten Testament
liegen jedoch nicht mit juristischer Genauigkeit auf der
Hand, so dass man auch einen Ungläubigen zur Anerkennung
bringen könnte, sondern sie werden nur demjenigen zwingend,
der sich im Glauben dem Geist des prophetischen Totalbildes öffnet
und seine Erkenntnis kontrollieren lässt. Durch die schriftgemäße
Auslegung des Neuen Testaments finden wir die große gerade
innere Linie von Mi. 5,1 bis Joh. 1,1. Das Problem des Messias ist
durch Micha in den Mittelpunkt der Weissagung gestellt, herausgeboren
aus der Not der Zeit. Diese besteht darin, dass das verheißene
Friedensreich einen König haben muss, der größer und
mächtiger wäre als alle davidischen Könige, deren Reformationsversuche
restlos im Bankrott endeten. Johannes zeigt uns nun den
Messias als menschgewordenen Logos, dessen Herrschaft Zeit und
Ewigkeit, Himmel und Erde umfasst und Gottheit und Menschheit
vereinigt. So lesen wir den Abschnitt Joh. 1,1–5 richtig:
„Im Anfang war das Wort, der Logos (das persönliche
Schöpferwort) da, und das Wort war bei (pros = hin
zu) Gott, und das Wort war Gott. Dasselbe war im
Anfang bei (hin zu) Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe
geworden, und ohne (getrennt von) dasselbe ist
nicht eines geworden, das geworden ist. In ihm war
Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis
hat es nicht aufgehalten (wörtlich: niedergehalten).“ (1,1–5)
Lassen wir dieses gewaltige Wort vom Anfang des Johannes
Evangeliums vorurteilsfrei in glaubensvoller Andacht auf uns einwirken,
so müssen wir überzeugt und überwältigt werden von der
erstaunlichen Reife, mit der der Evangelist bis in die letzten Tiefen
der Gotteserkenntnis vordringt. Über das, was im Anfang war, der
doch kein Anfang im zeitlichen Sinne war, sondern Anfang ohne
Grenze, fehlt der menschlichen Sprache das Mittel, das schier Unfassbare
in eine fassbare Ausdrucksform zu bringen. Es bleibt dem
Glauben das anbetende Staunen oder die staunende gläubige Anbetung.
Der Geist allein, der tiefer eindringt als alles noch so große
Wissen, kann uns die Tür öffnen zu den unerschöpflichen Urquellen
der Tiefen Gottes (1. Kor. 2,10). Es ist der Geist Gottes (ruach
elohim) gemeint, der über der Oberfläche der Wasser der Tiefe brütend
schwebt, der Licht und Leben schafft. In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen. Das Licht scheint mit
aller auch die Finsternis durchbrechenden Gewalt. Es scheint noch
und kann nicht aufgehalten werden.
Zeigt uns der Prolog (vgl. 1,1–5) die ewige Vorgeschichte Jesu
Christi als den Logos, so bezeugt uns der Täufer Johannes die Ergänzung
dazu.
„Dieses redete Jesus, und seine Augen aufhebend in
den Himmel hinein sprach er: »Vater, gekommen
ist die Stunde! Verherrliche deinen Sohn, damit der
Sohn dich verherrliche. Gleichwie du ihm Vollmacht
gegeben hast über alles Fleisch, damit er allen, die
du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe. Dies aber
ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren
Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Ich habe dich verherrlicht auf der Erde, das
Werk vollendend, welches du mir gabst, damit ich
es tue. Und nun verherrliche du mich, Vater, bei dir
selbst auf Grund der Herrlichkeit, die ich hatte vor
dem Sein der Welt bei dir. Ich habe geoffenbart deinen
Namen den Menschen, die du mir gegeben hast
aus der Welt. Dir (dein) waren sie, und mir gabst du
sie, und dein Wort haben sie bewahrt. Nun haben sie
erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir
ist; denn die Worte, die du mir gabst, habe ich ihnen
gegeben, und sie empfingen sie und erkannten wahrhaftig,
dass ich von dir ausgegangen bin, und sie haben
geglaubt, dass du mich gesandt hast. Ich bitte für
sie, und nicht für die Welt bitte ich, sondern für die,
welche du mir gegeben hast; denn dir (dein) sind sie,
und alles, was mein ist, ist auch das Deine, wie, was
dein ist, das Meine. Und ich bin verherrlicht worden
in ihnen. Und ich bin nicht mehr in der Welt, und
sie sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger
Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben
hast, damit sie eins seien gleich wie wir. Derweil
ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem
Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe (sie)
bewacht und keiner aus ihnen ist verloren, außer dem
Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde.
Nun aber komme ich zu dir und rede dieses in der
Welt, damit sie haben mögen die Freude, die mein ist,
vollkommen geworden in ihnen selbst. Ich habe ihnen
dein Wort gegeben, und die Welt hasst sie; denn
sie sind nicht aus der Welt, gleichwie ich nicht aus
der Welt (kosmos) bin. Nicht bitte ich, dass du sie aus
der Welt nehmest, sondern dass du sie bewahrst aus
dem Bösen. Aus der Welt sind sie nicht, gleichwie ich
nicht aus der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit.
Das Wort, das deine, ist wesenhaft Wahrheit. Gleichwie
du mich gesandt hast in die Welt, sende ich sie
in die Welt, und für sie heilige ich mich selbst, damit
auch sie wesenhaft seien, Geheiligte in Wahrheit.
Nicht aber für diese allein bitte ich, sondern auch für
die, welche durch ihr Wort an mich glauben, damit
alle wesenhaft eins seien, gleichwie du, Vater, in mir
und ich in dir, damit auch sie wesenhaft in uns seien,
damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, welche
du mir gabst, damit sie wesenhaft eins seien, gleichwie
wir eins (sind), ich in ihnen und du in mir, damit
sie wesenhaft seien Vollkommengemachte in eins hinein,
damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt
hast und liebst sie, gleichwie du mich liebst. Vater,
was du mir gegeben hast, das will ich, dass wo ich
bin, auch jene wesenhaft seien mit mir, damit sie sehen
die Herrlichkeit, die meine, die du mir gegeben
hast, weil du mich geliebt hast vor Grundlegung (der)
Welt. Gerechter Vater! Und die Welt hat dich nicht
erkannt. Ich aber habe dich erkannt, und diese haben
erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe
ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde
ihn bekannt machen, damit die Liebe, womit du
mich liebst, in ihnen wesenhaft sei, und ich in ihnen«.“
(17,1–26)
Wunderbar ist in dem Bericht des Johannes der Übergang vom
Passahmahl zu dem Kampf Jesu in Gethsemane. Die Gespräche
mit seinen Jüngern wurden jetzt zu lauter Anbetung über die
Heilswege Gottes. Da spüren wir nichts von Angst oder Todesgrauen
oder Kreuzesscheu, sondern nur tiefe Freude über den
Heimgang zum Vater in die Herrlichkeit. Dieser Siegeston ist
charakteristisch für Johannes, steht aber trotzdem nicht im Widerspruch
mit der entsprechenden Darstellung der synoptischen
Evangelien, die ausführlicher über Jesu Gebetsringen in Gethsemane
berichten (vgl. Mt. 26,36 ff.; Mk. 14,32 ff.; Lk. 22,39 ff.). Nehmen
wir beide Seiten zusammen, so werden die synoptischen anschaulichen
Darstellungen noch vervollständigt in der Darstellung
des Johannes-Evangeliums durch das sogenannte hohepriesterliche
Gebet Jesu, welches nur Johannes bringt. Es ist eitel Siegesjubel.
„Dieses redete Jesus, und seine Augen aufhebend in den
Himmel hinein sprach er: »Vater, gekommen ist die Stunde!
Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche«“
(Vers 1). So begann Jesus seinen Sterbensweg zum Kreuz auf Golgatha,
indem er seine Augen zum Vater im Himmel erhob und seinen
Vater um Verherrlichung bat. So ging auch Stephanus in den
Tod durch Steinigung, indem er unverwandt gen Himmel schaute
und die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehend
sah (Apg. 7,55). So dürfen auch wir betend unsere Herzensaugen
erheben zu unserem Vater in den Himmeln (vgl. Mt. 6,9).
„Vater, gekommen ist die Stunde“. Der Ausdruck „die Stunde“
ist auch hier keine Zeitangabe, sondern der Kulminationspunkt
einer Entscheidung. „Verherrliche deinen Sohn, damit der
Sohn dich verherrliche.“ Erfüllt hat sich geschichtlich die Verherrlichung
des Sohnes in der Auferstehung und Himmelfahrt und die
Verherrlichung des Vaters durch den freudigen Sohnesgehorsam
in seinem triumphierenden Hingang zum Kreuz. Auffallend ist in
dem ganzen hohenpriesterlichen Gebet Jesu die Häufung der Aoristform
als zeitloser Modus in der Darstellung. Das dürfen wir
nicht übersehen; denn die eigentliche Erfüllung hat wohl mit der
Auferstehung und Himmelfahrt ihren geschichtlichen Anfang genommen,
hat aber in Wirklichkeit eine überzeitliche Bedeutung als
ein ewiges Heilsfaktum. Das heißt mit anderen Worten, die gegenseitige
Verherrlichung des Vaters und des Sohnes setzt sich in die
Äonen hinein fort. Wir stehen als Glieder der Gemeinde Gottes
noch mitten drin in diesem wunderbaren Werdeprozess.
„Gleichwie du ihm Vollmacht gegeben hast über alles
Fleisch, damit er allem, was du ihm gegeben hast, ewiges Leben
gebe“ (Vers 2). Die Vollmacht, welche Christus von Gott empfangen
hat über alles Fleisch in seiner Gottmenschheit, die er ausgeübt
hat durch seinen Geistessieg, ist das Maß der Hoffnung auf seine
künftige Verherrlichung. Der Ausdruck „alles Fleisch“, der sonst
im Johannes-Evangelium nicht vorkommt, bezeichnet den Umfang
seiner Hoffnung, allen das ewige Leben zu geben.
„Dieses aber ist das ewige (äonische) Leben, dass sie dich,
den allein wahren Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus,
erkennen“ (Vers 3). Durch die Verbreitung des Heils in Christo
soll der Vater und der Sohn verherrlicht werden. Ewiges Leben ist
die Entfaltung der Macht des Lebens, das aus Gott stammt, über
die Äonen hinaus. Dieses äonische Leben besteht wesentlich in der
Erkenntnis des allein wahren Gottes und der Heilssendung Jesu
Christi.
„Ich habe dich verherrlicht auf der Erde (gä = Land oder
Erde), das Werk vollendend, welches du mir gabst, damit ich
es tue“ (Vers 4). Das Werk, vom Vater dem Sohn übertragen, bestand
darin, dass dieser durch sein irdisches Christuswirken die
Grundprinzipien schaffen sollte zur Welterlösung. Dieses Werk
nun vollendend oder zum Ziele führend (teleiun), damit er es tue,
hat der Sohn den Vater verherrlicht auf Erden, d. h. zunächst im
Lande, auf dem Boden Israels, von wo aus dann die Verherrlichung
Gottes, des Vaters, sich über die ganze Erde ausbreiten sollte. „Damit
ich es tue (poiein)“ bezeichnet den Befehl des Vaters an den
Sohn. Deshalb sagte Jesus: „Wir müssen wirken die Werke des,
der mich gesandt hat, solange es Tag ist“ (Kapitel 9,4). Durch das
„wir“ in diesem Zitat schließt Jesus das Wirken der von ihm erwählten
Jünger als die Gemeindeapostel in seinen eigenen Sendungsauftrag mit ein.
„Und nun, verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst auf
Grund der Herrlichkeit, die ich hatte vor dem Sein (einai) der
Welt, bei dir“ (Vers 5). Der Sohn hat den Vater verherrlicht im Diesseits,
der Vater soll nun den Sohn verherrlichen im Jenseits, und
zwar mit der Urherrlichkeit, die der Sohn bei dem Vater hatte vor
dem wesenhaften Sein der Welt. Von dieser Präexistenz berichtet
uns Johannes in seinem Evangelium, Kapitel 1,1–4.
Der gerade im Johannes-Evangelium so auffallend oft vorkommende
Ausdruck Welt (kosmos) bedarf einer Erklärung. Damit ist
hier nicht etwa die Menschenwelt gemeint, auch nicht das Sonnensystem
mit der Urerde (vgl. 1. Mo. 1), auch nicht das unübersehbare
Heer der Fixsterne mit ihren Trabanten, wie wir es in sternklaren
Nächten am Himmelszelt in der sogenannten Milchstraße erstrahlen
sehen, sondern die Weltordnung, in welcher alles Sichtbare jetzt
sein Wesen hat. Der denkende Mensch steht vor großen Rätseln und
fragt: „Gibt es denn nur diese eine Welt, oder was war denn vor
Grundlegung dieses Kosmos da? Gab es denn, rückwärts gedacht,
vordem überhaupt keine Welt in unendlicher Ewigkeit“?
Im Johannes-Evangelium heißt es: „Im Anfang war das Wort
(logos = das persönliche Schöpferwort), und das Wort war bei
(pros = hin zu) Gott, und das Wort war (wesenhaft) Gott. Dasselbe
war im Anfang bei (hin zu) Gott“ (Kapitel 1,1–2). Jesus spricht
von der Urherrlichkeit, die der Sohn bei dem Vater hatte vor dem
wesenhaften Sein der Welt. Jesus zieht für einen Augenblick den
Vorhang hinweg vor dem Urgeheimnis der Dreieinigkeit, dem wesenhaften
Sein des Logos, des persönlichen Schöpfers, innerhalb
der Dreieinigkeit. Und da stößt unser Denken an eine für uns undurchbrechbare
Schranke. Wir beten an und staunen.
„Ich habe geoffenbart (phanerun = bekannt machen) deinen
Namen den Menschen, die du mir gegeben hast aus der Welt. Dir
(dein) waren sie, und mir gabst du sie, und dein Wort haben sie
bewahrt“ (Vers 6). Unmittelbar anknüpfend an den vorigen Abschnitt,
in dem Jesus von seiner eigenen Urherrlichkeit vor dem
wesenhaften Sein der Welt sprach, redet er hier in dem neuen Abschnitt
(Verse 6–19) von seinen Jüngern, die der Vater ihm gegeben
habe aus der Welt als Träger seines Namens und des Werkes des
Sohnes. Den Namen seines Vaters hatte Jesus seinen Jüngern bekannt
gemacht (phanerun = bekannt machen) durch Anschaulichmachen,
indem er selbst den Charakter und das Wesen des Vaters
ihnen vorlebte (vgl. Kapitel 14,9: „Wer mich gesehen hat,
hat den Vater gesehen (horan = verständnisvoll sehen)“).
Diese Jünger entsprachen in ihrem Wesen und Charakter
grundsätzlich den Ansprüchen, die an sie gestellt werden konnten,
nämlich: „Dir (dein) waren sie“ in ganz besonders vertrauter
liebender Gemeinschaft; „mir gabst du sie“ in der Berufung zur
Nachfolge und zum Dienst; „dein Wort haben sie bewahrt (tärein
= bewahren)“. Diese drei entscheidenden Grundcharakterzüge
konnte Jesus seinem engeren Jüngerkreis als Zeugnis bestätigen.
Ihnen galt seine hohepriesterliche Fürbitte.
„Nun haben sie erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast,
von dir ist; denn die Worte, welche du mir gabst, habe ich ihnen
gegeben, und sie empfingen sie und erkannten wahrhaftig,
dass ich von (bei, para) dir ausgegangen bin, und sie haben geglaubt,
dass du mich gesandt hast“ (Verse 7–8). Das war gleichsam
ein Befähigungsnachweis für den hohen Beruf der Jünger als werdende
Apostel. In Jesu Augen haben sie sich bereits siegreich im
Glauben bewährt. „Nun haben sie erkannt, dass alles, was du
mir gegeben hast, von dir ist.“ Das ist das Fundament einer für
ihren Beruf entscheidenden Glaubenserkenntnis, dass alles, was
der Vater dem Sohn gab, besonders seine Lehre und sein Werk,
göttlichen Ursprungs ist. Sie hatten Gott in Christo erkannt als das
Strahlbild (apaugasma = Abglanz, Reflex) und den Abdruck (charaktär)
seines Wesens (hypostasis), (Hebr. 1,3). Davon konnten sie
nun Zeugnis ablegen. Sie waren die berufenen und befähigten Träger
der redend gemachten Worte Jesu: „Denn die Worte (rhämata), welche
du mir gabst, habe ich ihnen gegeben, und sie empfingen sie
und erkannten wahrhaftig, dass ich von (bei, para) dir ausgegangen
bin, und sie haben geglaubt, dass du mich gesandt hast“.
Wachstümlich sind die Jünger das geworden, was sie als Wortträger
sein sollten: sie empfingen, erkannten, glaubten. Diesen drei
Grundprinzipien entsprachen die Objekte ihres Glaubens: Sie empfingen
die redend gemachten und aufgeschriebenen Worte Jesu;
sie erkannten wahrhaftig (aläthinos = der Wahrheit entsprechend),
dass Jesus vom Vater ausgegangen und vom Vater ausgesandt war.
Das war das Fundament ihrer Evangeliumsverkündigung.
„Ich bitte für sie, und nicht für die Welt bitte ich, sondern für
die, welche du mir gegeben hast; denn dir (dein) sind sie, und
alles, was meines ist, ist auch das Deine, wie, was deines ist, das
Meine. Und ich bin verherrlicht worden in ihnen“ (Verse 9–10).
Diesen seinen auserwählten Jüngern galt jetzt seine hohepriesterliche
Fürbitte. Auf dem Ich (ego), dem großen Hohenpriester, liegt
die Betonung. „Ich bitte für (peri) sie.“ Von ihm, dem Hohenpriester,
ist im Hebräerbrief ausführlich die Rede. Er ist nicht eingegangen
in das mit Händen gemachte Heiligtum, sondern in den Himmel
selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für (hyper) uns zu
erscheinen, und der jetzt einmal in der Vollendung der Zeitalter
geoffenbart worden ist zur Abschaffung der Sünde durch sein blutiges
Schlachtopfer (thysia: Hebr. 9,24–26). Er bittet für seine auserwählten
Jünger und nicht für die Welt, sondern für die, die der
Vater ihm gab, um von ihnen verherrlicht zu werden.
Warum bittet er nicht für die Welt? Mit der jetzigen Weltordnung
(kosmos) geht Gott einen anderen Weg, nämlich durch Feuergericht,
das auch einmal enden wird in Heil hinein. Doch davon ist
hier nicht weiter die Rede im Johannes-Evangelium. Wir haben es
jetzt mit der hohenpriesterlichen Fürbitte für die werdende Gemeinde
zu tun, damit Christus in ihr verherrlicht werde. „Auf dass
wir etwas seien zu Lob seiner Herrlichkeit“ (Eph. 1,12), „zur (hinein
in die) Erlösung des Vollbesitzes“ (Eph. 1,14). Dieser Vollbesitz
(peripoiäsis = Vollaneignung, Vollerwerb, Vollbesitz) ist nach unserem
obigen Text: „Alles, was meines ist, ist auch das Deine, wie,
was deines ist, das Meine.“ Es wird vom Vater dem Sohn heilsgeschichtlich
zugeeignet dadurch, dass der Vater dem Sohn alle, die
dem Vater besonders zugehören („denn dir sind sie“), gab zu dem
Zweck, dass der Sohn in ihm verherrlicht werde.
„Und ich bin nicht mehr in der Welt, und sie sind in der
Welt, und ich (ego) komme zu dir. Heiliger Vater, bewahre sie
in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins seien
(wesenhaft seien) gleich wie wir“ (Vers 11). Jetzt ist der sichtbare
Abschied Jesu von den Seinen, die nun allein und sozusagen
schutzlos sind, bevorstehend. Da brauchen die Jünger einen besonderen
Schutz. Der Sohn übergibt sie als seinen erworbenen Besitz
in den Schutz des Vaters, damit er sie bewahren möge, besonders
jetzt während der Zeit der äußeren Trennung. Die Bewahrung und
Erhaltung (tärein) der Jünger ist das besondere Anliegen des Hohenpriesters
Jesus.
Auffallend ist der Ausdruck „in deinem Namen, den du mir
gegeben hast“. Der Vater hat dem Sohn, als seinem Gesandten,
seinen Namen auferlegt, gegeben, so dass der Sohn auch in diesem
Namen den Vater bitten kann. Der Vater, der ihm die Gesandtschaft
anvertraute, ist auch imstande, das Anvertraute in seinem heiligen
Vaternamen zu bewahren. Der Ausdruck „Heiliger Vater“ ist
einmalig und charakteristisch für das Johannes-Evangelium. Die
Heiligkeit des Vaters besteht in der Abgesondertheit und einzigartigen
Weise seines Heilswerkes durch die Gemeinde. In dem Gemeindegebet
steht die Bitte um Heiligung des Namens des Vaters
an erster Stelle. Der Zweck der hohenpriesterlichen Bitte war: „Damit
sie seien (wesenhaft seien) eins, gleichwie wir.“ Das wesenhafte
Einssein der Jünger wird als Zeugnis ihrer Berufsreife gewertet.
Wesenhaft Einssein ist noch etwas anderes als Einigkeit im
Dienst oder im Bekenntnis des Glaubens. Es ist ein erlebnismäßiges,
zusammengewachsenes Einssein „gleichwie wir“, d.h. wie
die Vater-Sohn-Einheit.
„Derweil ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen,
den du mir gegeben hast. Und ich habe sie bewacht, und
keiner aus ihnen ist verloren außer dem Sohn des Verderbens,
damit die Schrift erfüllt würde“ (Vers 12). Jesus legt in diesen
Worten Rechenschaft ab von seinem Christuswirken unter seinen
auserwählten Jüngern, während er bei ihnen war. Diese Aufgabe
hatte er treu erfüllt in dem Namen des Vaters, den dieser ihm gab
(vgl. Vers 11). „Die habe ich bewacht.“ Dafür braucht er den Ausdruck
„bewachen“ (phylassein = behüten, bewachen, für die Sicherheit
sorgen).
Dass einer aus den Zwölfen trotzdem ein Verräter wurde, hatte
seinen heilsgeschichtlichen Grund, damit die Schrift erfüllt würde.
Die Schrift (graphä) ist das geschriebene, durch die Schrift fixierte
inspirierte Wort Gottes, wie wir es als die Heilige Schrift besitzen.
Von ihr sagte Jesus, dass sie erfüllt werden müsse; denn vom Verräter
hat sie deutlich gesprochen (vgl. Ps. 41,10; 55,14). Die Schrift
wird erfüllt (plärun), das heißt, sie erhält ihre Vollausreifung (das
pläroma), indem auch im Judasverrat das Böse seine Spitze erreicht
(vgl. Kapitel 13,18). Jesus nennt hier den Verräter Judas „Sohn des
Verderbens“ (hyios täs apoleias). Genau so nennt der Apostel Paulus
den Antichristen (vgl. 2. Thess. 2,3) und fügt noch hinzu: „der
Mensch der Gesetzlosigkeit.“ Das ist die große Abfallslinie, die
in Judas ihren charakteristischen Anfang nahm und sich durch die
ganze Gemeindehaushaltung hindurchzieht.
„Nun aber komme ich zu dir und rede dieses in der Welt“
(Vers 13a). Mit dem „nun aber“ leitet Jesus die Beschreibung des
erstaunlichen Gegensatzes ein zu der erschütternd finsteren, satanischen
Verfallslinie in der Mitte der Gemeinde, die Darstellung
der reinen Gottesfreude. „Damit sie haben mögen die Freude, die
meine ist, vollkommen geworden in ihnen selbst“ (Vers 13b). Die
reine Gottesfreude unterscheidet sich wesentlich von der Freude
der Welt (vgl. Kapitel 16,20). Paulus nennt sie die Freude in dem
Herrn (Phil. 4,4). Der Ausdruck „die Freude, die meine ist“ charakterisiert
noch mehr das eigentliche Wesen der reinen Gottesfreude,
während „die Freude in dem Herrn“ den Wirkungskreis
und die Abgrenzung bezeichnet.
Jesus fügt hinzu: „Damit sie haben (echein, haben als Besitz)
mögen die Freude, die meine (ist), vollkommen geworden (zur
Fülle, dem pläroma, ausgereift) in ihnen selbst.“ Solches Werden
ist ein innerer Entwicklungsprozess, den die Welt nicht sehen und
verstehen kann. „In ihnen selbst“ bezeichnet etwas ganz Persönliches,
bei einem jeden charakterlich verschieden. Bei dem einen
in tiefer, verborgener, anbetender Stille, bei dem andern in lautem,
überströmenden Jubel.
„Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hasst sie;
denn sie sind nicht (einai = wesenhaft sein) aus der Welt, gleichwie
ich nicht aus der Welt bin“ (Vers 14). Mit „Welt“ (kosmos)
ist hier wieder die damals herrschende Weltordnung gemeint und
zwar speziell auf judäischem Boden. Dort war das Wort (logos =
das Leben wirkende Schöpferwort) der Zankapfel der Parteien,
wie es am Ende unseres Äons wieder der Fall sein wird. Dieses
Wort scheidet die Geister. Es ist „dein Wort“, das heilige schöpferische
Gotteswort, das Freude und Hass bewirkt. Letzten Endes sind es nicht
materielle Interessen, sondern das Wort, das nicht nur reinste Freude
erzeugt, sondern auch bittersten Hass. Dieser Hass richtet sich
gegen die Liebhaber des Wortes: „Denn sie sind nicht wesenhaft
aus der Welt, gleichwie ich nicht wesenhaft aus der Welt bin.“ Es
kommt auf das wesenhafte Sein an; denn die verweltlichte Christenheit
hat sich mit der christusfeindlichen Welt längst verbrüdert.
Denn: „Wer nur irgend ein Freund der Welt sein will, stellt sich
als Feind Gottes dar“ (Jak. 4,4).
„Nicht bitte ich, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern
dass du sie bewahrst aus dem Bösen“ (Vers 15). Wegnehmen
aus der Welt, das wäre eine radikale, machtvolle Lösung des ganzen
Problems, wie es vielfach versucht worden ist, aber ohne Erfolg.
Davon zeugt die Geschichte der Mönchsklöster. Nicht (betont
vorangestellt) bittet Jesus um eine gewaltsame Wegnahme der Seinen
aus der gefahrvollen, versuchungsreichen Welt, sondern um
Bewahrung und Bewährung, damit die Seinen Überwinder werden.
Bewahren „aus“ dem Bösen (ponäros = der Arge) ist nicht zu
verwechseln mit Bewahren „vor“ dem Bösen (vgl. in dem Gemeindegebet
Mt. 6,13: „Reiß uns heraus weg von dem Bösen“ (dem
Satan)). Das deckt sich mit Jesu Bitte an den Vater: „Dass du sie
bewahrst aus dem Bösen“.
„Aus der Welt sind sie nicht, gleichwie ich nicht aus der Welt
bin“ (Vers 16). Sie haben wie Christus und durch ihn im Vater
ihr wesenhaftes Sein. Dieser ihrer göttlichen Art gemäß sollen sie
vollendet werden. Darum bittet Jesus:
„Heilige (Aorist) sie in (oder: vermittels) der Wahrheit. Das
Wort (logos), das deine, ist wesenhaft Wahrheit“ (Vers 17). Der
Vater ist nicht nur der heilige, sondern auch der heiligende Vater.
Das lebendig machende Wort ist die Wahrheitsquelle und das
Heiligungsmittel. Alle sonstigen sogenannten Hilfsmittel, um ein
heiliges Leben führen zu können, sind nur wertloser Ersatz. Die
wesenhafte Wahrheit allein kann wesenhaft heiligen.
„Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, sende auch
ich sie in die Welt, und für sie heilige ich mich selbst, damit
auch sie wesenhaft seien Geheiligte in Wahrheit“ (Verse 18–19).
Das ist die Voraussetzung für die Weltmission der herausgerufenen
Gemeinde Gottes. Zur Ausübung ihres Sendungsauftrags in die
Welt hinein musste Jesus sich selbst für (hyper) sie heiligen, als
Schlachtopfer (thysia) aussondern. Unter diesem Aspekt müssen
wir unsere Missionsaufgabe ansehen lernen in unserem Evangeliumsdienst.
„Damit auch sie wesenhaft Geheiligte seien in (vermittels)
Wahrheit.“ So sehen Gottes Missionare aus. Solche will
der Herr sich erziehen als Erfüllung seiner eigenen Sendung vom
Vater.
„Nicht aber für (peri) sie allein bitte ich, sondern auch für die,
welche durch ihr Wort an (hinein in) mich glauben“ (Vers 20).
Der Blick erweitert sich und umfasst nicht nur den Jüngerkreis,
sondern auch die durch ihren Dienst werdende Gemeinde bis ins
Ziel hinein: „Damit alle wesenhaft eins seien, gleichwie du, Vater
in mir und ich in dir, damit auch sie wesenhaft in uns seien,
damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“ (Vers 21).
Im Begriff, seinen Opfergang zum Kreuz anzutreten, überschaut
Christus die ganze zukünftige Entwicklung seiner Sohnessendung
bis ins Vollendungsziel hinein. Das Vollendungsziel ist die Königsherrschaft
Christi in der Überwindung und Abschaffung aller gottfeindlichen
Mächte und Übergabe seiner Königsherrschaft an den
Gott-Vater. Dann wird auch der Sohn selber untergeordnet sein
dem, der ihm das All untergeordnet hat, damit Gott sei alles in allem
(vgl. 1. Kor. 15,26–28). Christus muss königlich herrschen, bis
er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat.
Diesen seinen Siegeszug anzutreten, ist Jesus nun im Begriff
beim Abschied von seinen Jüngern. In diesem Siegestriumph soll
uns das Kreuz Christi erstrahlen, wenn wir es recht im Glauben in
der Gesamtschau des einheitlichen Wortes Gottes betrachten. Über
dem Kreuz muss die Inschrift stehen: „Jesus der Sieger.“ Als Sieger
bittet er in seinem hohenpriesterlichen Gebet darum, dass alle
wesenhaft eins seien: „Gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir,
damit auch sie wesenhaft in uns seien, damit die Welt glaube,
dass du mich gesandt hast.“ Das wesenhafte Einssein der Jünger
ist begründet in dem wesenhaften Sein in Gott, dem Vater und dem
Sohn.
Nur so kann die Welt an die Erfüllung von Jesu Sendeauftrag
glauben. Das ist das Fernziel Jesu mit seiner Gemeinde. „Und ich
habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, welche du mir gabst, damit
sie wesenhaft eins seien, gleichwie wir eins (sind), ich in ihnen
und du in mir, damit sie wesenhaft als Vollkommengemachte
in eins hinein seien, damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt
hast und liebst sie, gleichwie du mich liebst“ (Verse 22–23).
Der Blick Jesu in das Vollendungsziel der Gemeinde erweitert sich
nicht nur, wie in Vers 20 ausgeführt wird, er vertieft sich auch, wie
wir in Vers 21 erfahren. Nun zeigt Jesus in den Versen 22–23, wie
er die Herrlichkeit, die ihm der Vater gab, zur Erreichung dieses
Zieles den Jüngern weiterreichte. Damit ist der Herrlichkeitsstand
gemeint, den der Sohn hatte bei dem Vater vor dem Sein der Welt
(Vers 5). Diesen hat Jesus den Seinen gegeben, d. h. bestimmt.
Dieser hohen Bestimmung gemäß erzieht der Herr die Seinen.
Als Erziehungsmittel und Ziel nennt er das wesenhafte Einssein
nicht nur untereinander, sondern auch das Einssein auf Grund der
Lebenseinheit mit dem Vater und dem Sohn. Das Resultat wird
sein: „Damit die Welt (kosmos) erkenne, dass du mich gesandt
hast und liebst sie, gleichwie du mich liebst.“ Die echte Liebe
kann die Welt schließlich nur erkennen aus dem Vorbild der Liebe
des Vaters zur vollkommen gemachten (oder: vollendeten) Gemeinde
und zur Sendung seines Sohnes in diese Welt. Die Liebe
der Gläubigen untereinander, so wichtig sie auch ist für das Zeugnis
der Gemeinde für die Welt, reicht nicht aus zu dieser Überführungskraft,
weil sie immer noch mangelhaft in Erscheinung tritt.
Deshalb appelliert Jesus an die Liebe des Vaters zum Sohn und bittet:
„Vater, was du mir gegeben hast, das will ich, dass wo ich
bin, auch jene wesenhaft seien mit mir, damit sie sehen (theorein)
die Herrlichkeit, die meine, die du mir gegeben hast, weil
du mich geliebt hast vor Grundlegung (der) Welt“ (Vers 24). Die
Liebe Gottes in den Gläubigen durch den Heiligen Geist soll immer
mehr vertieft und bereichert werden: „zur Zurüstung der Heiligen
zum Diakoniewerk, zur Auferbauung des Leibes des Christus,
bis wir, die alle, hingelangen in die Einheit des Glaubens
und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, in einen vollkommenen
Mann, in ein Maß des Vollwuchses der Fülle des Christus“
(Eph. 4,12–13). Nehmen wir beide Bibelstellen zusammen, so bekommen
wir ein vervollständigtes Bild von dem Heranreifen der
Überwindergemeinde, von der Auferbauung des Leibes des Christus
zur vollkräftigen Zeugnismission in der Welt.
Dazu gehört nach Joh. 17,24, dass die Gläubigen „wesenhaft
mit Christus seien, wo er wesenhaft ist.“ Dieser Ausdruck ist charakteristisch
für das Johannes-Evangelium und bezeichnet das wesenhafte
Sein in Gott, wie es in dem Vater-Sohn-Verhältnis zur Darstellung
kommt. Gewinnen wir diese tiefe Verwurzelung mit der
Liebe Gottes, so werden auch wir wahrhaft Sehende: „Damit sie
sehen (theorein) die Herrlichkeit, die meine, die du mir gegeben
hast, weil du mich geliebt hast (Aorist) vor Grundlegung
(der) Welt (kosmos).“ Das für „sehen“ gebrauchte Wort „theorein“
heißt soviel wie beobachtend betrachten. Ein solches sehendes
Sichvertiefen in die dem Sohn eigene Herrlichkeit, die der Vater
ihm gegeben hat vor Grundlegung der Welt, also von Uranfang
an, als Ausdruck seiner Liebe, ist das Geheimnis des Wachsens hinein
in ein Maß des Vollwuchses der Fülle des Christus.
„Gerechter Vater! Und die Welt hat dich nicht erkannt, ich
aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, dass du mich
gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht
und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, womit
du mich liebst, in ihnen wesenhaft sei, und ich in ihnen“
(Verse 25–26). Mit dieser Feststellung kommt Jesus alles zusammenfassend
zum Abschluss seines hohenpriesterlichen Gebets.
Die Welt hat den Vater nicht erkannt trotz aller gnädigen Heimsuchungen
und messianischen Offenbarungswunder. „Ich aber habe
dich erkannt, und diese (die Jünger) haben erkannt, dass du mich
gesandt hast.“ Jesus stellt betend den Erfolg seiner Sohnessendung
in seinem nun zum Abschluss kommenden irdischen Christuswirken
fest. Während die Welt den Vater nicht erkannt hat, hat Jesus
den Vater erkannt, und die Jünger haben erkannt, dass der Vater
ihn gesandt hat.
Es dreht sich alles um die Erkenntnis der Sohnessendung in die Welt,
damit jeder, an den Vatergott glaubend, ja nicht verloren gehe, sondern
ewiges Leben habe (vgl. Kapitel 3,16). Dass Jesus den Vater
jetzt „gerechter Vater“ nennt, im Unterschied zu „heiliger Vater“,
liegt daran, dass in dem triumphalen Hingang des Sohnes zum
Kreuzesopfer der Sieg der Gerechtigkeit sich offenbaren sollte. Jesus
beschließt sein hohepriesterliches Gebet mit den Worten: „Und
ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn
bekannt machen“, also mit der Versicherung, dass dieses Heilswirken
fortgesetzt werden soll bis zur vollendeten Offenbarung des
Vaternamens in der Herrlichkeit, damit die Liebe, womit der Vater
den Sohn liebt, in den Gläubigen wesenhaft sei und er in ihnen.
Das Ziel ist also das Teilhaftigwerden der göttlichen Natur (vgl.
2. Petr. 1,4) oder das völlige Versenktwerden in die Liebe Gottes,
die sich in Jesu offenbart.
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